EIn Euro-Zeichen mit den Europasternen rund herum
dpa/Boris Roessler
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EU-Forschungsbudget

ERC-Präsident warnt vor Kürzungen

Erst vor Kurzem haben sich die 27 EU-Regierungschefs auf einen neuen EU-Budgetvorschlag geeinigt. „Die Hoffnungen der Wissenschaft haben sich nicht erfüllt“, sagt der Präsident des Europäischen Forschungsrats (ERC), Jean-Pierre Bourguignon. Schon heute müssten hunderte exzellente Projektvorschläge abgelehnt werden, nun seien viele Forschungsstellen in Gefahr.

Mit den Budgetzahlen und ihrer Vergleichbarkeit ist es nicht so einfach. Die Finanzexperten des EU-Rats haben alle Zahlen einer Europäischen Union mit 28 Mitgliedern nach dem Ausscheiden von Großbritannien auf 27 Staaten heruntergerechnet und inflationsbereinigt. Laut diesen science.ORF.at vorliegenden Zahlen hatte das abgelaufene Forschungsprogramm Horizon 2020 ein Budget von 65 Milliarden Euro, nun wurden 80,9 Milliarden für das neue Programm Horizon Europe zugesagt. Fünf Milliarden davon sollen aus dem 750 Milliarden Euro starken Corona-Sondertopf kommen.

Mit den 80,9 Milliarden Euro finanziert werden sollen sowohl die Grundlagenforschung als auch neue Initiativen wie ein Europäischer Innovationsrat oder „missionsorientierte“ Forschung, mit der Herausforderungen wie der Klimawandel, Krebs und verschmutzte Ozeane bewältigt werden sollen.

Von 65 auf 80,9 Milliarden Euro – das stellt eine Steigerung der Mittel dar, allerdings weit weniger als jene 94 Milliarden bzw. 120 Milliarden, die EU-Kommission und Parlament gefordert hatten. Der Präsident des Europäischen Forschungsrats hofft deshalb im Interview auf Nachverhandlungen im Herbst.

science.ORF.at: Welches Resümee der vor Kurzem abgeschlossenen Budgetverhandlungen ziehen Sie?

Jean-Pierre Bourguignon: Dass die Ankündigung, Forschung und Innovation in diesem Budget als Priorität zu sehen, nur sehr begrenzt umgesetzt wurde. Ich verstehe, dass die Diskussionen sehr schwierig und die Organisation des Budgets mit dem Post-Corona-Aufbaufonds sehr herausfordernd war. Aber man muss festhalten: Was am Ende für die Wissenschaft übriggeblieben ist, war viel weniger, als viele erwartet hatten.

Was bedeutet das konkret für die ERC als wichtige Institution für die Grundlagenforschung in Europa?

Jean-Pierre Bourguignon: Ich kann nur so viel sagen: Wir hatten in der abgelaufenen Periode für die Grundlagenforschung ein Budget von – Inflationssteigerungen über die Jahre eingerechnet – 16 Milliarden Euro und haben erwartet, dass wir für die nächsten sieben Jahre mehr bekommen. In den derzeit vorliegenden Aufstellungen sind für die Grundlagenforschung 15 Milliarden Euro über die gesamte Laufzeit budgetiert. Eine Milliarde weniger ist für uns gleichbedeutend mit 500 Forscherinnen und Forschern, die wir nicht fördern können – und das, obwohl wir schon in den vergangenen Jahren 400 bis 500 Projekte trotz exzellenter Bewertung durch unseren Fachbeirat ablehnen mussten, einfach weil wir nicht genügend Geld hatten. Ich mache mir Sorgen um den wissenschaftlichen Nachwuchs. Diese jungen Menschen müssen wissen, dass sie in Europa Perspektiven haben.

In den letzten Monaten hatte man angesichts der Coronavirus-Pandemie in Europa den Eindruck, dass die Wissenschaft im öffentlichen Ansehen sehr zugelegt hat. Immer wieder wurde betont, dass man exzellente Forschung brauche, um die Krise zu bewältigen. Warum wurde sie dann in der Budgetdiskussion zu wenig gehört?

Jean-Pierre Bourguignon: Das ist eine gute Frage. Wir sind eigentlich alle davon ausgegangen, dass es klar ist, dass die Bewältigung dieser und zukünftiger Krisen nur mit den besten Köpfen gelingen wird. Außerdem hat Deutschland bei Antritt der EU-Präsidentschaft gesagt, dass Forschung und Innovation die Prioritäten des Vorsitzes sein werden. Deshalb sind sehr viele davon ausgegangen, dass die Wissenschaft deutlich gestärkt aus den Budgetverhandlungen hervorgehen wird – und sie wurden überrascht.

Das EU-Parlament hat sich bereits kritisch zum Budget geäußert und Nachbesserungen unter anderem beim Budget für Forschung und Innovation gefordert – was erwarten Sie sich davon?

Jean-Pierre Bourguignon: Es ist klar, dass das Parlament nicht den gesamten Deal ablehnen wird. Aber vielleicht können die Parlamentarier bei der Verteilung noch etwas bewirken. Der ERC hat bisher beispielsweise keinen Zugang zum Geld aus dem Corona-Aufbaufonds, hier hoffen wir noch auf eine Veränderung.