Labor: Mann hält Petrischale in der Hand
AFP/TOLGA AKMEN
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Forschungspolitik

Warnung vor zu viel CoV-Forschung

Mit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie hat sich der Fokus in der Wissenschaft mit einem Schlag verlagert. Die Konzentration auf SARS-CoV-2 sei zwar verständlich, könnte Fortschritte in der Forschung generell aber behindern, warnt die Wissenschaftsforscherin Merle Jacob.

In der Datenbank der Weltgesundheitsorganisation WHO sind aktuell mehr als 60.000 Studien, die sich mit dem neuartigen Coronavirus, den Folgen der Pandemie und möglichen Lösungen auseinandersetzen. Dass sich die Forschung weltweit auf das Virus konzentriert, liegt unter anderem daran, dass Pandemieforschung stärker gefördert wird als andere Themen.

Technologiegespräche Alpbach

Von 27. bis 29. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet „Fundamentals“. Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit Vortragenden.

Ein Umstand, den die Wissenschaftsforscherin Merle Jacob von der schwedischen Lund Universität kritisiert. „Ich denke generell, dass die Vielseitigkeit und auch Robustheit des Wissenschaftssystems untergraben wird, wenn Forschung zu sehr thematisch eingeschränkt wird.“

Kein Thema für Nachwuchsforscher

Das Problem, so Jacob: Es gehe bei der Forschung zu SARS-CoV-2 nicht um grundlegende, nachhaltige Fragen und Antworten, sondern um eine akute Krise. Ist die Pandemie vorbei, werden auch die aktuell gewonnenen Erkenntnisse darüber kaum noch eine Rolle spielen, ist Jacob überzeugt. „Es ist ok, wenn ich mich der Pandemie widme, ich habe den Zenit meiner Karriere bereits erreicht", sagt Jacob. Vor allem junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten sich aber anderen Themen widmen, um sich eine nachhaltige Expertise zu grundlegenden Fragestellungen aufbauen zu können.

Da durch Förderungen wesentlich gesteuert werden kann, was beforscht wird, sei es wichtig, auch in der Krise genug Forschungsbudget für Grundlagenforschung bereitzustellen, die thematisch nicht vorab eingeschränkt ist.

Zur Person

Merle Jacob ist Sozialwissenschaftlerin und Wissenschaftsforscherin an der Universität Lund. Jacob wird am 28. August im Arbeitskreis „Return on Investment: Excellence & Relevance in Science “ sprechen.

„Missionen“ schränken ein

Mit einem kritischen Blick sieht die Forscherin auch auf das neue EU-Forschungsförderungsprogramm „Horizon Europe“. Nicht nur, weil das Budget nun geringer ist als angekündigt. Vielmehr wird zu einem wesentlichen Teil „missionsorientierte Forschung“ unterstützt und somit thematisch beschränkt, woran in den nächsten Jahren geforscht wird.

So wird nach Forschern und Forscherinnen gesucht, die sich der Säuberung von Gewässern und der Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme widmen. Auch sollen 100 europäische Städte „bei ihrem systemischen Wandel in Richtung Klimaneutralität unterstützt werden“, wie es heißt. Erreicht werden sollen diese konkreten Ziele bis 2030. „Es ist kein Bottom-up-Prozess. Die Forscher können also nicht selbst eine Fragestellung definieren und einreichen, sondern sind an die thematischen Vorgaben gebunden“, so Jacob. Vorgaben wie diese könnte das Wissenschaftssystem zunehmend schwächen, befürchtet die Wissenschaftswissenschaftlerin.