Mann sitzt vor dem laptop, davor ein Globus
Brian Jackson – stock.adobe.com
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Globalisierung

Wider die „imperiale Lebensweise“

Kleidung, Reisen oder Smartphones – all das verbraucht Ressourcen und belastet die Umwelt. Die Hauptlast tragen andere Erdteile. Der Politikwissenschaftler Ulrich Brand bezeichnet das als „imperiale Lebensweise“. In seinem neuesten Buch versucht er Alternativen aufzuzeigen – und erklärt, warum die Krise Lernprozesse ermöglicht.

science.ORF.at: Herr Prof. Brand, Sie haben lange vor der Coronavirus-Pandemie begonnen, an Ihrem Buch zu arbeiten. Wie haben sich Ihre Thesen in den vergangenen Monaten verändert?

Ulrich Brand: Gar nicht, ich habe den Text nur ergänzt. Ich wollte das Buch eigentlich im Februar fertigstellen, doch die Coronavirus-Pandemie hat bei mir, wie vielen anderen, eine Schockstarre ausgelöst. Ich habe mich dann dazu entschlossen, trotz der immer noch währenden intellektuellen Unsicherheit, meine Gedanken zur Krise und zur Pandemie als eine Art Zwischenergebnis in einem Einleitungskapitel zur Diskussion zu stellen.

Wie sieht dieses Zwischenergebnis aus?

Brand: Meine Hauptthese ist, dass schon bald wieder wirtschaftliche Kräfte sichtbar werden, die an das Wirtschaften davor anknüpfen wollen, an den Wachstumsimperativ, an die Ressourcenausbeutung, an die ungleiche Globalisierung. Dass also in der Krisenbearbeitung selbst die kapitalistischen Kräfte wieder wirken werden und die starken ökonomischen Interesse. Ich bezeichne das als Corona-Kapitalismus.

Zur Person

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien.

Das Buch:

„Post-Wachstum und Gegen-Hegemonie. Klimastreiks und Alternativen zur imperialen Lebensweise“ ist im VSA-Verlag erschienen.

Ihre Analyse oder vielmehr ihr Ausblick für die Zeit nach der Krise ist allerdings nicht nur pessimistisch.

Brand: Die gegenwärtige Krise ermöglicht auch Lernprozesse. Wir können beispielsweise jetzt sehr deutlich sehen, dass der Staat doch eine wichtige Rolle spielt. Nachdem uns jahrzehntelang gesagt wurde, der Staat solle sich zurückhalten, er sei kein guter Unternehmer, merken wir jetzt, wie wichtig der öffentliche Sektor für den Wohlstand in einer Gesellschaft ist. Deswegen ist die Krise in Österreich auch nicht so dramatisch wie in den USA oder Großbritannien.

Die Proteste junger Menschen für eine aktivere Klimapolitik, die Fridays-for-Future-Bewegung, die waren Ausgangspunkte für das Buch. Passt das auch zur gegenwärtigen Krise?

Brand: Ja, das ist ein weiterer Punkt von mir. Die Lernprozesse in der Krise erstrecken sich auch auf die Klimapolitik. Während der Finanz- und Wirtschaftskrise vor mehr als zehn Jahren wurden sofort Abwrackprämien eingeführt in Österreich und Deutschland, um die Autoindustrie zu stützen. Das wäre heute nicht mehr möglich. Man verzichtet jetzt auf solche klimaschädlichen Konjunkturprogramme. Und, auch das haben wir gesehen, auch die Unternehmen sind viel flexibler als angenommen und können in einer Krisensituation ziemlich schnell umbauen.

In ihrem Buch setzen Sie sich mit einem Phänomen auseinander, das Sie als „imperiale Lebensweise“ bezeichnen. Was meint der Begriff?

Brand: Der Begriff der imperialen Lebensweise möchte in der Globalisierungsdiskussion einen Punkt setzen. Die Globalisierung wird oft als rein wirtschaftlicher Prozess verstanden, in dem Unternehmen zunehmend international agieren, abgesichert von Freihandelspolitik und ähnlichem. Sie lagern beispielsweise Arbeitsplätze massenhaft in Länder mit billigeren Löhnen aus. Das wäre ja gegen die Interessen der Menschen in einem Land wie Österreich.

Die imperiale Lebensweise zeigt nun, wie sich der Globalisierungsprozess in das Leben der Menschen einschreibt. Auch wenn sie ihren Arbeitsplatz in Europa verlieren, genießen sie Vorteile, wenn sie billig produzierte Waren aus Südostasien oder Westafrika kaufen. Denken Sie an Kleidung, an Smartphones, an Fleisch, das nur billig ist, weil die Futtermittel extrem billig sind. Der Zugriff auf die Ressourcen und die Arbeitskraft in anderen Ländern, das ist das Imperiale.

Das Wirtschaftswachstum, die Profitsteigerung ist auf genau diese Aspekte der Globalisierung angewiesen, die Menschen in Europa finden die imperiale Lebensweise bequem. Was soll sich dann ändern?

Brand: Die Proteste der vielen jungen Menschen haben gezeigt, dass längst nicht mehr alle diese Lebensweise hochhalten. Viele denken um, wollen ressourcenschonender und klimafreundlicher leben. Und, um noch einmal auf die Coronavirus-Pandemie zurückzukommen, ich denke auch, dass die gegenwärtige Krise viele negative Aspekte des Systems sichtbar macht. Auf einmal fehlt es an Medikamenten, weil die Produktion nach China ausgelagert ist. Es fehlt an Bauteilen oder auch an günstigen Arbeitskräften in der Landwirtschaft und Pflege. All das zeigt die Probleme des Systems sehr deutlich, die sozialen und ökologischen Probleme des Auslagerns in andere Erdteile, und das kann ein Umdenken anregen.