Künstlerische Darstellung eines Quantengatters
Forance – stock.adobe.com
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Höhenstrahlung

Quantencomputer: Kosmische Defekte?

Der Quantencomputer verspricht immense Rechenmacht, Wissenschaftler des MIT warnen nun: Strahlung aus dem Weltraum könnte dem technischen Fortschritt ein Ende setzen. Ist das so? Ein Quantenphysiker aus Innsbruck widerspricht.

Der Quantencomputer wird zwar den klassischen Rechner nicht in allen Belangen ersetzen. Doch bei manchen Anwendungen ist er selbst Supercomputern herkömmlicher Bauart haushoch überlegen. Grund dafür ist die Fähigkeit des Quantencomputers, mit überlagerten bzw. wellenartigen Zuständen zu rechnen. Diese Quantenbits (kurz Qubits) sind, wie viele andere Quantenzustände auch, äußerst empfindlich. Weswegen Wissenschaftler im Labor eine Reihe von Schutzmaßnahmen treffen müssen, damit die Prototypen im Labor funktionieren.

Ein typisches Quantencomputer-Experiment findet im abgeschirmten, von Magnetismus und Schwingungen geschützten Labor statt, in manchen Versuchsanordnungen auch bei Temperaturen in der Nähe des absoluten Nullpunktes – dann und nur dann können die Qubits ihre Rechenmacht entwickeln. Dass das prinzipiell funktioniert, haben Wissenschaftler, nicht zuletzt auch Arbeitsgruppen aus Wien und Innsbruck, schon mehrfach unter Beweis gestellt. Die Fortschritte der letzten Jahre lassen sich auch an der Lebensdauer von Qubits ablesen, etwa an jenen, die mit Supraleitern hergestellt wurden. Waren sie im Jahr 1999 bloß eine Nanosekunde stabil, beträgt ihre Lebensdauer heute hunderte Mikrosekunden, also deutlich mehr als das Tausendfache.

“Die letzte Zwiebelschicht“

Wie weit lässt sich das noch steigern? Nach Ansicht von Physikern des MIT könnte diese Entwicklung bald ein Ende haben. Sofern die Experimente so ablaufen wie bisher, rechnen sie im Fachblatt „Nature“ vor, sind maximal ein paar Millisekunden möglich, dann ist Schluss. Grund dafür sind störende Umwelteinflüsse wie natürliche Radioaktivität und vor allem: kosmische Strahlung, die auch Labors auf der Erde erreicht.

Wenn Qubits gestört werden, „Dekohärenz“ nennen das die Physiker, verlieren sie ihre Wellennatur und somit ihr Potenzial für Berechnungen nach Quantenart. „Die Dekohärenz ist wie eine Zwiebel, deren Schichten wir in den letzten 20 Jahren abgetragen haben“, sagt Studienautor William Oliver. „Jetzt ist noch eine übrig – wenn wir diese Schicht bestehen lassen, wird unsere Arbeit in den nächsten Jahren an Grenzen stoßen.“

Wo diese Grenze liegt, haben Oliver und sein Team auch im Experiment untersucht. Laut Messungen mit dem Kupfer-64-Isotop als störender Strahlenquelle haben supraleitende Qubits eine maximale Lebensdauer von vier Millisekunden, es sei denn, man trifft zusätzliche Vorkehrungen, um den Versuchsaufbau noch stärker vor äußeren Einflüssen abzuschirmen.

Die gute Nachricht der Studie: Eine zwei Tonnen schwere Schutzmauer aus Blei besserte die Bilanz, denkbar wäre auch, die Experimente tief unter die Erde zu verlegen, so wie es die Neutrino-Forscher machen. Für Anwendungen im industriellen Maßstab sei das gleichwohl nicht der ideale Weg, sagt Oliver. „Ich sehe technische Möglichkeiten, den Quantencomputer auch oberirdisch strahlenhart zu machen. Oder Designs, bei denen die Strahlung von den Qubits abgelenkt wird. Unsere Studie bedeutet kein Game Over, wir müssen uns eben um die nächste Zwiebelschicht kümmern.“

„Das können wir schon“

Der Innsbrucker Physiker Rainer Blatt, einer der Pioniere in diesem Fach, hält Olivers neuesten Beitrag für solide. Sorge bereitet ihm die kosmische Strahlung allerdings nicht. Das Problem sei durch vernünftige Fehlerkorrektur in den Griff zu bekommen – siehe folgendes Interview.

science.ORF.at: Herr Blatt, was sagen Sie zu der Studie Ihrer Fachkollegen vom MIT?

Rainer Blatt: Grundsätzlich empfinde ich es als zeitgerecht, so etwas zu untersuchen. Die Autoren haben Quantenbits im supraleitenden Bereich einer Strahlung ausgesetzt, die ein ähnliches Spektrum aufweist, wie das, was man im Alltag an Strahlung sieht. Und dann haben sie gemessen, inwiefern das die sogenannte Kohärenzzeit beeinflusst – also die Zeit, in der die Quantenbits ihre Überlagerungsfähigkeit behalten. Der Einfluss beträgt bloß 0,2 Prozent. Die Daten sind, sagen wir mal so: sehr gut interpretiert.

Inwieweit beeinflusst die kosmische Strahlung die Herstellung von Quantencomputern?

Blatt: Aus meiner Sicht hat sie keinen wesentlichen Einfluss. Wenn wir fehlertolerante Quantencomputer bauen wollen, müssen wir natürlich Fehlerkorrekturen anbringen. Der Effekt wird zu berücksichtigen sein. Er wird auch größer, wenn man sehr viele Quanten miteinander verschränkt – aber er ist nicht groß genug, um unsere Arbeit zu begrenzen.

Je genauer ein Messgerät ist, desto eher wird das Rauschen zum störenden Faktor. Dieser Zusammenhang gilt auch für die Quantenbits, oder?

Blatt: Natürlich, mit dem Rauschen haben wir immer zu kämpfen, in jedem Quantencomputer, bei jeder Präzisionsmessung. Die Frage ist nur: Welche Störung ist dominant? Es ist die Aufgabe des Physikers, aus dem Rauschen das richtige Signal herauszufischen. Zum Beispiel durch Mittelung und Abschirmung – oder aktiv, indem man die Fehler wieder wettmacht. Das meine ich mit Fehlerkorrektur. Die Arbeit reißt mich nicht vom Hocker, die Quantencomputerei wird durch die kosmische Strahlung jedenfalls nicht unmöglich gemacht.

Was muss man tun, um Quantencomputer auch in ganz normalen Räumen zum Laufen zu bringen? Ist die Temperatur ein Problem?

Blatt: Unsere Quantencomputer bestehen aus Ionenfallen und die funktionieren ohne Probleme bei Zimmertemperatur. Wir kühlen nicht die ganze Apparatur, sondern wir arbeiten mit einer Laserkühlung, das heißt: Wir verhindern, dass sich die Ionen im Vakuum bewegen. Bei supraleitenden Schaltkreisen ist das natürlich anders. Hier braucht es sehr niedrige Temperaturen.

Wie lange muss ein Überlagerungszustand stabil sein, damit man damit rechnen kann?

Blatt: Mit den Ionenfallen können wir die Kohärenz Minuten und länger aufrechterhalten. Doch auf die Dauer kommt es gar nicht an. Entscheidend ist die Frage: Wie viele Rechenoperationen kann man in der zur Verfügung stehenden Zeit machen? Dieses Verhältnis ist bei Ionenfallen und supraleitenden Schaltkreisen sehr ähnlich, wir können hunderte oder tausende Operationen durchführen, bevor uns das System quasi unter der Hand zerfällt.

Die Studie in „Nature“ war schon einige Zeit auf dem Preprintserver „arXiv“ auf dem Markt. Wie haben ihre Kollegen darauf reagiert?

Das ist gute Physik, aber ich denke, die Arbeit regt niemand auf. Ich habe gerade mit einem Kollegen darüber gesprochen. Er hat mit den Achseln gezuckt. Und einen Satz gesagt: „Das können wir schon.“