Eine Libelle fliegt
APA/dpa/Julian Stratenschulte
APA/dpa/Julian Stratenschulte
Debatte

Doch kein Insektensterben?

Seit Jahren warnen Forscher und Forscherinnen vor einem weltweiten Insektensterben: In hundert Jahren könnte ein Großteil für immer verschwunden sein. Eine Studie widerspricht nun: Die Auswertung jahrelanger Messreihen aus den USA ergab keinen Rückgang. Sorge um den Fortbestand der unscheinbaren Tiere ist aber trotzdem angebracht.

Manche Medien sprachen gar von einer „Insektenapokalypse“, als deutsche Forscher vor drei Jahren den drastischen Rückgang an Insekten in Deutschland quantifiziert haben. Demnach nahm die Gesamtmasse in den vergangenen 27 Jahren um mehr als 75 Prozent ab. Seit damals warnen immer mehr Studien vor einem weltweiten Schwund. Eine Überblicksarbeit aus dem vergangenen Jahr kam gar zu dem Schluss, dass die unscheinbare, aber artenreichste Klasse der Gliederfüßer in einigen Jahrzehnt ganz verschwunden sein könnte.

Für Ökosysteme und ihr Gleichgewicht hätte das dramatische Folgen, auch der Mensch ist abhängig von den oft ungeliebten Krabbeltieren: Manche wie Bienen und Schmetterlinge sind wichtige Bestäuber für Wild- und Nutzpflanzen, andere wie etwa Erdwespen bekämpfen Schädlinge. Gleichzeitig soll der Mensch bzw. seine massiven Eingriffe in die Natur das Verschwinden der Insekten auch zu verantworten haben. Zu den Treibern zählen unter anderem der Einsatz an Pestiziden, die Lichtverschmutzung und die Erderwärmung. Es gab aber auch Kritik an den drastischen Befunden, es fehle eine umfassenden sowie differenzierte Datenbasis, schrieb dazu beispielsweise ein Forscherteam 2019.

Insgesamt Nullsummenspiel

Um diese Lücke zumindest etwas kleiner zu machen, haben die Forscher um Michael S. Crossley von der University of Georgia nun Daten aus insgesamt 5.300 Zeitreihen aus fast 70 verschiedenen – naturbelassene wie stark veränderten – Gegenden in den USA analysiert, wo Insekten und andere Gliederfüßer über vier bis 36 Jahre systematisch erfasst wurden; z.B. wurden Blattläuse, Ameisen und Grashüpfer mit Fangnetzen oder Fallen gefangen oder von Menschen gezählt.

Ein Marienkäfer und unzählige Blattläuse auf einer Pflanze
AFP – JEAN-FRANCOIS MONIER
Marienkäfer und Blattläuse

Dabei zeigte sich, dass die Tiere an manchen Orten zwar weniger, an anderen dafür aber mehr geworden sind. Insgesamt sei es ein Nullsummenspiel. Auch die Vielfalt sei relativ stabil. Anders als etwa in der deutschen Studie aus dem Jahr 2017 wurde nun nicht die gesamte Biomasse bzw. deren Zu- oder Abnahme gezählt, sondern der Bestand einzelner Arten oder Gattungen.

Nützlinge nicht berücksichtigt

So eine differenzierte Trendanalyse wird zwar von allen begrüßt, dennoch äußern sich eine Reihe deutscher Forscherinnen und Forscher gegenüber dem deutschen „Science Media Center“ sehr kritisch zu der nun in „Nature Ecology&Evolution“ veröffentlichten Arbeit. Es handle sich um eine „vogelwilde Mischung aus nicht miteinander vergleichbaren Erhebungen“, meint etwa der Ökologe Johannes Steidle von der Universität Hohenheim.

Laut Steidle werden auf der einen Seite Gliederfüßer wie Zecken und Flusskrebse miteinbezogen, wichtige vom Aussterben bedrohte Arten wie Wildbienen, Schmetterlinge und Libellen werden dagegen kaum berücksichtigt. Ein großer Teil der Daten bezieht sich beispielsweise auf Blattläuse. Den Schädlingen geht es in den USA besonders gut. Dass könnte auch daran liegen, dass es zu wenig natürliche Gegenspieler gibt. Dass es große Unterschiede zwischen Orten und Arten gibt, betont auch Roel van Klink vom deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig. Vor allem das mache die Studie deutlich.

Insekten schon früher verschwunden

Eine weitere Schwäche der Arbeit liegt laut Thomas Schmitt, Direktor des Senckenberg Instituts, daran, „dass es sich bei den Datenreihen aus den USA entweder um Erhebungen in intensiv bewirtschafteten Gebieten handelt oder um (teilweise sehr) große naturnahe oder natürliche Bereiche (etwa Nationalparks).“ Auch das könnte erklären, warum die Studie keinen Nettorückgang bei den Insekten feststellen konnte. „Die großen naturnahen Flächen sind oftmals so ausgedehnt, dass sie nur wenig, wenn überhaupt, von Veränderungen betroffen sind.“

Eine Ameise und Blattläuse auf einer Pflanze
AFP – SILAS STEIN
Ameise und Blattläuse

In der Intensivlandwirtschaft wurden die natürlichen Insektenpopulationen hingegen in den USA vermutlich schon vor längerer Zeit stark dezimiert. Die Datenreihen reichen aber nur bis 1980 zurück. Das unterstreicht auch Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: „Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Prärien urbar gemacht und es erfolgte auch ein dramatischer Wechsel der Insektenbestände. Der Wandel in den USA war also drastisch und vollzog sich in kurzer Zeit, während die europäische Kulturlandschaft durch den Menschen sehr allmählich geschaffen wurde. Als Resultat würde ich erwarten, dass die massiven Rückgänge in den USA wesentlich früher lagen.“

Dass generell nach wie vor Anlass zur Sorge besteht, betonen auch die Autoren um Crossley, da Nützlinge wie etwa Bienen weniger werden, in den USA genauso wie im Rest der Welt. Wie ihre deutschen Kollegen plädieren sie daher für ein flächendeckendes internationales Monitoring, um die regionalen wie weltweiten Insektenbestände detailliert zu erfassen. Denn die vermeintlichen Widersprüche zwischen der aktuellen und den früheren Studien zeigen vor allem, dass das Geschehen im Detail oft deutlich komplexer ist als der Apokalypse-Begriff nahelegt.