Ob klassische Musik Menschen klüger macht? Diese Frage war immer wieder Gegenstand neurowissenschaftlicher Forschung. Beim „Mozart-Effekt“ ging man etwa davon aus, dass alleine das Hören klassischer Musik zu einer vorrübergehenden kognitiven Leistungssteigerung führe. Eine Hypothese, die schon seit Jahren widerlegt ist. Und auch die Annahme, dass Musikunterricht im Rahmen einer frühkindlichen Förderung einen Effekt auf die kognitiven Fertigkeiten eines Kindes habe, scheint ein für alle Mal entkräftet.
Nicht schlauer, aber vielleicht sozialer
Der Psychologe Giovanni Sala von der Fujita Health University in Japan und der Kognitionswissenschaftler Fernand Gobet von der London School of Economics unterzogen mehr als 50 Studien zu diesem Thema einer Metaanalyse. Sie untersuchten dabei die Daten von fast 7.000 jungen Probandinnen und Probanden erneut. Sala und Gobet kommen zu dem Schluss, dass das Erlernen eines Instruments keinen Effekt auf Fähigkeiten in Fächern wie Mathematik, Lesen oder Schreiben hat und zwar unabhängig vom Instrument oder der wöchentlichen Dauer des Unterrichts bzw. Übens.
Ö1-Sendungshinweis
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 29.7., 13:55 Uhr.
Musikunterricht führe schlicht dazu, dass Kinder schon in jungen Jahren ein Instrument spielen oder singen können, sagt Fernand Gobet, Kognitionswissenschaftler an der London School of Economics gegenüber science.ORF.at. Es gebe keine Evidenz, dass dadurch auch verbale oder non-verbale Leistungen gesteigert würden oder Kinder kognitive Aufgaben schneller lösen könnten. Man habe zumindest erste Hinweise darauf, dass sich früher Musikunterricht positiv auf die sozialen Fähigkeiten und das Selbstbewusstsein der Kinder auswirkt.
Gute Studien zeigen keinen Effekt
Eltern, die ihre Kinder mit Musikunterricht zu akademischen Höchstleistungen antreiben wollen, sei also davon abgeraten, so Gobet. „Die Musik an sich ist so schön, das sollte Motivation genug sein“, so Gobet. Frühes musikalisches Training mache Kinder also nicht schlauer, fördere aber natürlich die musikalischen Fertigkeiten, sagt der Kognitionswissenschaftler. Und je mehr die Kinder üben, desto besser ihre musikalischen Fertigkeiten.
Bei den Studien, die Gobet und Sala für ihre Metaanalyse berücksichtigten, waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem Alter von drei bis sechzehn Jahren und hatten vor Beginn der Studie keinen formellen Musikunterricht. Die Studien beinhalteten kognitive Tests bzw. die Erfassung ihrer schulischen Leistungen. Die beiden Forscher berücksichtigten außerdem nur Studien, die zumindest eine Kontrollgruppe hatten und ausreichend Teilnehmer, um einen möglichen Effekt messen zu können. Hier zeigte sich: Je besser das Studiendesign, je höher die Qualität der Erhebung, desto geringe der gefundene Effekt. Und selbst die qualitativ schlechteren Studien fanden nur einen sehr kleinen Effekt, ergänzt Gobet.
Auch Wissenschaftler voreingenommen
Dass Musikunterricht die kognitiven Fertigkeiten eines Kindes verbessere, sei ein starkes Narrativ gewesen, auch in der Wissenschaft, so Gobet. Einige Kolleginnen und Kollegen hätten versucht, ihre Daten in diese Richtung zu interpretieren. Aber bei objektiver Analyse der Daten sei dieser Bias, diese Voreingenommenheit, ganz deutlich. „Bei der Musik gilt wie beim Schachspielen oder dem Gedächtnistraining, dass hier kein Transfer in Richtung anderer Fertigkeiten wie Mathematik, Lesen oder Schreiben stattfindet“, so Gobet.