Einige Kurven von Erdbeben
AFP – FREDERICK FLORIN
AFP – FREDERICK FLORIN
Geologie

Coronavirus brachte „seismische Ruhe“

Die Erde bebt ständig, wobei ein Teil der Erschütterung von Menschen verursacht wird – etwa durch Industrie und Verkehr. Der „Lock-down“ in der Coronavirus-Pandemie hat diese Vibrationen laut neuer Studie deutlich verringert – und weltweit zu einer bisher unbekannten „seismischen Ruhe“ geführt.

Es handle sich um den längsten und stärksten Rückgang menschgemachter seismischer Aktivität, seit es Aufzeichnungen gibt, wie ein großes Team an Forscherinnen und Forschern im Fachjournal „Science“ schreibt.

50-prozentiger Rückgang

In den vergangenen Monaten gab es immer wieder einzelne Berichte über den coronavirusbedingten Rückgang der „seismischen Bodenunruhe“, also der menschlich verursachten Schwingungen der Erdoberfläche, die von Erdbebenmessgeräten erfasst werden. Nun liegt die erste weltweite Studie dazu vor. 66 wissenschaftliche Einrichtungen aus der ganzen Welt lieferten Daten von 268 seismischen Stationen, darunter die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), die Daten aus Österreich bereitstellte.

Die Reduktion der seismischen Bodenunruhe folgte den Coronavirus-Maßnahmen und begann bereits im Jänner dieses Jahres in China, gefolgt von Europa und vielen anderen Ländern im März und April. Die Schwingungen waren vielerorts geringer als in den üblicherweise ruhigsten Zeiten – den Wochenenden und den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr. Im weltweiten Mittel ging die seismische Bodenunruhe von März bis Mai 2020 um rund 50 Prozent zurück.

Seismische Bodenunruhe von November 2019 bis Mai 2020

Für Österreich wertete die Seismologin Maria-Theresia Apoloner von der ZAMG unter anderem die Daten von Erdbebenstationen in Wien und Damüls (Vorarlberg) aus. Während des „Lock-down“ gingen die Messwerte durchschnittlich um bis zu 25 Prozent zurück, in Damüls waren sie kurzzeitig sogar um bis zu 60 Prozent reduziert.

Spiegelt Mobilität wider

Die Analyse der Daten zeigte auch, dass die seismische Bodenunruhe gut die menschliche Aktivität und Mobilität widerspiegelt. So gingen etwa in Brüssel während des „Lock-down“ die menschlich verursachten Bodenschwingungen um 33 Prozent zurück. Um diesen Wert gingen auch der mit Mikrofonen gemessene Stadtlärm und die per Handydaten eruierte Mobilität zurück – wobei die Messung menschlicher Aktivität und Mobilität mittels seismischer Daten den Vorteil hat, keine Probleme mit dem Datenschutz zu verursachen.

Auch der Rückgang touristischer Aktivitäten ist in den Messungen der Erdbebenstationen sichtbar. Auf Barbados in der Karibik ging die seismische Bodenunruhe bereits ein bis zwei Wochen vor der Ausgangssperre deutlich zurück. Der Vergleich mit Flugdaten zeigte, dass in dieser Zeit viele Touristen abreisten und die Zahl der Flüge allmählich zurückging. Während der Ausgangsperre reduzierte sich die seismische Bodenunruhe auf Barbados dann um 50 Prozent gegenüber den für die Jahreszeit üblichen Werten.

Grafik der Bebenstation in Wien
ZAMG

Nutzen für die Seismologie

Üblicherweise stören die menschgemachten Vibrationen die Erdbebenforscher. Sie müssen diese mit aufwendigen Verfahren herausrechnen, um Erdbeben besser analysieren zu können, so Apoloner in einer Aussendung der ZAMG. „Die neuen Daten helfen uns, industrie- und verkehrsbedingte Erschütterungen zu identifizieren, wodurch wir diese besser eliminieren können“, sagte die Seismologin. Außerdem würden die Daten Gebiete in Österreich mit sehr geringer Bodenunruhe zeigen, die optimale neue Standorte für Seismometer wären.

Die Daten würden aber auch bei Fragen der Erdbebengefährdung nutzen, sagte Apoloner. Bisher beziehe die Forschung ihre Informationen über den Aufbau des Erdinneren und damit über die Erdbebengefahr vor allem durch Analyse von Erdbebenwellen und ihrer Ausbreitung.

„In letzter Zeit gab es interessante Studien, die die seismische Bodenunruhe an verschiedenen Bebenstationen verglichen, um damit die Struktur des Untergrundes zu analysieren“, so Apoloner. Der Vorteil der menschlich verursachten Schwingungen sei, dass diese immer da seien und für lokale Bodenuntersuchungen herangezogen werden können.