Coronaviren unter dem Mikroskop
Coronavirus

Wie das Immunsystem den Erreger in Schach hält

Kann man sich mit dem Coronavirus mehrfach anstecken? Eine Untersuchung aus den USA liefert zu dieser Frage gute Nachrichten – sowie ein erstaunliches Detail: Etwa die Hälfte der Bevölkerung könnte bereits vor dem ersten Viruskontakt eine gewisse Immunität besitzen. Was das bedeutet, erklärt Studienautor Florian Krammer.

science.ORF.at: Herr Krammer, sie haben gemeinsam mit Kollegen den Immunstatus von zwei Gruppen untersucht: Menschen, die sich bereits mit dem Coronavirus infiziert haben; und solche, die mit dem Erreger nicht in Kontakt gekommen sind. Was waren die Ergebnisse?

Virusforscher Florian Krammer
privat

Zur Person

Nach seinem Studium der Biotechnologie an der Boku Wien ging Florian Krammer zunächst als Postdoc an die Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, seit 2013 leitet er dort eine Forschungsgruppe. Krammer versucht mit seinem Team einen universellen Grippeimpfstoff herzustellen, erforscht Hantaviren, Arenaviren – und neuerdings auch Coronaviren.

Florian Krammer: Die Studie bestätigt, dass das Immunsystem gut mit dem Virus umgehen kann. Wenn man mit SARS-CoV-2 infiziert ist, reagiert der Körper mit einer Immunantwort von T-Zellen, genauer: von CD4+ und CD8 T-Zellen. Letztere sind für die Zerstörung infizierter Zellen verantwortlich, die CD4+-Zellen sind für die Bildung von Antikörpern wichtig. Das ist eine gute Nachricht für die Impfstoffentwicklung. Die Studie zeigt, dass Impfstoffe eine Immunantwort hervorrufen werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit gegen das Virus schützt.

Was bedeutet das für die Möglichkeit, dass sich Menschen mehrmals mit dem Coronavirus infizieren könnten – eine Entwarnung?

Krammer: Da gab es zwar einige Berichte, etwa aus China, Korea und Japan. Doch ich glaube nicht, dass es sich um echte Reinfektionen gehandelt hat. Laut neueren Untersuchungen wurde bei den Tests genetisches Material aus toten Zellen nachgewiesen – aber keine infektiösen Viren. Ganz ausschließen können wir die Möglichkeit von Reinfektionen nicht, die Erfahrungen an anderen Coronaviren zeigen jedenfalls: Sobald man infiziert war, bietet das Immunsystem einen guten Schutz. Und wenn es dennoch zu einer neuen Infektion kommt, dann treten entweder gar keine Symptome auf oder nur sehr milde.

Wie lange könnte dieser Schutz gegen SARS-CoV-2 wirken?

Krammer: Vermutlich nicht lebenslang wie bei anderen Virusinfektionen, aber man kann davon ausgehen, dass der Schutz zumindest ein bis drei Jahre hält. Es kommt zu einer guten Antikörperantwort und – wie wir jetzt wissen – auch zu einer guten Reaktion der T-Zellen. An unserem Spital wurden 35.000 Leute auf Coronavirus-Antikörper getestet. Von jenen, die positiv waren, hat sich niemand wieder infiziert. Der Datensatz ist verlässlich. Und wie gesagt: Sollte es doch zu Reinfektionen kommen, dann wird das ein sehr milder Krankheitsverlauf sein.

Kann man aufgrund der von Ihnen gesammelten Daten ableiten, welcher Impfstoff Aussicht auf Erfolg hat?

Krammer: Ich denke, es ist sehr wichtig, dass Impfstoffe neutralisierende Antikörper induzieren. Das sollte das Ziel sein – und ist auch bei vielen Impfstoffen, die sich nun in der klinischen Phase eins oder zwei befinden, der Fall. Hier ist es nicht so wie bei der Grippe oder HIV, wo sich der Erreger dauernd verändert. So gesehen wird die Impfstoffentwicklung bei SARS-CoV-2 ein relativ einfaches Unterfangen sein. Schlussendlich werden viele Impfstoffe auf dem Markt sein, was auch wichtig wäre: Denn ich glaube nicht, dass eine einzelne Firma imstande sein wird, den globalen Bedarf zu decken.

Küsntlerische Darstellung: T-Zelle iim Körper
La Jolla Institute
T-Lymphozyt zerstört eine kranke Zelle

Welcher Methode räumen Sie die größten Erfolgschancen ein?

Krammer: Meine persönlichen Favoriten sind Totimpfstoffe, das bedeutet: Zunächst wird das Virus gezüchtet, dann inaktiviert man es chemisch und verwendet es als sogenannten inaktivierten Impfstoff. Das ist eine alte Methode, die sich schon bei vielen Viren bewährt hat. Vorreiter war eine chinesische Firma, Sinovac, die hatte bereits das gleiche Konzept für einen SARS-Impfstoff verwendet – ich kann mir gut vorstellen, dass das Konzept bei SARS-CoV-2 ebenfalls aufgeht.

Wann könnte die Impfung verfügbar sein?

Krammer: Eine schwierige Frage. Ich nehme an, dass die ersten Impfstoffe Ende des Jahres auf den Markt kommen. Die Frage ist nur: Wo und für wen? Ich erwarte, dass China die ersten Impfstoffe vor den westlichen Staaten haben wird, da befinden sich schon einige Kandidaten in der Phase zwei klinischer Studien. Man wird sich überlegen müssen, wem man die Impfstoffe zur Verfügung stellt, denn zu Beginn wird es noch keine großen Mengen davon geben. Soll der Impfstoff zunächst an medizinisches Personal verteilt werden oder an Hochrisikogruppen? Das wäre zu klären.

Kommen wir zum zweiten Teil Ihrer Studie: 40 bis 60 Prozent der Bevölkerung haben laut ihren Untersuchungen bereits vor dem ersten Viruskontakt T-Zellen im Blut, die auf SARS-CoV-2 reagieren. Was bedeutet das?

Krammer: Diese Menschen waren vermutlich alle in Kontakt mit Corona-Erkältungsviren. Es gibt T-Zellen, die durch diesen Kontakt gebildet wurden und auch auf SARS-CoV-2 reagieren können. Natürlich war die Anzahl der T-Zellen sehr gering im Vergleich mit Menschen, die sich bereits mit SARS-CoV-2 infiziert haben, aber die Kreuzreaktivität ist da. Was nicht besonders überraschend ist, wenn man bedenkt, dass es zwischen den Proteinen von SARS-CoV-2 und beispielsweise den humanen Beta-Coronaviren große Ähnlichkeiten gibt. Ob diese T-Zellen auch eine Schutzfunktion haben, ist unklar.

Aber es wäre möglich?

Krammer: Es könnte einen Einfluss auf die Infektion haben. CD8-Zellen führen zum Beispiel nicht zu einer sterilisierenden Immunität, die kommen erst ins Spiel, wenn die Infektion bereits gestartet wurde. Sterilisierend wirken nur Antikörper. Es könnte sein, dass die Symptome weniger stark ausgeprägt sind.

Andererseits gab es bei diesen Probanden auch eine Antwort von CD4+-Zellen. Und die haben einen Einfluss auf die Produktion von Antikörpern.

Krammer: Ja, nur war die Zahl dieser Zellen sehr gering. Man kann mit diesem Befund vermutlich nicht erklären, warum manche Menschen krank werden und andere nicht. Einer der Gründe dafür ist: Je älter man ist, desto öfter wird man mit diesen Corona-Erkältungsviren konfrontiert. Wir wissen aber: Die meisten Kinder reagieren auf SARS-CoV-2 asymptomatisch, die Krankheit wird mit dem Alter immer schlimmer – obwohl man dann mehr kreuzreaktive T-Zellen haben sollte. Wir müssen vorsichtig sein, nicht zu viele Schlussfolgerungen zu ziehen. Man muss sich das noch im großen Stil ansehen, momentan haben wir noch nicht genügend Daten.

Wenn man sich die Länderstatistiken zu CoV-19 ansieht, fällt auf: Die Unterschiede sind nach wie vor beträchtlich, zum Beispiel beim Vergleich USA und Indien. Natürlich wird das am unterschiedlichen Einsatz von Tests, an Zählweisen und anderem mehr liegen – aber könnte das auch etwas mit den kreuzreaktiven T-Zellen zu tun haben?

Krammer: Unmöglich ist es nicht, aber ich halte es für unwahrscheinlich. Sie hätten mir die gleiche Frage vor anderthalb Monaten im Hinblick auf die USA und Brasilien stellen können. Mittlerweile gibt es in Brasilien sehr viele Erkrankungen und Todesfälle. Ich nehme an, dass sich auch Indien in diese Richtung entwickeln wird. Ob es in manchen geographischen Regionen mehr Resistenzen gegen SARS-CoV-2 gibt als anderswo, können wir noch nicht beantworten. Ich persönlich glaube es nicht. Das können wir uns in ein, zwei Jahren ansehen – anhand der Zahlen, die es dann gibt.

Im Prinzip gibt es zwei Szenarien für die Zukunft: Entweder der Erreger verschwindet oder es kommt zu saisonalen Erkrankungswellen, ähnlich wie bei der Grippe. Was ist aus Ihrer Sicht wahrscheinlicher?

Krammer: Ich gehe davon aus, dass es zu einer Mischform beider Szenarien kommen wird. Wir werden mit Impfstoffen eine Herdenimmunität erreichen und hoffentlich auch eine gute globale Abdeckung. Allerdings glaube ich nicht, dass die Impfstoffe zu einer lebenslangen Immunität führen. Es wird eher so werden wie bei der Zeckenimpfung, wo es alle paar Jahre eine Auffrischung braucht. Der Erreger wird zwar nicht verschwinden, aber bei einmal erkrankten oder geimpften Personen sollte er auch keine schweren Erkrankungen mehr hervorrufen. Das Problem wird sich innerhalb der nächsten Jahre lösen.