Geköpfte Statue von Christopher Columbus in Boston/Massachusetts
Joseph Prezioso / AFP
Joseph Prezioso / AFP
Geschichte

Umstrittene Statuen: Ab ins Museum!

Weltweit wackeln gerade Denkmäler vergangener „Helden“, und das wird ebenso weltweit diskutiert. Von „Taliban-Methoden“ sprechen Kritiker, andere sehen in den Denkmalstürzen den historischen Normalfall. Statuen zu zerstören empfehlen Experten und Expertinnen freilich nicht. Ihr Rat: Zusatztafeln, Gegendenkmäler und „ab ins Museum!“

Nachdem ein weißer Polizist den Afroamerikaner George Floyd getötet hatte, entlud sich der Protest gegen Rassismus in den USA auch an Denkmälern. Demonstranten stürzten etwa Statuen von Christoph Kolumbus und bemalten Denkmäler von Südstaaten-Generälen des amerikanischen Bürgerkriegs.

Die Beispiele machten Schule, und so gerieten auch Statuen in vielen anderen Ländern ins Visier von Aktivistinnen und Aktivisten – im britischen Bristol etwa wurde eine Statue des Sklavenhändlers Edward Colston im Wasser versenkt, in Belgien waren Denkmäler des – im Kongo als brutaler Kolonialherr auftretenden – Ex-Monarchen Leopold II. Zielscheiben, und sogar in Österreich fanden sich ein paar Nachahmer. Sie malten in den vergangenen Tagen Denkmäler des (antisemitischen) Bürgermeisters Karl Lueger in Wien, des (nationalsozialistischen) Heimatdichters Hans Klöpfer in Graz und des Hakenkreuzlied-Dichters Ottokar Kernstock in Hartberg mit roter Farbe an. Daraus hat sich eine Debatte entwickelt, warum Statuen für aktuelle politische Auseinandersetzungen so bedeutsam sind.

„Geschichte ist keine moralische Anstalt“

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann von der Universität Wien etwa argumentierte in der „NZZ“, dass „wir keine bessere Welt schaffen, wenn wir diese von allen Dokumenten reinigen, die uns daran erinnern könnten, dass die Geschichte keine moralische Anstalt ist“. Die Kunsthistorikerin Erin Thompson hingegen meinte in einem „New York Times“-Interview, dass die Zerstörung von Denkmälern „historisch die Norm und die Bewahrung die seltene Ausnahme“ ist. „Seit wir Menschen Kunst machen, haben wir Statuen gebaut, um Menschen und Ideen zu glorifizieren. Zugleich haben andere Menschen begonnen, sie wieder abzureißen.“ Beispiele dafür seien schon im antiken Reich der Assyrer vor fast 5.000 Jahren verbürgt.

Also sozusagen historisches business as usual? Nicht ganz. Die aktuellen Angriffe auf Denkmäler stellten nicht nur die Zukunft infrage, sondern auch die Vergangenheit, meint Thompson. In den USA ist das ganz offensichtlich, die nun angegriffenen Denkmäler erinnern den Süden an den verlorenen Bürgerkrieg – viele von ihnen wurden oft erst in den 1930er Jahren errichtet, in einer Art Gegenreaktion zur Frühphase der Bürgerrechtsbewegung. „Jimmy Carter hat das einmal, 20 Jahre bevor er US-Präsident wurde, so ausgedrückt: ‚Die Denkmäler repräsentieren die Integration des Südens in die USA“, erklärt der Politikwissenschaftler Andreas Pribersky von der Universität Wien. „Diese Integrationsfunktion haben sie offenbar verloren.“

Denkmalsturz ist nicht gleich Denkmalsturz

Die Statuen von Konföderierten-Generälen wie Robert Lee seien immer mehr zu Symbolen für Sklaverei und Unterdrückung der Afroamerikaner geworden. „Bei den aktuellen Denkmalstürzen in den USA geht es darum, einen öffentlichen Raum zu organisieren, in dem diese Symbole der Unterdrückung keinen Platz mehr haben“, sagt Pribersky. Sie ins Meer zu werfen, vom Sockel zu holen oder mit roter Farbe zu überschütten ist für manche linke, antikoloniale Aktivisten und Aktivistinnen die logische Konsequenz.

Ähneln sie damit den Taliban oder IS-Mitgliedern, die Buddha-Statuen und Tempel zerstört haben, wie manche Kritiker meinten, darunter etwa der Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz in der „Welt“? Nein, meint der Politologe Pribersky. Denn während die Islamisten einen öffentlichen Raum mit nur einer Wahrheit schaffen wollten, gehe es bei den aktuellen Denkmalstürzen um eine kritische Einordnung von Helden der Vergangenheit – sowie darum, zu zeigen, dass ihre Symbole „aus dem öffentlichen Raum in einen anderen Zusammenhang gestellt werden und dass ihnen dann eindeutig ein Platz in der Vergangenheit und nicht mehr in der Gegenwart zugewiesen wird“.

Lueger sollte schon vor zehn Jahren gekippt werden

Die Wissenschaft rät also nicht zum Sturz von Statuen, sondern zur Musealisierung. „Denkmäler sollten nicht einfach entfernt werden, wenn sie nicht mehr der Gegenwart entsprechen. Stattdessen plädiere ich dafür, sie zu kontextualisieren, also durch eine breitere Diskussion neu einzuordnen und zu interpretieren“, sagt etwa Monika Sommer, Historikerin und Direktorin des Hauses der Geschichte Österreich. „So ist es auch zum Beispiel beim Lueger-Denkmal in Wien geschehen, das durch eine Zusatztafel nun eine differenzierte Betrachtung zur Person bietet.“

Die jüngste Rotbemalung konnte diese Zusatztafel nicht verhindern. Der Historiker Anton Tantner von der Universität Wien spricht sich so für größere „Eingriffe“ aus und erinnert in einem FM4-Interview an den zehn Jahre alten Vorschlag, das Karl-Lueger-Denkmal buchstäblich nach rechts zu kippen. „Die Schieflage erinnert an ein untergehendes Schiff oder ruft das vage Gefühl von Vergänglichkeit und Unbeständigkeit hervor“, schrieb damals der Schöpfer der Idee, Klemens Wihlidal, „so als müsse man zusehen, wie das Denkmal abgetragen wird, oder zumindest damit rechnen, dass es nicht mehr lange steht“.

Skizze des gekippten Lueger-Denkmals
Luegerplatz.com – Klemens Wihlidal
Skizze des gekippten Lueger-Denkmals

Gegendenkmäler und neue Rituale

Ähnlich sieht das die Kulturwissenschaftlerin Nicole Immler von der Universität Utrecht in den Niederlanden. „Von vielen Seiten gibt es den Ruf, die Mehrstimmigkeit der Geschichte sichtbarer zu machen. Doch dafür scheint es mir nicht genug, die Beschriftung zu verändern, sondern auch andere Referenzgrößen in den öffentlichen Raum zu stellen.“ Immler plädiert deshalb für „Gegendenkmäler“, ein Begriff des US-Judaisten James Young. „Diese Gegendenkmäler gehen dann mit dem alten Denkmal – oder dessen Leerstelle – ins Gespräch. Schließlich geht es auch darum, die Rituale in einer Gesellschaft zu erneuern und dafür eine neue Formensprache zu finden – eine, die der Mehrstimmigkeit unserer Geschichte und Gesellschaft mehr Recht tut“, so Immler.

Gegendenkmäler müssten nicht notwendigerweise aus Stein oder Bronze, sondern können auch eine Art Ritual sein. Ein Beispiel: „Jeden 1. Juli wird in Amsterdam am Nationalen Monument zum Gedenken an die Abschaffung der Sklaverei im Oosterpark ein Ritual zelebriert. Eine Witi-Priesterin trägt eine Maske, die neu kreiert wurde von einem Künstler, um damit Tradition und Gegenwart miteinander zu verbinden und zu zeigen, dass dies ein dynamisches Verhältnis ist.“

Geköpfte Statue von Christopher Columbus in Boston/Massachusetts
Joseph Prezioso / AFP
Geköpfte Statue von Christoph Kolumbus in Boston/Massachusetts

Wie nach 1989

Ein Vorbild für die aktuellen Ereignisse sieht Politologe Pribersky in der Zeit nach 1989. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wurden viele Statuen in Osteuropa zerstört oder ins Museum überstellt. Ein Beispiel für letzteres betrifft einen Panzer, der 1945 die Befreiung Prags vom Nationalsozialismus symbolisierte, nach 1968 aber die Niederschlagung des Prager Frühlings. 1991 übermalten Künstler den Panzer rosafarben. „Das hat heftige Konflikte mit Russland bzw. der Sowjetunion mit sich gebracht und auch zur Musealisierung dieses Panzers geführt“, erzählt Pribersky. „Eine ähnliche Transformation von Symbolen im öffentlichen Raum können wir nun auch in den USA beobachten.“

Wenn heute die Statuen von Sklavenhändlern oder Generälen fallen, dann ist das zwar noch immer umstritten, komme aber nicht überraschend, so Pribersky. „Was jetzt passiert, ist ein Teil eines langen Prozesses, der eigentlich den Stand der öffentlichen Meinung eher schon nachvollzieht und nicht am Beginn dieser Entwicklung steht. Das gilt übrigens auch in Österreich mit Lueger.“ So wie der Antisemitismus des Bürgermeisters schon vor vielen Jahren neben seine unbestreitbaren Verdienste gestellt wurde, gebe es auch in vielen anderen Ländern Persönlichkeiten, bei denen erst der Ruf und dann ihr Denkmal bröckelte.