Mann mit roter Krawatte und geballter Faust
APA/AFP/SAUL LOEB
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Persönlichkeit

Fieslinge sind nicht erfolgreicher

Nützen Egoismus und Skrupellosigkeit dem beruflichen Aufstieg? Nein, sagt der US-amerikanische Persönlichkeitsforscher Cameron Anderson. Warum ihn dieses Resultat selbst überrascht hat, erklärt der Wissenschaftler von der University of California in Berkeley im Interview.

science.ORF.at: Herr Anderson, Ihre letzte Studie beginnt mit dem Satz „An mächtigen Trotteln besteht kein Mangel.“ Wie definieren sie „Trottel“ wissenschaftlich?

Cameron Anderson: Wir haben uns auf ein Persönlichkeitsmerkmal konzentriert, das man „Unverträglichkeit“ nennt. Das ist eine Kombination aus Egoismus, Unhöflichkeit und mangelnder Rücksicht. Unverträgliche Menschen kümmern sich weniger um andere, ihr Verhalten ist in der einen oder anderen Form bösartig.

Persönlichkeitsforscher Cameron Anderson
University of California, Berkeley

Zur Person

Cameron Anderson beschäftigt sich in seinen Forschungen mit Status, Macht und Selbstwahrnehmung. Im Fachblatt „PNAS“ erschien kürzlich seine Studie: „People with disagreeable personalities do not have an advantage in pursuing power at work“.

Bösartigkeit ist messbar?

Anderson: Der beste Weg ist, Menschen Fragen über sich selbst zu stellen. Natürlich würde niemand sagen: „Ich bin ein großer Trottel.“ Insofern scheint es schwierig, Unverträglichkeit zu messen. Doch wenn man indirekte Fragen stellt, erhält man sehr wohl ein Bild der Persönlichkeit. Zum Beispiel: „Sind Sie manchmal unhöflich?“ Oder: „Sind Sie manchmal kühl und distanziert?“ Das geben viele Menschen zu.

Es gibt ein Klischee, demzufolge rücksichtlose Menschen beruflich erfolgreicher sind. Das scheint laut ihrer letzten Studie nicht zu stimmen.

Anderson: Es ist nicht so, dass rücksichtslose Egoisten keine Führungspositionen erreichen würden. Aber sie sind statistisch betrachtet nicht erfolgreicher als nette Menschen. Der alte Satz „Nettsein macht sich nicht bezahlt“ ist also falsch. Die oberen Etagen in Firmen oder Organisationen sind gleichermaßen mit angenehmen und unangenehmen Zeitgenossen besetzt.

Wie haben Sie das herausgefunden?

Anderson: Wir haben den beruflichen Werdegang von mehr als 450 Probanden über einen Zeitraum von zehn bis 20 Jahren verfolgt und mit den Ergebnissen von Persönlichkeitstests verglichen. Die Tests wurden während der Studentenzeit durchgeführt und dann später, während der beruflichen Karriere unserer Probanden und Probandinnen, wiederholt. Das Ergebnis war: Zwischen Unverträglichkeit und Macht gibt es keinen Zusammenhang. Das war überraschend, also dachten wir uns: Vielleicht besteht der Zusammenhang nur in einem sehr spezifischen Kontext, zum Beispiel in Organisationen mit ausgeprägtem Verdrängungswettbewerb. Aber selbst da fanden wir keine Korrelation. Wir haben auch untersucht, ob Männer eher mit rücksichtlosem Verhalten zum Erfolg kommen, auch darauf fanden wir keinen Hinweis.

Kann sich die Persönlichkeit im Laufe der Zeit verändern?

Anderson: Es gibt sowohl stabile Anteile wie auch veränderliche. Durch die Untersuchungen der letzten zehn bis 15 Jahre setzt sich immer stärker die Ansicht durch: Ja, die Persönlichkeit kann sich verändern. Das Selbstbewusstsein nimmt zum Beispiel mit dem Alter zu, ebenso die emotionale Stabilität.

Haben Sie untersucht, ob es solche Veränderungen bei ihren Probanden gab?

Anderson: Ja, wir hatten zunächst die Vermutung, dass manche Menschen erst während ihrer Karriere problematische Charaktereigenschaften entwickeln – und dadurch mehr Erfolg haben könnten. Aber die Antwort war wieder die gleiche: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Unverträglichkeit und Macht.

Denkbar wäre, dass es umgekehrt ist: Werden Menschen erst durch Macht rücksichtslos?

Anderson: Zu dieser Frage haben wir schon viele Untersuchungen angestellt, und das scheint tatsächlich zuzutreffen: Wenn man Menschen Macht gibt, dann werden sie egoistischer und gefühlloser. Sie neigen auch eher dazu, andere zu benutzen oder zu drangsalieren. Macht kann die Persönlichkeit verändern. Und viele dieser Effekte sind nicht gerade hübsch.

Warum haben Sie diesen Zusammenhang nicht in Ihrer letzten Studie gesehen?

Anderson: Das ist eine gute Frage, wir wissen es nicht. Ich kann nur sagen: Wir hätten es erwartet. Vielleicht müssten wir das Verhalten noch genauer untersuchen und uns ganz spezifische Aspekte ansehen. Es könnte auch sein, dass sich die Persönlichkeitsveränderung durch Macht erst langfristig zeigt. Wenn wir die Studie in zehn Jahren wiederholen, sehen wir den Effekt vielleicht.

Beispiele von mächtigen oder erfolgreichen Menschen, denen es an Menschlichkeit mangelt, gibt es dennoch. In der Wirtschaft, in der Unterhaltungsbranche …

Anderson: … und besonders in der Politik. Keine Namen, ich möchte keine Morddrohungen bekommen.

Was uns zurück zur Ausgangsfrage führt: Woher stammt dieses Klischee vom erfolgreichen Fiesling?

Anderson: Das ist die Richtung, in die ich meine Forschungen lenken möchte. Steve Jobs ist ein bekanntes Beispiel. Er war beruflich höchst erfolgreich, er hatte Macht – und er war ein riesiger Kotzbrocken. Solche Leute bleiben uns offenbar eher im Gedächtnis. Vielleicht ist das der Grund dafür, warum sich der Mythos vom erfolgreichen Fiesling so hartnäckig hält.