Experimente

Menschen ersparen einander Schmerzen

Menschen trachten intuitiv danach, anderen Menschen Schmerzen tunlichst zu ersparen. Sie schützen andere sogar besser vor Elektroschocks als sich selbst. Das zeigen Experimente von Wiener Psychologen.

Spätestens seit dem klassischen „Milgram-Experiment“ haben psychologische Versuche unter Einbeziehung von Elektroschocks einen durchaus schalen Beigeschmack. Freiwillige sollten in einem angeblichen Versuch zum Lernverhalten 1961 Stromschläge an Testpersonen austeilen, wenn diese Fragen falsch beantworteten. Die Testpersonen waren in Wirklichkeit Schauspieler, die die Stromschläge nur simulierten. Angetrieben von einem Versuchsleiter verabreichten die Versuchsteilnehmer tatsächlich immer stärkere Stromschläge.

Den Neurowissenschaftlern um Claus Lamm und Lukas Lengersdorff vom Institut für Psychologie der Kognition, Emotion und Methoden an der Universität Wien ging es bei ihrer Untersuchung inklusive Schockandrohung aber nicht um die Erforschung der Autoritätshörigkeit, sondern um eine Annäherung an das „prosoziale“ Verhalten. Darunter versteht man willentlich gesetzte Handlungen, die anderen Personen zugutekommen.

Konsequenzen für anderen

Bei der Wiener Untersuchung mussten sich die Studienteilnehmer immer wieder für eines von zwei angebotenen Symbolen entscheiden. Eines der beiden Bilder löste mit hoher Wahrscheinlichkeit den Schmerzreiz aus, tippte man auf das andere, führte das nur sehr selten zu einem Schock. Im Zeitverlauf konnten die Personen lernen abzuschätzen, welche Wahl mit ungefähr welcher Wahrscheinlichkeit einen Schmerzreiz auslöste, heißt es in einer Aussendung der Uni.

In der Hälfte der Fälle hatte die Entscheidung Auswirkungen auf die Versuchsperson selbst, in der anderen Hälfte der Fälle drohte einem anderen Teilnehmer, den die Probanden vorher kennengelernt hatten, Ungemach. Die Frage war, inwiefern es einen Unterschied im Verhalten machte, ob die Konsequenzen einen selbst oder einen Mitmenschen betrafen. Während des Experiments wurden die Gehirnaktivitäten von 96 männlichen Versuchspersonen mittels Magnetresonanztomografie (fMRT) aufgezeichnet.

Schmerzen vermeiden

Dabei ergab sich die Einsicht, dass die Menschen im Schnitt sogar effizienter beim Vermeiden von Stromstößen waren, wenn diese anderen Studienteilnehmern drohten. In die Entscheidungsprozesse involviert waren Hirnregionen, von denen bekannt ist, dass sie beim Einschätzen von Handlungsoptionen und Umweltreizen beteiligt sind, sowie ein Teil des Gehirns, der etwa mit der Fähigkeit zur Übernahme der Perspektive anderer Menschen in Verbindung gebracht wird.

Die Wissenschaftler werten die nun im „The Journal of Neuroscience“ erschienenen Ergebnisse als Hinweis darauf, dass prosoziales Verhalten spontan auftreten könnte. Das steht zwar in einem gewissen Gegensatz zu anderen Befunden, die sich Lengersdorff allerdings damit erklärt, dass es in diesen Untersuchungen „immer um das Erspielen von Geld“ ging. „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass sich der Effekt gewissermaßen umdreht, wenn nicht das finanzielle, sondern das körperliche Wohlbefinden und der Schutz einer anderen Person auf dem Spiel steht.“