Logo einer neuen Mittelschule „NMS“
APA/HARALD SCHNEIDER
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Bildung

Die Tücken der Neuen Mittelschule

Zumindest in Wien wird von der Neuen Mittelschule oft als Restschule oder sogar Problemschule gesprochen. Forschende der Uni Wien sind diesem Vorurteil auf den Grund gegangen und zeichnen ein anderes Bild der Schülerinnen und Schüler: Sie haben hohe Bildungswünsche, viele wollen Matura machen, scheitern aber am System.

Im 2016 startete das Institut für Soziologie der Universität Wien die Studie „Wege in die Zukunft“. Im Mittelpunkt stehen 14- bis 15-Jährige, die die Neue Mittelschule (NMS) in Wien besuchen und zwar im letzten Schuljahr. Ihnen steht der Wechsel ins Gymnasium (AHS), in eine Berufsbildende Höhere Schule (BHS) oder eine Lehre bevor. Mehr als 3.000 Schülerinnen und Schüler wurden per Fragebogen zu ihren Bildungswünschen befragt und danach einige Jahre begleitet.

Große Unterschiede beim sozialen Hintergrund

Die Ergebnisse zeigen, dass 75 Prozent der Befragten Matura machen wollen bzw. einen höheren Bildungsabschluss anstreben und ihre Ausbildung nicht mit dem Pflichtschulabschluss beenden möchten. Doch, auch das zeigt die Studie, die soeben in Buchform erschienen ist, die soziale Ungleichheit bei den Schülerinnen und Schülern der NMS in Wien ist groß.

Ö1-Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch die Sendung Punkt 1, am 29.7., um 13 Uhr.

20 Prozent der Kinder haben Eltern mit Studienabschluss. Auf der anderen Seite gebe es schwierige Wohnsituationen, familiäre Krisen und immer wieder fehlende Unterstützung von zuhause, sagt der Studienleiter Jörg Flecker vom Institut für Soziologie der Universität Wien.

Familie ist für Kinder entscheidend

Für Kinder aus Familien ohne sogenannten Migrationshintergrund, die Deutsch als Erstsprache haben, wirkt der Selektionsdruck beim Übertritt von der Volkschule in die Mittelschule besonders stark: Wenn diese Kinder Lernschwierigkeiten haben oder keine Unterstützung von zuhause bekommen, schaffen sie es nicht in die AHS und haben in Folge auch schulische Schwierigkeiten in der NMS und danach.

Kinder aus migrantischen Familien kommen dagegen oft unabhängig von den schulischen Leistungen oder Ausbildungswünschen „automatisch“ in die NMS, weil Lehrkräfte in der Volkschule diese Empfehlung abgeben, die Kinder strukturell diskiminiert werden, weil Deutsch nicht ihre Erstsprache ist oder sich die Eltern mit dem österreichischen Schulsystem nicht auskennen. „In migrantischen Familien gibt es oft hohe Bildungs- und Berufswünsche für die nächste Generation, die Eltern wissen nur nicht, was es braucht, um diese Wünsche im hiesigen System zu verwirklichen“, sagt Flecker.

Deutsch ist Standard auf dem Schulhof

Auch sprachliche Vorurteile konnten die Forschenden ausräumen: Die Studie zeigt zwar, dass etwa die Hälfte der jungen Menschen mit den Eltern eine andere Sprache als Deutsch spricht. In der Schule mit Gleichaltrigen sprechen jedoch mehr als 90 Prozent deutsch. „Also für die Wiener Mittelschule lässt sich sagen, dass eine Verpflichtung Deutsch zu sprechen sinnlos ist, weil die Schülerinnen und Schüler ohnehin Deutsch mit ihren Freundinnen und Freunden sprechen“, so Flecker.

Mehr Unterstützung brauchen viele der jungen Menschen beim Übertritt in weiterführende Schulen bzw. Lehrausbildungen. Dafür sollten die Mittelschulen mehr Ressourcen bekommen, ist Flecker überzeugt. Denn nicht alle Eltern können ihren Kindern beim Schulwechsel hilfreich zur Seite stehen. Flecker und sein Team werden die Jugendlichen auch im kommenden Jahr begleiten: In der nächsten Studienphase wollen sie analysieren, ob die Absolventinnen und Absolventen der Neuen Mittelschule ihre Bildungswünsche verwirklichen konnten.