Volksschule in Brunn am Gebirge: Eine Schülerin beim Betreten des Schulgebäudes.
APA/HELMUT FOHRINGER
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Coronavirus

„Ich würde die Schulen offenhalten“

Kinder erkranken seltener an Covid-19 und sie sind auch weniger ansteckend als Erwachsene, sagt der US-amerikanische Mediziner William Raszka. Er empfiehlt: Jüngere Kinder sollten im Herbst in die Schule gehen – selbst dann, wenn es zu einer „zweiten Welle“ kommt.

science.ORF.at: Herr Raszka, wenn Kinder an Covid-19 erkranken, dann meist nur mit milden Symptomen. Schwere Erkrankungen sind selten. Warum?

William Raszka: Um ehrlich zu sein: Das weiß niemand so genau. Es gibt ein paar Hypothesen, vielleicht liegt es an den Rezeptoren, durch die das Virus in menschliche Zellen gelangt. Dass Kinder nicht so anfällig für Infektionen sind, könnte auch damit zu tun haben, dass sie ein geringeres Luftvolumen durch ihre Lungen transportieren.

Der US-amerikanische Mediziner und Infektiologe William Razska
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Zur Person

William V. Raszka lehrt und forscht am The University of Vermont Medical Center in Burlington, USA. Im Fachblatt „Pediatrics“ hat er kürzlich einen Artikel zur Infektiosität von Kindern veröffentlicht:

Mit dem Immunsystem hat der Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen nichts zu tun?

William Raszka: Möglich wäre es. Wir untersuchen diese Frage gerade, aber bisher haben wir keine Studienergebnisse, die uns zeigen würden: Das ist der Grund, warum Kinder weniger häufig erkranken – und warum sie mildere Krankheitsverläufe haben.

Wie sieht es mit möglichen Übertragungen der Krankheit aus: Sind Kinder infektiös?

William Raszka: Kinder können andere Menschen anstecken, aber der Grad der Infektiosität hängt vom Alter ab. Wir haben mittlerweile genügend Daten aus Volksschulen, zum Beispiel aus Frankreich: In einer Schule waren drei Kinder mit dem Coronavirus infiziert und kamen mit mehr als 100 Menschen in Kontakt – angesteckt haben sie allerdings niemanden. Auf höheren Schulstufen sehen wir hingegen mehr Infektionen.

Warum übertragen Volksschulkinder die Krankheit relativ selten?

William Raszka: Ich bin mir nicht sicher, ob sie die gleiche Viruslast aufweisen wie Erwachsene, obwohl das laut einer deutschen Studie der Fall sein könnte. Es könnte auch daran liegen, dass Kinder nicht so stark husten können und somit weniger Viren in die Luft schleudern. Bei uns in den USA ist das zurzeit ein heiß diskutiertes Thema. Die Leute wollen wissen: Dürfen Kinder in die Schule gehen und können sie dort Erwachsene anstecken?

Angenommen, es kommt im Herbst zu einer neuen Erkrankungswelle: Würden Sie Schulen schließen oder offenhalten?

William Raszka: Ich denke, dass man diese Frage je nach Distrikt und Schulstufe entscheiden wird müssen. Ich betrachte Schulen als essenziell für die Entwicklung von Kindern, nicht nur, was die Bildung betrifft, sondern auch in sozialer und emotionaler Hinsicht. Ich würde die Schulen offenhalten – jedenfalls für jüngere Kinder.

In vielen Ländern, so auch in Österreich, wurden die Schulen während des „Lock-down“ allerdings zugesperrt. Wie beurteilen Sie das im Rückblick?

William Raszka: Man kann Entscheidungen immer nur auf Basis des gegenwärtigen Wissens treffen. Zu Beginn der Covid-19-Epidemie war man noch der Ansicht, dass Kinder ziemlich gute Überträger der Krankheit sind. So gesehen war es durchaus vernünftig, die Schulen zu schließen. In der Zwischenzeit haben wir über die Dynamik der Krankheit eben einiges dazugelernt, Länder wie die Niederlande und Dänemark haben darauf relativ schnell reagiert – ich denke, das ist ein Beispiel dafür, dass die Strategien im Gesundheitswesen funktionieren. Wir müssen uns immer fragen: Was zeigen die Daten? Und was bedeutet das für die Bevölkerung?

Bei infizierten Erwachsenen gelten jene mit milden oder gar keinen Symptomen als besonders potente Überträger, ist das korrekt?

William Raszka: Das Problem bei Covid-19 ist: Wenn Menschen infiziert sind und keine Symptome zeigen, dann gehen sie raus und kommen mit vielen anderen Menschen in Kontakt. Wir hatten zum Beispiel in Texas extrem hohe Infektionsraten, weil sich die Menschen nicht an das social distancing gehalten haben.

Bei Kindern scheint dieser Zusammenhang – milde Symptome, viele Ansteckungen – nicht zu gelten. Warum?

William Raszka: Das ist ein interessanter Punkt. Kinder scheinen keine effizienten Überträger zu sein, und zwar unabhängig davon, wie schwer sie erkranken. Aber wie gesagt: Wir wissen nicht genau, warum das so ist.