Hans Blumenberg, einer der bedeutensten deutschen Philosophen der Nachkriegszeit. Das Foto stammt aus den 70er Jahren.
Universität Münster/dpa
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Philosophie

Der Denker in Bewegung

Hans Blumenberg, einer der einflussreichsten Philosophen nach dem Zweiten Weltkrieg, verstand sich als Außenseiter des akademischen Betriebs. Das Denken war für ihn eine Entlastung vom Realen und vom Absoluten. Am 13. Juli wäre er 100 Jahre alt geworden.

Blumenbergs Anspruch an die Philosophie bestand darin, „etwas von ihrem lebensweltlichen Ursprung aus der Nachdenklichkeit zu bewahren, um ein Erlebnis von Freiheit zu vermitteln“. Nachdenklichkeit verstand der Philosoph als eine Haltung, auf Umwegen Resultate zu erhalten. Den Hang zur Effizienz lehnte er als Fetisch des akademischen Betriebs ab.

Ausgewählte Publikationen von Hans Blumenberg

  • Arbeit am Mythos, Suhrkamp Verlag
  • Höhlenausgänge; suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Band 1300
  • Das Lachen der Thrakerin, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Band 652

Sekundärliteratur

  • Franz Josef Wetz: Hans Blumenberg zur Einführung, Junius Verlag
  • Hermann Timm/Franz Josef Wetz: Nachdenken über Hans Blumenberg, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Band 1422
  • Rüdiger Zill: „Der absolute Leser – Hans Blumenberg. Eine intellektuelle Biographie“, Suhrkamp Verlag

Gegen „große Erzählungen“

Der nachdenkliche Blumenberg lehnte auch jegliches Philosophieren ab, „das die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten herstellt“. Er war davon überzeugt, dass es nicht länger möglich war, „große Erzählungen“ im Sinn von Platon, Kant oder Hegel zu entfalten. Blumenberg verfasste stattdessen ein Wurzelgeflecht von Erzählungen, die Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Universität Berlin, so beschreibt:

„Bunte vielfältige Geschichten, die sich nicht auf Begriffe reduzieren lassen. Blumenberg war genau an den Themen interessiert, an denen Bilder, Metaphern, Unbestimmtheitsstellen zum Vorschein kommen, an denen man mit weiteren Geschichten einhaken kann, mit neuen Erzählungen, mit Varianten des schon Bekannten. Wenn man ein Leitmotiv für Blumenbergs Denken suchen wollte, dann wäre nicht das Schlechteste: Themen mit Variationen.“

Entlastung

Der Ausgangspunkt von Blumenbergs Philosophie ist die Situation des Menschen, der angesichts der Unendlichkeit des Weltalls mit seiner Nichtigkeit konfrontiert wird. Ein stummes Universum umgibt ihn, seine existenziellen Fragen verhallen. Dazu kommt die Diskrepanz von „Lebenszeit“ und „Weltzeit“. Das Mängelwesen Mensch muss zur Kenntnis nehmen, dass es neben seiner Nichtigkeit im kosmischen Raum nur als eine winzige Episode in der „Weltzeit“ besteht.

In der ausgezeichneten, besonders empfehlenswerten Einführung zum Denken Blumenbergs skizziert der an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd lehrende Philosoph Franz Josef Wetz die Reaktion des Menschen auf diese demütigende Situation. Er bedarf dringend einer Distanzierung, einer Entlastung von seiner trostlosen Befindlichkeit, die er im Mythos findet. Der Mythos relativiert die Übermächtigkeit des Universums und die Unendlichkeit der „Weltzeit“. Er wirkt als Beruhigungsmittel und verarbeitet die Schrecken, die beide auslösen, zu Geschichten.

Höhlenausgänge

Ein anschauliches Beispiel dafür gab Blumenberg in seiner umfangreichen Studie „Höhlenausgänge“. Die Höhle fungiert als eine „Stätte der Geborgenheit“, in die sich die Menschen zurückziehen können. Sie dient als „Zufluchtsort“, als „Notunterkunft“ und bietet eine Entlastung von der brutalen Wirklichkeit, die außerhalb der Höhle als anonyme Macht vorherrscht.

Blick aus einer Höhle ins Freie
CHAIDEER MAHYUDDIN/AFP

Neben der Analyse von Mythen befasste sich Blumenberg mit der Bedeutung der Metaphern in der Philosophie der Neuzeit. Im Gegensatz zum Begriff, der eine eindeutige Bestimmung eines Phänomens vornimmt und dadurch eine Abstraktion bewirkt, hat die Metapher den Vorteil der Mehrdeutigkeit. Diese positive Bewertung der Metapher wurde von den meisten Philosophen keineswegs geteilt; sie wiesen der Metapher – ähnlich wie dem Mythos – einen geringen Stellenwert zu.

Metapherologie

Blumenberg entwickelte eine eigene Theorie der Metaphern – „die Metaphorologie“. Sie ist eine Lehre von den Bildern, die sich der Mensch für sein Dasein und die Welt schafft. Blumenberg, so Franz Josef Wetz, interessierte sich „für die Funktion, die diese Bilder im geschichtlichen Prozess der Verständigung des Menschen über sich selbst und die Welt einnehmen“.

Rüdiger Zill, der Autor einer über 800 Seiten umfassenden Biographie von Blumenberg mit dem Titel „Hans Blumenberg – der absolute Leser“ skizziert in einem Gespräch mit science.ORF.at den Grundgedanken der „Metapherologie“:

„Vor allem mit der Metapher ist etwas verbunden, was mit seiner Konzeption der Geistesgeschichte wichtig war. Für ihn war es wichtig zu zeigen, wir verstehen die Geschichte unseres Denkens, der Philosophie der Wissenschaft nur richtig, wenn wir auch das sehen, was die Zeit selbst nicht sehen konnte. Was man nämlich nicht sehen kann, ist das Selbstverständliche. Im uneigentlichen metaphorischen Denken erscheinen die eigentlichen Grundlagen einer Zeit“.

Das „Mängelwesen Mensch“

Neben der Mythologie und der „Metaphorologie“ befasste sich Blumenberg in seinem philosophischen Werk mit anthropologischen Themen. Bereits in dem 1966 publizierten Buch „Legitimität der Neuzeit“ verwies er darauf, dass der Mensch, „der als ein mangelhaft ausgestattetes und angepasstes Lebewesen auf die Bühne der Welt getreten ist“, unterschiedliche Werkzeuge entwickeln müsse, um physisch zu überleben. Als „biologisch unspezialisiertes Lebewesen“, das nicht festgelegt ist, kann es sich – so Blumenberg -„momentan spezialisieren, indem es sich nicht organisch verändert, sondern instrumentell ausrüstet – und zugleich aufrüstet.“

Das „Mängelwesen Mensch“ ist auf technische Hilfsmittel angewiesen. Blumenberg nennt „Apparate, Vehikel, Antriebs-und Speicherungsaggregate, Instrumente manueller und automatischer Funktion. Leitungen, Schalter oder Signale“. Die Technik in ihren verschiedenen Formen war für den Philosophen ein faszinierendes Thema, über das er seit den frühen Schriften nachdachte. 1951 heißt es in dem ersten veröffentlichten Text zur Technik – „Der Mensch ist ein technisches Wesen. Die technische Welt ist ein Äquivalent eines Mangels seiner natürlichen Ausstattung“.

Technik als Notwehr

Blumenberg bejahte die Technik. Für ist ihn die Geistesgeschichte der Technik zu Beginn der Neuzeit keine Verfallsgeschichte, sondern der Akt einer berechtigten und erfolgreichen Notwehr. Dem entsprach auch, dass er privat technischen Innovationen positiv gegenüberstand, von der Saftpresse bis zum Auto. Blumenbergs Wertschätzung der Technik war in der philosophischen Landschaft der 1950er und 1960er Jahre eine Ausnahme. Die Technik galt als Synonym für einen Antihumanismus, der die Entmündigung des Menschen vorbereitete. Die Kritik an der Technik kam von konservativer Seite, von Heidegger, Jünger und vonseiten neomarxistischer Positionen (Anders, Adorno, Horkheimer).

This is the end

Wichtig war für Blumenberg auch das Nachdenken über die Sterblichkeit des Menschen. Laut Franz Josef Wetz empfand er den Tod als ungeheuerliche Demütigung und Kränkung, die durch keinen Trost relativiert werden kann. Der Philosoph stimmte mit Thomas Bernhard überein: „Angesichts des Todes ist alles lächerlich“. In diesem Sinn antwortete er auf eine Frage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wie er sterben möchte: „Aus Lust, mich davon zu machen“.