Das Forschungsschiff „Polarstern“ bei Nacht auf einer Eisscholle
APA/AFP/Alfred Wegener Institut/Lukas PIOTROWSKI
APA/AFP/Alfred Wegener Institut/Lukas PIOTROWSKI
Polarforschung

Auf einer Scholle durch die Arktis

300 Tage lang ist das Forschungsschiff Polarstern auf einer Eisscholle durch die eingefrorene Arktis gedriftet. Von Sibirien bis Grönland sammelten die Forscher Daten über das schrumpfende Eis – und erhielten neue Einsichten in die Klimakrise im Nordpolarmeer.

Ende Juli endete die bisher größte Arktismission des Alfred-Wegener-Instituts plötzlich: Die Eisscholle, die die Forschenden 300 Tage lang durch die Polarmeere begleitet hatten, brach unter lautem Knirschen auseinander. An nur einem Tag mussten die Geophysiker und Klimaforscherinnen alle Messstationen einsammeln und an Bord des Eisbrechers Polarstern in Sicherheit bringen.

1.700 Kilometer durch die Arktis

Am 20. September 2019 hatte das außergewöhnliche Forschungsprojekt unter der Leitung des Geophysikers Christian Haas begonnen. Der Eisbrecher Polarsterne dockte an der Eisscholle „Mosaic“ an und driftete mit ihr 1.700 Kilometer von der Laptewsee nördlich von Russland vorbei am Nordpol bis in die Framstraße zwischen Spitzbergen und Grönland. Erste Ergebnisse diskutierte Haas vbei den Technologiegesprächen im Rahmen des Europäischen Forum Alpbach.

Forscher montiert einen Sensor auf einer Eisscholle ab, im Hintergrund das Forschungsschiff „Polarstern“

Ziel der Expedition war laut Haas die Klimaveränderungen in der Arktis ein Jahr lang zu verfolgen. „So konnten wir verfolgen, wie sich das Eis im Lauf der Jahreszeiten unter den Einflüssen der Atmosphäre und des Ozeans im Sommer und im Winter verändert“, erklärt der Geophysiker. Christian Haas war selbst an Bord und übernahm für zwei Monate die Fahrtleitung.

Eis wird immer dünner

Dabei untersuchten Haas und sein Team nicht nur die Mosaic-Scholle. Auf dem umliegenden Eis verteilten die Polarforscher autonome Messstationen, um so eine Eisfläche von 50 Quadratkilometern abdecken zu können und genau zu prüfen, wie sich warme Luft und warme Meeresströmungen auswirken bzw. wie das Schmelzen und Frieren im Verlauf der Jahreszeiten vonstattengeht.

Dass das Eis in den Polarmeeren schmilzt, dass die Schollen immer dünner werden, sei längst bekannt, sagt Haas. Die Mosaic-Expedition des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung konnte jetzt zusätzliche Zahlen liefern: Vor 30 Jahren waren diese Eisschollen durchschnittlich drei Meter dick, jetzt liegen sie bei unter zwei Metern. Im gleichen Zeitraum hat sich die Eisfläche halbiert.

2020 neuer Negativrekord wahrscheinlich

„Dieses Jahr ist es nun leider so, dass die Eisbedeckung wieder sehr, sehr gering ist“, so Haas. Im Lauf des Julis war sie sogar so gering wie nie zuvor. Der arktische Sommer dauere aber bis Mitte September, dann finde man normalerweise die minimalste Eisbedeckung, so der Geophysiker weiter. „Die Chancen für einen neuen Minimumsrekord stehen heuer leider bei 50:50“, meint Haas.

Auch die Driftgeschwindigkeit der Eisschollen hat sich erhöht. Das beobachteten die Forscher etwa anhand der Mosaic-Scholle. Sie erreichte den Transpolarstrom nicht mehr, der sie weiter nach Norden getrieben hätte und brach stattdessen davor auseinander. Eine Konsequenz des globalen Klimawandels, der die Luft- und Wassertemperatur auch im hohen Norden nach oben treibt.

Expedition geht weiter

Die Veränderungen der polaren Ökosysteme sollten allen Menschen Sorgen machen, mahnt Haas. Schrumpft die weiße Eisfläche an den Polkappen, die Sonnenstrahlung reflektiert, verändert das den Strahlungshaushalt der Erde. Die dunkle Oberfläche des Ozeans absorbiert Strahlung dagegen. „Dadurch beschleunigt sich nicht nur der Rückgang des Meereises, dadurch wird auch die Erwärmung der Arktis und in Folge die Erderwärmung vorangetrieben“, so Haas.

Ein Phänomen, das als arktische Verstärkung bezeichnet wird: Die Arktis erwärmt sich mindestens doppelt so schnell wie der Rest der Welt. Die Mosaic-Expedition wird bis in den Herbst fortgesetzt, auch ohne gleichnamige Scholle. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen weitere Proben und wollen weiter ins Eis hinein, um das Gefrieren im Herbst zu untersuchen. Dann wird sich zeigen, ob in punkto Eisfläche heuer der Negativrekord gebrochen wird.