Schneckenforscher Angus Davison mit zwei spiegelbildlichen Schneckenhäusern
Shanthi Davison
Shanthi Davison
Verkehrt

Schneckenkönig auf Partnersuche

Weil die Schnecke Jeremy mit ihrem verkehrt gewundenen Schneckenhaus keine Sexualpartner finden konnte, starteten britische Biologen vor vier Jahren die Suchaktion „lefty snail“ – und verhalfen dem einsamen Weichtier doch noch zu Nachwuchs. Jetzt ist eine Studie über die kuriose Kampagne erschienen.

Dass die Forscher um den Evolutionsgenetiker Angus Davison ihr Fundstück „Jeremy“ getauft haben, hat mit dem britischen Gewerkschaftsfunktionär Jeremy Corbyn beziehungsweise mit seiner (linken) Politik zu tun. Ansonsten hätten sie das auf einem Londoner Komposthaufen entdeckte Tier auch „Jessica“ nennen können, denn Weinbergschnecken sind Hermaphroditen, Männchen und Weibchen zugleich.

Aber klar, wenn man ein Weichtier ins mediale Rampenlicht stellen will, dann kann ein Name, sei er nun weiblich oder männlich, nicht schaden. Im Fall von Jeremy gab es auch gute Gründe, das zu tun: Sogenannte Schneckenkönige, also Tiere mit einem linksseitig gewundenen Haus sowie spiegelverkehrt angeordneten Organen, sind sehr selten. Und bis vor Kurzem war nicht klar, wie diese Laune der Natur entsteht. Sind die Gene dafür verantwortlich? Oder unbekannte Umweltfaktoren?

Das Problem mit dem Sex

Ob das Merkmal erblich ist, ließe sich am Nachwuchs der Schnecke relativ leicht erkennen. Allerdings können Schneckenkönige nur mit ihresgleichen Sex haben – nicht aber mit den „normalen“ rechtsseitigen Artgenossen. Es sah schlecht aus für das Liebesleben von Jeremy.

Vor diesem Problem stand Angus Davidson im Jahr 2016. So wandte sich der Evolutionsgenetiker von der University of Nottingham per Twitter an die Öffentlichkeit, um Laienforscher für die Suche nach geeigneten Sexualpartnern für den Schneckenkönig zu gewinnen.

An medialem Echo mangelte es nicht, die BBC griff die Story auf, ebenso die New York Times, die Welt und der ORF, insgesamt waren es etwa 1.000 Medienberichte, die die Geschichte von der einsamen Schnecke zum Thema hatten – und Jeremy binnen kurzer Zeit zum wohl prominentesten Weichtier der Welt machten.

“Entsteht nicht durch Vererbung“

Nun wendet sich Davison erneut an die Öffentlichkeit, diesmal mit einer wissenschaftlichen Bilanz im Fachblatt „Biology Letters“. Der Artikel ist mit ein paar launigen Formulierungen gewürzt (die Schnecke, ein „internet shellebrity“), ansonsten widmet sich Davison in ernsthaften Tonfall jenen Fragen, die ein spiegelbildlich aufgebauter Organismus im Allgemeinen und Jeremy im Speziellen eben aufwirft.

Zwei spiegelbildlich gebaute Weinbergschnecken
Angus Davison, University of Nottingham
Jeremy (rechts) mit spiegelbildlich gebautem Artgenossen

Was die Suche nach anderen Schneckenkönigen betrifft, zieht der Evolutionsgenetiker eine positive Bilanz. Die rekrutierten Laienforscher fanden insgesamt 45 potenzielle (linksseitige) Sexualpartner. Mit der Fortpflanzung lief es zunächst nicht so gut, Jeremy wurde von den anderen Weinbergschnecken zu Beginn verschmäht, doch schließlich klappte es. Kurz vor Jeremys Tod im Jahr 2017 kamen 56 Schnecken zur Welt, bei zumindest einem Drittel lässt sich die Vaterschaft des prominenten Schneckenkönigs nachweisen, wichtiger aber ist: Die Kinder und Kindeskinder der linksseitig gebauten Schnecken hatten allesamt rechtsseitige Schneckenhäuser und ebenso „normal“ orientierte Organe.

Ausnahmen brachten bloß Links-Rechts-Kreuzungsexperimente mit französischen Schnecken, doch auch die waren so selten, dass Davison eine direkte Wirkung genetischer Faktoren ausschließen kann: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass spiegelbildlich gebaute Schnecken durch Fehler in der Embryonalentwicklung entstehen und nicht durch Vererbung.“

Für mögliche Anwendungen der Erkenntnisse jenseits der Weichtierkunde ist das eher keine gute Nachricht. Spiegelbildlich angeordnete innere Organe sind als Situs inversus auch beim Menschen bekannt, das Phänomen tritt bei etwa 0,01 Prozent der Bevölkerung auf und hat nach bisherigem Wissensstand auch genetische Ursachen – im Gegensatz zur Weinbergschnecke.