Frau blickt in die Ferne, in Himmel mit Sonne und Wolken, Blick in die Zukunft
kieferpix – stock.adobe.com
kieferpix – stock.adobe.com
Langzeitstudie

Realismus macht glücklich

Weder Optimisten noch Pessimisten sind die glücklichsten Menschen. Laut einer neuen Studie sollte man langfristig vielmehr auf Realismus setzen. Falsche Erwartungen – egal in welche Richtung – erhöhen selten das Wohlbefinden.

Die allermeisten Menschen sind unverbesserliche Optimisten. Selbst wenn vieles dagegen spricht, blicken sie zuversichtlich in die Zukunft. In der Psychologie nennt man diese oft unrealistische Grundhaltung auch optimistische Verzerrung. Studien gehen davon aus, dass etwa 80 Prozent der Bevölkerung sich selbst und die Perspektiven überschätzen. Das erscheint irrational, ist aber meistens sinnvoll. Wenn man permanent Angst davor hätte, was alles passieren kann, wäre jeder Tag voller Sorgen. Es ist also gewissermaßen ein Segen, wenn man viele Risiken einfach ignoriert. Tatsächlich kann eine positive Grundeinstellung Stress und Ängste abschwächen und die Gesundheit fördern.

Die Studie

„Neither an Optimist Nor a Pessimist Be: Mistaken Expectations Lower Well-Being“, Personality and Social Psychology Bulletin, 6.7.2020

Die rosarote Brille hat aber auch ihre Schattenseiten: Sie macht mitunter leichtsinnig und führt so zu riskantem Verhalten, wie etwa bei Rauchern, die das Krebsrisiko einfach negieren. Der übertriebene Optimismus hat aber noch andere psychologische Nachteile, wie David de Meza von der London School of Economics and Political Science und Chris Dawson von der University Barth in ihrer kürzlich erschienenen Studie schreiben: Unter anderem könne man leichter enttäuscht werden. Und die Freude über positive Ergebnisse falle bei einer optimistischen Weltsicht schwächer aus. Denn Glücksgefühle sind dann besonders groß, wenn alle Erwartungen übertroffen werden. In dieser Hinsicht sind Pessimisten besser dran, sie können nur gewinnen: Denn wer immer nur das Schlechteste erwartet, wird in jedem Fall positiv überrascht; allerdings müssen sie dafür permanent mit Ängsten und Sorgen leben.

Langfristige Entwicklung

Optimismus wie Pessimismus haben also beide Vor- und Nachteile. Langfristig sind womöglich beide Varianten nicht ideal, wie die beiden Forscher ausführen. Für das persönliche Wohlbefinden könnte vielmehr die goldene Mitte der bessere Weg sein: Wer seine Zukunft weder unter- noch überschätzt, sondern halbwegs realistisch einschätzt, ist vielleicht am glücklichsten. Überprüft haben sie diese Annahme mit Daten von 1.600 Personen aus dem British Household Panel Survey (1991 bis 2009). Bei dieser Langzeitstudie werden regelmäßig alle mögliche Lebensaspekte abgefragt.

Herausgegriffen wurden zwei Fragen zu den Finanzen, eine retrospektiv und eine prospektiv: „Wie wird es Ihnen in einem Jahr wohl finanziell gehen?“ und „Geht es Ihnen heute finanziell besser oder schlechter als noch vor einem Jahr?“. Der Vergleich der Antworten von Jahr zu Jahr nahmen die Forscher als Maß dafür, wie optimistisch, pessimistisch und realistisch der jeweilige Teilnehmer/die Teilnehmerin war.

Laut den Forschern ist es zulässig, von einem so spezifischen Bereich wie den Finanzen auf die grundsätzliche Einstellung zu schließen: Jemand, der generell pessimistisch eingestellt ist, wird kaum seine finanziellen Aussichten überschätzen; dasselbe gilt umgekehrt für Optimisten. Das persönliche Wohlbefinden wurde mit zwei standardisierten Fragebögen erfasst. Einflussfaktoren wie sozialer Status, Bildung oder Familiensituation wurden rausgerechnet.

Klassische Lebensmaxime

Am Ende zeigte sich ein recht klares Bild: Am glücklichsten waren eindeutig die Realisten. Am schlechtesten hatten es – wie zu erwarten – die Pessimisten erwischt. Sie litten deutlich häufiger unter psychischen Belastungen und ihre allgemeine Lebenszufriedenheit war um ein Fünftel geringer als die der Realisten, bei den Optimisten war sie ebenfalls um mehr als zehn Prozent verringert.

„Erkenne dich selbst!“ – heißt es auf dem antike Apollotempel von Delphi. Schon die alten Griechen plädierten also für eine realistische Selbsteinschätzung. Laut den Autoren scheint diese klassische Lebensmaxime langfristig tatsächlich die beste zu sein. Weder könne man – wie ein übertriebener Optimist – bitter enttäuscht werden noch müsse man dauerhaft – wie ein notorischer Pessimist – unter seiner negativen Weltsicht leiden.