Rendering des umgebauten Hitlerhauses
Marte.Marte
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Hitler-Geburtshaus

Zurück zum Biedermeier

Nach jahrelangen Kontroversen ist seit dieser Woche klar, wie das Hitler-Geburtshaus in Braunau künftig aussehen wird. Ob das „unerwünschte Kulturerbe“ damit zur Ruhe kommt, bezweifelt die Historikerin Laura Langeder. Sie hält die gefundene Lösung nicht nur architektonisch für eine Rückkehr zum Biedermeier, wie sie in einem Gastbeitrag ausführt.

Ein recht unspektakuläres Haus im oberösterreichischen Braunau am Inn hält die österreichische Politik schon seit Jahren auf Trab. In diesem ehemaligen Gasthaus kam 1889 Adolf Hitler zur Welt, während seine Eltern dort zur Miete wohnten. Kurze Zeit nach seiner Geburt zog die Familie um. Trotz dieser flüchtigen Verbindung zwischen dem Haus und der Person wurde es während der NS-Diktatur als „Führer Geburtshaus“ inszeniert und als touristisches Kulturzentrum genutzt.

Umso schwieriger wurde der Umgang mit dem Haus nach 1945. So wurde es nach dem Rückverkauf an die früheren Gastwirte zuerst von der Stadt Braunau und später von der Republik Österreich angemietet. Das Haus hatte eine Reihe von pragmatischen Funktionen bis es zuletzt von der Lebenshilfe als Tagesheimstätte für Menschen mit Behinderung genutzt wurde. Als die gemeinnützige Organisation 2011 auszog, wurde die Diskussion um die weitere Nutzung neu entfacht.

Porträtfoto der Historikerin Laura Langeder
hdgö

Über die Autorin

Laura Langeder forschte während ihres Studiums am University College London zu Conflict Heritage und der Rolle des Geburtshauses von Adolf Hitler als österreichisches Kulturerbe. Die Historikerin ist Objektmanagerin am Haus der Geschichte Österreich (hdgö).

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Die schwierige Kooperation mit der privaten Eigentümerin des Hauses führt zur Entscheidung des österreichischen Parlaments, die Frau zu enteignen und das Haus als Bundeseigentum zu übernehmen. Eine 2016 einberufene Expertenkommission sollte das Innenministerium dabei unterstützen, eine angemessene Nutzung für das Gebäude zu finden, aber ein Rechtsstreit mit der enteigneten Voreigentümerin verzögerte die Lösungsfindung. Im November 2019 wurde eine Entscheidung verkündet: Am Haus sollen architektonische Änderungen vorgenommen werden, danach soll es als Polizeistation dienen.

Unerwünschtes Kulturerbe

In einer globalisierten Welt gewinnt die Idee des Kulturerbes stetig an Bedeutung, nicht bloß als Ressource für den Tourismus, sondern auch als Repertoire für identitätsstiftende Prozesse in einer Gesellschaft. Allem voran wird baulichem Kulturerbe eine die Zeiten überdauernde Repräsentationskraft zugeschrieben, und so spielt es oft eine tragende Rolle in der Bildung des Selbstverständnisses einer Gesellschaft.

Wie ist aber umzugehen mit Bauwerken, die sich nicht für positive Identifikation anbieten? Die britische Ethnologin Sharon Macdonald prägte den Begriff „undesired heritage“, zu Deutsch „unerwünschtes Kulturerbe“, in Hinblick auf das ehemalige Nürnberger Reichsparteitagsgelände. Sie beschreibt damit materielle Relikte einer Vergangenheit, die sich nicht mehr mit dem zeitgenössischen Selbstverständnis einer Gesellschaft vereinbaren lassen oder einen errungenen Konsens gefährden, indem sich an ihnen alte Konflikte wieder entzünden. Als besonders schwierig stellt sich dabei der Umgang mit Orten dar, die mit TäterInnenschaft einer gewaltsamen Vergangenheit in Verbindung gebracht werden können. Weder soll die eigene konfliktreiche Vergangenheit zu stark in den Fokus rücken, noch soll den TäterInnen und deren AnhängerInnen eine Bühne zur Glorifizierung geboten werden.

Dabei sind kommende Generationen gerade in einer Zeit immer älter werdender ZeitzeugInnen auf stumme Zeugnisse der Vergangenheit – Gebäude, Orte und Denkmäler – angewiesen, um das Vergangene fassbar und so verstehbar zu machen. Aus oft legitimen Ängsten, dass die Musealisierung von TäterInnenschaft als Würdigung missverstanden werden könnte, findet deren Geschichte allerdings nur selten ein Medium, das die Hintergründe und Mechanismen der solchen differenziert beleuchten.

Das aktuelle Aussehen des Hauses
APA/MANFRED FESL
Der Ist-Zustand des Hauses

Gefühlte Verbindung zur Vergangenheit

Das Geburtshaus von Adolf Hitler stellt in diesem Zusammenhang eine besondere Herausforderung dar. Es ist kein TäterInnen-Ort im klassischen Sinne: In diesem Haus ist weder ein Verbrechen geplant noch begangen worden. Obwohl die Inszenierung des Hauses als Tourismus-Hotspot während der NS-Herrschaft dem Haus durchaus den Charakter eines solchen TäterInnen-Ortes gibt, stellt das Ereignis, wofür es im Rampenlicht steht, – nämlich die Geburt Adolf Hitlers – keine Verbindung zu einem Verbrechen her. Reicht nun aber die symbolische Aufladung und Konnotation, um einen TäterInnen-Ort entstehen zu lassen?

Die unschlüssige Haltung der Politik, der Konflikt unter ExpertInnen, die Neugierde, die das Haus in der Öffentlichkeit erzeugt, und die Anziehungskraft, die es nicht nur, aber vor allem, auf AnhängerInnen einer Gewaltideologie ausübt, demonstrieren die Wirkung dieser, wie manche meinen, überspitzten symbolischen Verknüpfung des Geburtshauses mit dem Verbrecher. Geburts- und Todesorte werden von vielen als spirituelle oder auratische Orte empfunden und stellen als solche eine gefühlte Verbindung zu einer ansonsten unzugänglichen Vergangenheit dar.

Darüber hinaus ist die Idee materieller Objekte als Träger zeitenüberdauernder Essenz allgegenwärtig und begegnet uns besonders in aktueller Populärkultur, so beeinflusst im Roman „Der Herr der Ringe“ der Charakter Sauron die Gegenwart durch einen Ring, und Voldemord, der Bösewicht der Harry Potter-Saga, hält sich durch das Aufteilen seiner Seele auf verschiedene magisch aufgeladene Gegenstände am Leben.

Rendering des umgebauten Hitlerhauses
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So soll das Haus in Zukunft aussehen

Die „neutrale“ Nutzung

Über die Jahre wurden verschiedenste Lösungsansätze für den Umgang mit der auratischen Behaftung des Hauses als materielles Relikt des Lebens von Adolf Hitler vorgeschlagen: von der Idee der Umwandlung des Ortes in einen historisch relevanten Lernort über den Vorschlag einer neutralen Nutzung mit erklärender Kontextualisierung zur voreilig anmutenden und später zurückgezogenen Entscheidung eines Abrisses.

Im November 2019 traf der damalige Bundesminister Wolfgang Peschorn die offenbar endgültige Entscheidung: Das Gebäude solle im Zuge eines Architekturwettbewerbes baulich verändert und anschließend einer neutralen Nutzung als Polizeistation zugeführt werden, wie auch schon 2016 von einer Expertenkommission vorgeschlagen. Diese Woche wurde vom amtierenden Innenminister Karl Nehammer nun auch der Gewinner des 2019 angekündigten Wettbewerbs vorgestellt.

1938 bis 1945 unsichtbar machen

Die demokratische Kultur eines Landes erkenne man an dessen Umgang mit seiner Geschichte meinte Innenminister Nehammer in der entsprechenden Pressekonferenz. Dabei fällt auf, dass ein Konzept ausgewählt wurde, welches die ursprüngliche Form des aus dem Biedermeier stammenden Hauses zum Vorbild nimmt und die neue Polizeistation möglichst unauffällig in die denkmalgeschützte Innenstadt einbettet. Welches geschichtspolitische Signal mit dieser Lösung verbunden ist, ist zu fragen. Dass darin tatsächlich ein sehr bewusster Umgang mit der Vergangenheit erkennbar ist, lässt sich schwer argumentieren.

Zu nahe liegt eine Deutung, welche die Annäherung an die Gebäudeform vor 1938 als Versuch verstehen könnte, die schambehaftete Episode von 1938 bis 1945 unsichtbar zu machen. Durch fehlende historische Kontextualisierung sollte das Haus als „neutral“ markiert werden. Durch die nun beschlossene, eben nicht Neu-, sondern Rückgestaltung, wird der dem Gebäude innewohnende historische Kontext der Baumaterie sogar beseitigt. Gleichzeitig wird es aber durch einen kostspieligen Umbau ins Rampenlicht gerückt, ohne der so möglicherweise nochmals bestärkten Symbolkraft des Gebäudes eine wertende Positionierung entgegenzusetzen.

Hitler-Geburtshaus: Scharfe Kritik an Plänen

Die geplante Umgestaltung des Hitler-Geburtshauses in Braunau stößt auf Widerstand. Kritisch betrachtet wird vor allem, dass möglichst nichts mehr auf den historischen Kontext des Hauses hindeuten soll.

Demokratie, auch bei Unangenehmen?

Doch auch jetzt, wo die Weichen für eine zukünftige Nutzung als Polizeistation gestellt sind, bleibt eine Frage trotzdem offen: Wem gehört dieses „unerwünschte Kulturerbe“? Wer hätte an der Entscheidungsfindung über eine künftige Funktion des Hauses miteinbezogen werden sollen? Eine naheliegende Interessensgruppe sind selbstverständlich die BraunauerInnen, die bisher noch nicht systematisch zu ihrer Meinung befragt wurden. Auch wäre die Haltung verschiedener Opfergruppen des NS-Regimes zu berücksichtigen, wenn über einen mit Adolf Hitler assoziierten Ort entschieden wird.

Die Frage nach Mitspracherecht lässt sich beinahe endlos weiterführen, da Orte des Nationalsozialismus europäische, wohl sogar globale Relevanz haben. Und wenn man die Verbrechen des NS-Regimes als Traumata erkennt, welche die Leben ganzer Generationen beeinflussen, dann muss man die Frage nach dem Mitspracherecht auch generationenübergreifend verstehen. Bedenkt man die Bedeutung und Symbolkraft, die Bauerbe innewohnen kann, muss man hinterfragen, ob ein Lösungsansatz „von oben“, ohne Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit, das mit diesem schwierigen Ort verbundene Stigma auflösen kann.

Bis 2023 soll der Umbau des Geburtshauses von Adolf Hitler abgeschlossen sein. Ob die „neutrale“ Nutzung des Gebäudes in Form einer unauffällig gestalteten Polizeistation Österreich tatsächlich helfen wird, mit seinem ungeliebten Kulturerbe leben zu lernen, wird wohl nur die Zeit zeigen.