Eine Forscherin im Labor
AFP – KENZO TRIBOUILLARD
AFP – KENZO TRIBOUILLARD
Pandemie

Publikationen: Der Gender-Gap wächst

Die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist in diesem Jahr vor allem in biomedizinischen Fächern deutlich gestiegen. Gleich verteilt ist der Zuwachs allerdings nicht: Es profitieren vor allem Männer.

Normalerweise durchlaufen wissenschaftliche Studien ein zeitaufwändiges Prüfverfahren, das sogenannte Peer Review, bis sie bei einem Journal in Druck gehen. Das hat sich während der Pandemie geändert. Da über die Lungenkrankheit Covid-19 zu Beginn des Jahres noch sehr wenig bekannt war (und viele wichtige Fragen noch immer offen sind), kam es in den letzten Monaten zu einer enormen Beschleunigung: Es wurde mehr publiziert denn je, vorläufige, auf Preprintservern veröffentlichte Studien dominierten erstmals die Fachdebatten.

Die kanadische Ökologin Megan Frederickson hat sich die Sache nun genauer angesehen – und kann solche Beobachtungen mit Statistiken belegen: Zuwächse waren im Vergleich zum Vorjahr (jeweils 15. März bis 15. April) erwartungsgemäß vor allem in den Life Scienes zu beobachten, in Fächern also, die direkt mit dem Coronavirus in Zusammenhang stehen. Mehr publiziert wurde zwar auch in der Physik, doch hier bei weitem nicht so ausgeprägt.

Faktor Familie

Auf den ersten Blick überraschender ist eine andere Asymmetrie, die Frederickson in den Daten gefunden hat. Auf dem Preprintserver bioRxiv publizierten Männer um 26 Prozent mehr als im Jahr zuvor, bei Frauen betrug der Zuwachs 24 Prozent. Auf arXiv – das Gegenstück im Fach Physik – ist die Differenz noch größer, hier beträgt das Plus für Männer 6,4, für Frauen bloß 2,7 Prozent – der ohnehin schon beträchtliche Gender-Bias zwischen den Geschlechtern hat sich also verstärkt.

Warum? Eine naheliegende Begründung wäre, dass Frauen von der Mehrfachbelastung Beruf-Haushalt-Kindererziehung stärker betroffen sind und somit auch während des Lockdowns mehr Verantwortung für die Familie übernommen haben. Oder anders ausgedrückt: wieder einmal diejenigen waren, die zurückstecken mussten, wenn es um die wissenschaftliche Karriere geht. Statistisch belegen lässt sich zumindest, dass Forscherinnen, vor allem in den Naturwissenschaften, häufiger Beziehungen führen, in denen beide Partner im akademischen Bereich tätig sind – mit möglichen Konsequenzen für die Arbeitsteilung im Haushalt.

“Besorgniserregend“

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Cassidy Sugimoto. Die Informatikerin von der Indiana University hat unter anderem festgestellt, dass der Anteil der von Frauen eingereichten Forschungsprojekte in klinischen Fächern zwischen März und April 2020 zurückgegangen ist. Rückgänge gab es im Publikationsaufkommen auch unter Erstautorinnen von Studien, etwa im Bereich Geowissenschaften und in der Medizin. Und das sei „besorgniserregend“, sagt Sugimoto. Nachdem die Erstautorenschaft vor allem zu Beginn einer wissenschaftlichen Karriere von entscheidender Bedeutung sei, müsse man sich auf „langfristige Konsequenzen“ einstellen.