Forscher Ive De Smet und David Vergauwen vor einem Stillleben
Liesbeth Everaert
Liesbeth Everaert
Spurensuche

Was alte Gemälde über die Evolution erzählen

Biologen und Kunsthistoriker arbeiten vermutlich nur selten zusammen. Nun haben sich zwei belgische Wissenschaftler zusammengetan, um mit Hilfe von alten Gemälden die Evolution von Gemüse, Obst und Getreide zu erforschen.

St. Petersburg im Eremitage Museum: Die Forscher David Vergauwen und Ive De Smet begutachten ein Bild des belgischen Malers Frans Snyders. Vergauwen ist Kunsthistoriker, De Smet Molekularbiologe. Sie sind seit der Kindheit befreundet. „Auf der Malerei waren seltsam aussehende Wassermelonen abgebildet. Sie hatten zwar die üblich grün gestreifte Schale, das Fruchtfleisch war aber weiß. David fragte mich, ob ich so etwas schon mal gesehen hätte. Hatte ich nicht. Ich dachte, es ist einfach schlecht gemalt“, erinnert sich der Molekularbiologe Ive De Smet an den Moment zurück, als die Idee entstand, mithilfe von Kunstgeschichte und Biologie die Evolution von Obst und Gemüse zu entschlüsseln.

Die Methode

„Genomes on Canvas: Artist’s Perspective on Evolution of Plant-based Foods“, „Trends in Plant Science“ (14.7.2020)

Citizen Science-Projekt

Bilder und andere nützliche Informationen können an artgeneticsdavidive@gmail.com geschickt werden.

Frans Snyders ist alles andere als ein „schlechter Maler“. Im Gegenteil, so David Vergauwen. Der belgische Künstler aus dem 16. und 17. Jahrhundert ist vielmehr für seine Genauigkeit bekannt. Snyders ist auch nicht der einzige, der zu dieser Zeit blasse Wassermelonen malte. Auch auf den Bildern des Niederländers Albert Eckhout sowie auf den Gemälden der italienischen Künstler Giovan Battista Ruoppolo und Giovanni Stanchi findet man Wassermelonen – gemalt im frühen bzw. späten 17. Jahrhundert. Letzterer bildet sie eher beige-pink ab. Auch Stanchi zählt zu den realitätsgetreuen Malern, erklärt Vergauwen. Dass die Künstler hier schlicht unreife Wassermelonen abgebildet hätten, schließt der Biologe De Smet schnell aus. „Die Kerne waren dunkel und reif. Unreife Melonenkerne sind ebenfalls blass.“

Rote Melonen neue Erscheinung?

Ist die intensive rot-pinke Farbe, die Wassermelonen heute haben, also eine eher moderne Entwicklung? Dieser Theorie widerspricht eine vor Kurzem veröffentliche Studie, in der Forscher ein mehr als 3.500 Jahre altes Melonenblatt aus Ägypten analysiert haben. „Die Gene, die für die dunkle, rote Farbe verantwortlich sind, waren nicht nur schon vorhanden, sie waren in dem Blatt auch aktiv. Das legt die Vermutung nahe, dass die rote Melonenvariante bereits vor tausenden Jahren existiert hat und dass die blassen Melonen irgendwann in Europa einfach modern wurden. Wir wissen aber noch nicht, warum“, erklärt der Molekularbiologe De Smet.

Gemälde „Obststand“ des flämischen Malers Frans Snyders ( 1579 – 1657).
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„Obststand“ von Frans Snyders: Das Fruchtfleisch der Melonen ist weiß

Mit dem Beispiel wollen die Forscher verdeutlichen, welche Vorteile es hat, die Expertise von Kunstgeschichte und Molekularbiologie zu verknüpfen, um die vielen Rätsel rund um die Evolution von Obst, Gemüse und Getreide zu lösen. Auch die Literatur und Archäologie liefern immer mehr Hinweise, um die Geschichte der Nutzpflanzen zu vervollständigen, erklärt De Smet. „Wenn man sich nur das Genom ansieht, bekommt man zwar mittlerweile eine gute Vorstellung, welche Gene vorhanden und aktiv sind. Wir wissen beispielsweise, welche Gene für die Größe, Farbe bis hin zum Geschmack verantwortlich sind. Dadurch können wir aber nur spekulieren, wie diese Pflanzen tatsächlich ausgesehen haben. Dank den Bildern können wir es sehen.“

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch „Wissen aktuell“ am 15.7. um 13:55.

Picasso pfui, Snyders hui

Dabei taugen natürlich nicht alle Künstler für die Analyse, so Vergauwen. Picassos „Krug und Obstschale“ oder Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“, in der eine menschengroße Erdbeere abgebildet ist, wären dafür ungeeignet. „Um sicherzustellen, dass wir auf den Bildern sehen, was wir wollen, muss man genau wissen, welche Maler wie gemalt haben“, so Vergauwen. Dafür stellt der Kunsthistoriker auch Vergleiche an und analysiert beispielsweise, wie ein Künstler Häuser, Kleidung oder Musikinstrumente abgebildet hat und vergleicht sie mit heute noch existierenden Exemplaren. „Wenn hier jemand diese Dinge detailgetreu gemalt hat, kann man annehmen, dass Obst und Gemüse mit dem gleichen Anspruch abgebildet wurden.“ Je öfter man zudem ein bestimmtes Obst oder Gemüse auf eine bestimmte Art abgebildet sieht, und das idealerweise noch auf Gemälden aus unterschiedlichen Regionen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es sich um einen Zufall handelt.

Abgesehen von der Melone konnten die Forscher mit ihrer interdisziplinären Methode auch neue Erkenntnisse über Karotten und Erdbeeren gewinnen. So ging man bisher etwa davon aus, dass orange Karotten in den 1620ern, 1630ern modern wurden. Demnach wurden orange Karotten erstmals rund um die Stadt Utrecht gezielt kultiviert und sollen von dort aus die Esstische Europas erobert haben. „Wir sind erneut in Museen gegangen und haben gesehen, dass die orange Karotte bereits auf Gemälden zu finden ist, die auf die Mitte des 16. Jahrhunderts datiert sind und aus dem flämischen Antwerpen stammen“, so Vergauwen.

Food-Trends

Moderne, große Erdbeeren, die eine Kreuzung aus nord- und südamerikanischen Erdbeeren sind, tauchen wiederum vermehrt Ende des 18. Jahrhunderts, Anfang des 19. Jahrhunderts auf Gemälden auf. Früher wurden eher kleine Walderdbeeren in Schalen abgebildet, die in Europa heimische Erdbeere. „Es lässt sich dadurch auch erkennen, was modern war zu dieser Zeit. So gehen wir davon aus, dass es orange Karotten natürlich schon früher gab. Sie wurden aber vermutlich verstärkt kultiviert, da sie anders violette und gelbe Karotten ihre Farbe nicht verlieren und warme Speisen und Aufläufe schöner aussehen lassen“, ergänzt De Smet.

Um die Datenbank weiter auszubauen und weitere Lücken füllen zu können, hoffen die Forscher auf Unterstützung von Museums- und Galeriebesuchern weltweit. Sie sollen genauer hinschauen und Bilder mit Gemüse, Obst und Getreide an die Forscher schicken. „Dadurch können wir unseren Datensatz schneller vergrößern und die Informationen aus Kunst und Biologie schneller verknüpfen“, so De Smet.