Eine lange Schlange von Bergsteigern erklimmt eine Anhöhe auf dem weg zum Mount Everest
Rizza Alee/AP
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Mount Everest

Gipfeltouristen überraschend erfolgreich

Bilder von langen Warteschlangen auf dem Mount Everest sind im vergangenen Jahr um die Welt gegangen. Einige Bergsteiger starben oder mussten umdrehen. Während anzunehmen wäre, der Gipfeltourismus mache es zunehmend schwieriger, den höchsten Berg der Welt erfolgreich zu besteigen, liefert ein Forscherteam nun den Gegenbeweis.

In den vergangenen dreißig Jahren haben immer mehr Menschen versucht, den höchsten Gipfel der Welt zu erklimmen. Waren zwischen 1990 und 2005 2.200 Erstbesteiger und Erstbesteigerinnen unterwegs, sind es seit 2006 mehr als 3.600 gewesen. Wie die Forscher rund um den Biologen und Evolutionsphysiologen Raymond Huey, emeritierter Professor an der Washington Universität, herausgefunden haben, hat sich der zunehmende Gipfeltourismus bislang nicht negativ auf die Erfolgsquote ausgewirkt. Im Gegenteil: Heute erreichen doppelt so viele Menschen beim ersten Versuch die Spitze des Mount Everest verglichen mit dem Zeitraum 1990 bis 2005. Zur selben Zeit blieb die Todesrate über die Jahre durchschnittlich gleich bei rund einem Prozent. „Das ist wirklich erstaunlich und hätten wir so nicht erwartet“, so Huey.

Zu diesem Ergebnis kamen die Forscher, nachdem sie die sogenannte „Himalayan Database“ ausgewertet und alle Informationen über Erstbesteiger statistisch analysiert haben. „Die Datenbank enthält Interviews von Elizabeth Hawley, eine Reuters Korrespondentin in Kathmandu. Sie hat seit 1963 Beteiligte von allen Expeditionen interviewt, vor und nachdem sie sich in den Himalaya von Nepal aus aufmachten“, erklärt Huey. Ihr Archiv beinhaltet mittlerweile detaillierte Information zu mehr als 10.000 Expeditionen und umfasst auch Alter, Geschlecht und bisherige Bergsteigererfahrungen im nepalesischen Teil des Himalayas.

60 ist das neue 40

Aus diesen Daten lässt sich auch herauslesen, dass heute mehr ältere Frauen und Männer den Gipfel erreichen. So hat ein 60-jähriger Bergsteiger bzw. eine 60-jährige Bergsteigerin heute eine Erfolgsquote von 40 Prozent. Zwischen 1990 und 2005 hatten nur 40-Jährige eine derart gute Quote. Dabei ist die Erfolgsquote in allen Altersgruppen deutlich gestiegen. „Das beste Alter für den Mount Everest ist aber auch heute noch 20 bis 40. Mit 40 erreichten zwischen 2006 und 2019 zwei Drittel der Bergsteiger und Bergsteigerinnen die Spitze. Mit 60 plus steigt hingegen die Wahrscheinlichkeit zu sterben erheblich“, so Huey.

Drei Bergsteiger auf dem Weg zum Gipfel des Mount Everest
Tashi Tsering/Xinhua/AP

Wenig überraschend besteigen auch immer mehr ältere Männer und Frauen den höchsten Berg der Welt von Nepal aus. Waren es zwischen 1953 und 1989 nur 0,1 Prozent, sind heute fast 17 Prozent der Bergsteiger 60 oder älter. Auch befinden sich unter den Mount Everest-Expeditionen mehr Frauen als früher. „Männer und Frauen sind aber damals wie heute gleich, wenn es um das erfolgreiche Bezwingen des Bergs geht. Auch das Sterberisiko ist gleich.“ Erstaunlich ist aber, dass Bergsteiger, die zum ersten Mal auf den Mount Everest gehen, heute weniger erfahren sind als vor 20, 30 Jahren – zumindest auf den nepalesischen Bergrouten.

Gründe für den Erfolg

Warum Bergsteiger heute doppelt so erfolgreich sind, darüber können die Forscher nur spekulieren. Einerseits ist die Wettervorhersage besser geworden, so Huey. Vor allem nach dem Unglück im Mai 1996, als eine Gruppe von einem plötzlichen Wetterumschwung überrascht wurden und einige ums Leben kamen. Auch sind Menschen länger fit, ernähren sich besser und die Gesundheitsversorgung ist besser, so Huey. „Ein anderer Faktor ist, dass es jetzt fixierte Seile entlang der beliebten Routen gibt, an die man sich anheften kann. Dadurch stirbt oder verletzt man sich nicht mehr zwangsläufig, wenn man fällt.“ Zudem wird heute oft früher mit der zusätzlichen Sauerstoffversorgung begonnen und die Durchflussmenge erhöht, wie Expeditionsleiter berichten. „Die Firmen haben mittlerweile herausgefunden, wie man die Leute relativ sicher zum Gipfel bekommt.“

Dass der Tourismus auf dem Mount Everest boomt, könnte aber dennoch das Risiko zu sterben künftig erhöhen, meint Huey. Vor allem wenn es zu langen Warteschlangen wie im Frühling 2019 kommt. Zwar konnten die Forscher bei ihrer Analyse nicht feststellen, dass sich die Todesrate gegenüber 2018 erhöht hat, Huey warnt dennoch vor Menschenmassen auf der Bergspitze. „Es bedeutet einerseits, dass Leute länger brauchen, um den Gipfel zu erreichen und wieder zum Lager zurückzukehren. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen kalt oder der Körper erschöpft wird.“ Darüber hinaus können Lawinen, Erdbeben oder unerwartete Wetterumschwünge wesentlich mehr Schaden anrichten, wenn hunderte Menschen quasi auf einem Fleck sind. „Diese Dinge wird man nicht vermeiden können und die Katastrophe wäre verheerend.“