Älterer Mann mit Schutzmaske beim Arzt
Konstantin Yuganov – stock.adobe
Konstantin Yuganov – stock.adobe
Interferone

Neue Hormontherapie gibt Hoffnung

Antivirale Botenstoffe könnten laut vorläufigen Untersuchungen vor einer Coronavirus-Infektion schützen. Jetzt sollen klinische Studien klären, ob Hormonbehandlungen frei von Nebenwirkungen sind – und den Erreger tatsächlich neutralisieren.

Ende Mai erschien im Fachblatt „Cell“ eine bemerkenswerte Arbeit. Darin wiesen Forscher um den Mediziner Benjamin tenOever nach, dass SARS-CoV-2 offenbar eine wichtige Verteidigungslinie im menschlichen Körper außer Kraft setzt.

Infektion mit dem Coronavirus gehen offenbar mit einem ungewöhnlich niedrigen Ausstoß von Interferonen einher. Interferone sind antivirale Botenstoffe, die das Immunsystem in den Alarmzustand versetzen und eine sofortige Reaktion gegen den Erreger auslösen, sowohl mit Hilfe von Proteinen als auch mit Unterstützung herbeigeeilter Immunzellen. Ist diese Reaktion abgeschwächt, hat das Virus einen Startvorteil bei seiner eigenen Vermehrung – und kann sich im Körper weiter ausbreiten.

Gestörtes Immungleichgewicht

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam jüngst ein Team um Benjamin Terrier vom Hôpital Cochin in Paris. Die Hemmung der Interferone dürfte allerdings nicht das einzige Problem sein. Während der eine Abwehrmechanismus durch die Virusinfektion mehr oder minder ausgeschaltet ist, geht ein anderer hoch – und zwar übermäßig hoch: Wie die französischen Forscher in ihrer noch unveröffentlichten Studie schreiben, lässt sich im Blut von Covid-19-Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf ein sehr hoher Chemokinspiegel nachweisen.

Chemokine sind ebenfalls Botenstoffe des Immunsystems, nur haben sie einen größeren Wirkungsradius als die Interferone. Vor allem sind sie direkt an Entzündungsreaktionen gekoppelt, mithin ein möglicher Grund dafür, dass Entzündungen bei Covid-19-Patienten mitunter außer Kontrolle geraten und in kritischen Fällen sogar das körpereigene Gewebe zerstören.

Coronaviren infizieren menschliche Zellen
Joep Beumer, Hubrecht Institute
Coronaviren (weiß) infizieren menschliche Gewebe

Angesichts dieser Ergebnisse bieten sich Maßnahmen an, um die aus der Balance geratene Immunantwort wieder ins Lot zu bringen, etwa durch Verabreichung synthetischer Interferone. Das wurde bereits in Experimenten mit Zelllinien sowie im Tierversuch an Mäusen versucht – mit Erfolg.

„Je früher, desto besser“

Dass dieser Ansatz auch beim Menschen funktionieren könnte, legt eine Studie in der chinesischen Provinz Hubei nahe: Dort erhielten mehr als 2.000 Krankenhausmitarbeiter eine tägliche Dosis Interferon-Nasentropfen, zu Coronavirus-Infektionen kam es laut dem – bislang als Preprint vorliegenden – Bericht nicht. Was den Schluss zulässt, dass diese Behandlung tatsächlich vorbeugend wirkt.

Ob das so ist, wollen Wissenschaftler nun in systematischen klinischen Studien klären. Solche laufen derzeit etwa an der Stanford University, an der University of Southampton und am Johns Hopkins Hospital, neben Nasentropfen böten sich auch andere Verabreichungsformen an, zum Beispiel per Inhalation oder, klassisch, mittels einer Spritze. „Alle bisherigen Untersuchungen haben gezeigt: Wenn man die Interferone vor dem Eindringen des Virus in den Körper bringt, dann hat das Virus das Nachsehen. Je früher man sie verabreicht, desto besser“, sagte kürzlich der Immunologe Andreas Wack vom Francis Crick Institute gegenüber dem Fachblatt „Science“.

Ambivalent: Wirkung gut und schlecht

Das Timing ist also entscheidend – das bestätigt auch Wacks Fachkollegin Miriam Merad. Gleichwohl gibt die Immunologin von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai zu bedenken: Man muss aufpassen, dass der Schuss nicht nach hinten losgeht. Werden die Interferone zu spät verabreicht, so Merad, könnten sie nämlich zu einem Überschießen der Immunantwort beitragen – und somit einen Effekt verstärken, den man eigentlich verhindern wollte.

Das sind nicht die einzigen Fragen, die es zu klären gilt. Etwa die Möglichkeit unangenehmer Nebenwirkungen, wie man sie von mit Interferon behandelten Krebspatienten kennt. Wissenschaftler des Boston Children’s Hospital kamen bei Untersuchungen an Menschen und Mäusen zu dem Schluss, dass Interferone zu Superinfektionen in der Lunge führen können. Laut Studienleiter Ivan Zanoni lässt sich die Wirkung nicht pauschal beurteilen, sie hängt offenbar stark vom Kontext ab: „Unseren Daten zufolge hemmt SARS-CoV-2 die Herstellung von Interferonen in den oberen Atemwegen. Das schwächt die Immunantwort und hilft dem Virus bei der Vermehrung." In den unteren Atemwegen komme es hingegen zu einer überbordenden Immunreaktion. "Daran sind ebenfalls Interferone beteiligt – wir denken, dass diese Reaktion schädlich ist.“