Mehrere Bildschirme, einer mit einer Videokonferenz
AFP – FRANCK FIFE
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Politik

Kritik an Onlineumstellung an den Unis

Der „Lock-down“ Mitte März hat aus den Universitäten Onlineunis gemacht. Die Hauptlast der Umstellung trugen die Lehrenden, ein Großteil von ihnen arbeitet mit befristeten und nicht gerade üppig dotierten Verträgen. Von Politik und Hochschulleitungen sei viel zu wenig Unterstützung gekommen, kritisieren nun viele.

Ein ungewöhnliches Semester geht zu Ende. „Es war fast verwunderlich, wie perfekt das alles funktioniert hat“, resümiert Karl Reiter, Betriebsratsvorsitzender der Universität Wien und stellvertretender Vorsitzender der Universitätengewerkschaft gegenüber science.ORF.at. Mitte März habe es „nur wenige Tage gedauert, dann war die Lehre auf ‚Distance Learning‘ bzw. ‚Distance Teaching‘ umgestellt. Funktioniert hat das aber nur aufgrund der Privatinitiative der Lehrenden.“ Denn für die nötigen Laptops, Kameras, Headsets etc. habe es „keinen Cent gegeben“ – weder von den Universitäten noch vom Ministerium.

Die Heimarbeit erzeugte bei den Lehrenden zusätzliche Kosten, neben Hardware etwa auch für die Internetverbindungen. „Wir erwarten uns, dass die Universitäten diese zusätzlichen Kosten abgelten. Denn es kann nicht sein, dass sie von uns Weltklasselehre verlangen und die Arbeitsmittel nicht bereitstellen“, sagt Christian Cargnelli, Präsident der IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen und Filmwissenschaftler an der Uni Wien.

Uni Wien: 4.500 Videokonferenzen pro Woche

Ob die Onlinelehre im Coronavirus-Semester „Weltklassequalität“ hatte, ist noch nicht untersucht. Rein quantitativ war sie ein großer Erfolg. Allein an der Universität Wien, der mit Abstand größten Uni des Landes, nutzten in diesem Semester im Schnitt 40.000 Menschen pro Wochentag die Onlinelernplattform Moodle, bei rund 50.000 aktiv Studierenden. 98 Prozent der Lehrenden haben ihre Lehrveranstaltungsmaterialien angepasst, 60 Prozent ganz neue Lehrkonzepte erstellt, heißt es vonseiten der Uni. Im Mai wurden durchschnittlich 4.500 Videokonferenzen pro Woche abgehalten, von März bis Ende Mai rund 48.000 Prüfungen digital durchgeführt.

Mann tippt in Laptop-Tastatur
beeboys – stock.adobe.com

Damit befindet sich die Uni Wien – und die meisten anderen Hochschulen des Landes – im internationalen Trend. Laut einer Umfrage unter Leitern und Leiterinnen von 200 Hochschulen in 53 Ländern hat mehr als die Hälfte ihre Lehrveranstaltungen während der Pandemie komplett digitalisiert. 44 Prozent führten Prüfungen ausschließlich digital durch, manche Fächer wie Medizin, Bodenkultur und Biologie seien aber schwerer zu digitalisieren als andere – wie Computer-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

40 Prozent der Hochschulleiterinnen und -leiter halten die Qualität der Onlinelehre für mindestens so gut wie die Präsenzlehre vor dem Coronavirus. 80 Prozent glauben, dass die plötzliche Erfahrung mit Zoom- und Jitsi-Konferenzen die Unis nachhaltig verändern wird und Mischformen von Präsenz- und Onlinelehre bleiben werden, wie es in der Umfrage von „Times Higher Education“ (THE) und Microsoft heißt.

Kein Extrageld für Mehraufwand

Das alles führt zu einem deutlich höheren technischen Aufwand, der im „Coronavirus-Semester“ in Österreich oft von den Lehrenden getragen wurde. „Im März hat es die Unis kalt erwischt – im nächsten Semester ist das aber nicht mehr der Fall“, sagt Unigewerkschafter Reiter. „Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben werden die Unimitarbeiter abwechselnd von der Uni und von zu Hause arbeiten müssen. An den Computern in den Instituten gibt es aber keine Ausrüstung wie Kameras, Headsets etc., die für die Onlinelehre nötig wären. Da braucht es enorme Investitionen.“

Das nächste Semester, so viel steht jetzt schon fest, wird ein „hybrides“ sein, wie es Sabine Seidler, Präsidentin der Universitätenkonferenz (uniko), vor Kurzem nannte – also eine Mischung aus Präsenz- und digitaler Lehre. Extra Geld, wie von den Lehrendenvertretern gefordert, wird es dabei eher nicht geben. Das Wissenschaftsministerium verweist auf Anfrage auf Unidigitalisierungsprojekte, denen bereits knapp vor der Coronavirus-Krise Fördermittel von 50 Mio. Euro zugesprochen wurden. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass Onlinelehre und -forschung ein wichtiges Thema bei den Leistungsvereinbarungen sein werden, die Ministerium und Universitäten für die Periode 2022–2024 bis Herbst verhandeln.

Unterschiedliche Lebensrealitäten berücksichtigen

Die schockhafte Umstellung auf Online und die bleibende hybride Form ist aber nicht nur eine Frage des technischen Mehraufwands. Viele Lehrende fürchten, dass dieser ebenso bleibt wie jener, der durch die Erarbeitung neuer Lehrkonzepte und -materialien entstanden ist. Wie bei anderen Berufsgruppen sollte zudem mehr Rücksicht auf die konkrete Lebenssituation im Homeoffice genommen werden, meint Josefa Maria Stiegler, Politikwissenschaftlerin an der Uni Wien. „Es herrscht noch immer die Vorstellung von Wissenschaftlern, die sich um nichts anderes kümmern als um die Wissenschaft. Weil Wissenschaft lange eine Domäne von weißen Männern war und größtenteils immer noch ist, die relativ gut situiert sind, Überstunden machen können und sich hinter dem Schreibtisch vergraben – und die jetzt während der Coronavirus-Zeit endlich ihr Buch fertig schreiben können, für das sie bisher nie Zeit hatten.“

Eine Frau vor einem Laptop mit einer Videokonferenz
christian sinibaldi / Eyevine / picturedesk.com

Das sei aber eine Lebensrealität für eine Minderheit und blende viele andere Lebensrealitäten aus – etwa von Personen mit Betreuungspflichten, chronischen Krankheiten oder prekären Wohnverhältnissen. Nicht zuletzt deshalb initiierte Stiegler zusammen mit Kolleginnen Anfang Juni einen offenen Brief, der auf die schwierige Situation von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern in Österreich aufmerksam machte. Von Politik und Universitäten gefordert werden in dem bisher von rund 1.500 Personen unterschriebenen Brief u. a. „die Vertragsverlängerung befristeter Prä- und Post-Doc-Stellen“ sowie „die Schaffung eines Krisenfonds für Wissenschaft und Hochschulen mit spezifischer Förderung von Personen in prekären Anstellungsverhältnissen“.

Vertragsverlängerungen sind nun für mehr möglich

Solch einen Krisenfonds wird es vorerst nicht geben. In Sachen Vertragsverlängerung hat die Politik aber reagiert. Schon im März erlaubte eine Gesetzesänderung den Universitäten, befristete Verträge von Forschern und Forscherinnen, die durch den „Lock-down“ stark in ihrer Arbeit gehindert wurden, um maximal ein Jahr zu verlängern. Das betraf allerdings nur über Drittmittel und Forschungsprojekte Beschäftigte – die also etwa vom Wissenschaftsfonds FWF oder von der EU finanziert werden. Der Kreis möglicher Vertragsverlängerungen wurde vor wenigen Tagen erweitert: Laut einem von allen Parteien unterstützten Antrag im Wissenschaftsausschuss des Parlaments können in Zukunft auch die befristeten Verträge von Forschenden und Lehrenden, die direkt aus dem Unibudget bezahlt werden, verlängert werden – sofern sie ihre Qualifizierungsvereinbarungen mit der Uni wegen Covid-19 nicht erfüllen oder ihre Unterrichtsleistung nicht erbringen konnten.

80 Prozent befristet beschäftigt

Der Antrag könnte schon nächste Woche im Nationalrat beschlossen werden – wichtig speziell für junge Unimitarbeiter und -mitarbeiterinnen, die ein sehr enges Zeitkorsett für Forschungsfortschritte haben. Was vermutlich einigen hundert Betroffenen das nächste Jahr erleichtert, steht in einem viel größeren Zusammenhang der österreichischen Universitätslandschaft: Fast 80 Prozent der 44.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben nur einen befristeten Vertrag, im Verhältnis Frauen noch öfter als Männer.

Speziell die Lehre ruht somit auf den Schultern von prekär beschäftigten Lektoren, wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeiterinnen. „Ein Betrieb wie die Uni Wien, in dem mehr als 80 Prozent des wissenschaftlichen Personals nur befristet beschäftigt sind, ist schon prinzipiell zu hinterfragen“, sagt IG-LektorInnen-Präsident Cargnelli. „Diese prekären Verhältnisse haben durch Corona noch schärfer Kontur gewonnen.“

Laptop mit Zoom-Konferenz
AFP – ANDREW CABALLERO-REYNOLDS

FWF und ÖAW wollen unterstützen

Cargnelli vertritt die fast 10.000 Lektorinnen und Lektoren des Landes, ein Viertel aller Unilehrenden. Am anderen Ende der akademischen Hackordnung befinden sich Menschen mit Professuren und gut dotierten Förderungen. Auf dieser Seite dürfte sich das Coronavirus noch nicht so stark ausgewirkt haben. Der Wissenschaftsfonds FWF, der aktuell rund 4.200 Grundlagenforscherinnen und -forscher fördert, hat knapp nach Beginn „Corona-Regeln“ aufgestellt und verweist auf die prinzipielle Flexibilität ihrer Programme. Fristverlängerungen sind dabei kein Problem, heißt es vonseiten des FWF, freilich müssen sie kostenneutral sein, dürfen also kein zusätzliches Geld kosten. In besonderen Härtefällen könne ein Antrag direkt ans Präsidium gerichtet werden, das zusätzliche Mittel beschließen kann – ein Prozedere, das bisher erst achtmal in Anspruch genommen wurde. Bis Jahresende rechnet der FWF mit maximal 20 Fällen.

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) wiederum ist gerade dabei zu erheben, zu welchen Verzögerungen und coronavirusbedingten Schwierigkeiten es bei der Umsetzung von Forschungsprojekten gekommen ist. „Auf Basis dieser Erhebung wird die ÖAW den betroffenen Stipendiaten und Stipendiatinnen rasch und unbürokratisch Hilfestellungen anbieten. Eine Verlängerung von Projekten wird auf jeden Fall möglich sein“, heißt es vonseiten der ÖAW. „Wo notwendig, wird die Akademie auch finanzielle Unterstützung leisten.“

Sommerloch fällt heuer aus

Auf das nächste, hybride Semester macht Bernhard Keppler, Präsident des Verbandes der Professor*innen der österreichischen Universitäten (UPV), gegenüber science.ORF.at aufmerksam: „Um künftig schneller, transparenter und effizienter auf aktuelle Entwicklungen und Eventualitäten reagieren zu können, wären aufbauend auf die bisherigen ‚Lessons Learned‘ differenzierte Handlungskonzepte der Universitätsleitungen für verschiedene Szenarien hilfreich. So fehlen derzeit noch klare Optionen, wie im Fall von Infektionsclustern, die sicher in lokalen Bereichen entstehen können, schnell und möglichst risikofrei reagiert werden kann.“ Umfangreiche Testungen des Personals könnten eine große Rolle spielen, so der Dekan der Fakultät für Chemie der Universität Wien.

Noch vor dem Wintersemester liegt der Sommer – und dieser werde kein Sommerloch, sagt Keppler. „So finden z. B. an der Fakultät für Chemie der Universität Wien alle relevanten Praktika der verschiedenen Studiengänge und unter Einsatz aller Lehrkräfte über die Semesterferien – beginnend mit Juli bis Ende September – statt.“