Die Astronautin Cady Coleman und der Astronaut Paolo Nespoli 2010 kurz vor dem Flug zur ISS
AFP – DMITRY KOSTYUKOV
AFP – DMITRY KOSTYUKOV
Weltraummission

Schwerelosigkeit verändert das Gehirn

Bei längeren Aufenthalten im Weltall verändert sich der menschliche Körper: Knochen, Muskulatur und Blutkreislauf passen sich an die Schwerelosigkeit an. Das dürfte auch beim Gehirn so sein, wie eine Studie zeigt – vor allem in jenen Arealen, die für die Steuerung des Bewegungsapparats zuständig sind.

Kosmonauten und Astronauten, die von der Internationalen Raumstation ISS zurückkehren, haben mit gesundheitlichen Langzeitfolgen zu rechnen: Das Krebsrisiko steigt wegen der erhöhten kosmischen Strahlung, die fehlende Gravitation führt dazu, dass Muskeln abgebaut und den Knochen Kalzium entzogen wird, das erhöht das Risiko für Osteoporose später im Leben. Nun zeigt eine Studie, die soeben in der Fachzeitschrift „Science Advances“ erschienen ist, dass sich auch das Gehirn nach einem längeren Aufenthalt im All verändert und diese Anpassungen auch nach der Rückkehr zu Erde erhalten bleiben.

Schwerelosigkeit beeinflusst Gehirnwasser

Untersucht wurden die Gehirne von elf männlichen Kosmonauten, die jeweils sechs Monate oder mehr auf der Internationalen Raumstation (ISS) verbrachten. Die Gehirne wurden dreimal im Magnetresonanztomographie-Scanner untersucht: Vor dem Abflug zur ISS, kurz nach Rückkehr zu Erde und sieben Monate nach Ende der Mission.

Das bildgebende Verfahren zeigte, dass es in den sechs Monaten Schwerelosigkeit zu einigen Veränderungen kommt, etwa bei der Flüssigkeitsverteilung im Kopf, erklärt der Neurowissenschaftler Steven Jillings von der Universität Antwerpen, der Erstautor der Studie. „In der Schwerelosigkeit gelangt weniger Gehirnwasser in die Regionen unterhalb der Schädeldecke, während sich Richtung Rückenmark mehr Flüssigkeit staut“, so Jillings gegenüber science.ORF.at.

Blick aus dem Fenster der ISS
AFP – SCOTT KELLY
Blick aus dem Fenster der ISS

Mehr und weniger Graue Substanz

Es komme also zu Problemen im Kreislauf der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit, die am Beginn der Mission zu Sehschwierigkeiten führen können, weil auch der Augendruck stark zunimmt. Davon abgesehen spürten die Kosmonauten keine Beeinträchtigungen. Jillings konnte jedoch weitere Veränderungen entdecken. Die Verlagerung der zerebralen Flüssigkeit beeinflusste auch das Gehirngewebe.

Die untersuchten Kosmonauten hatten weniger Graue Substanz im Sulcus lateralis, einer seitlichen Furche des Gehirns, und den mit Hirnwasser gefüllten Ventrikeln. Dafür gab es eine Zunahme an Grauer Substanz in den höhere gelegenen Hirnarealen. Einschränkungen oder neuronale Symptome erlebten die Kosmonauten deswegen aber nicht, betont Jillings.

Neue Fähigkeiten im Hirn sichtbar

Darüber hinaus beobachteten die Neurowissenschaftler einen Anpassungseffekt im Gehirn der Kosmonauten, und zwar in jenen Bereichen, die für Bewegungsabläufe zuständig sind. Im Motorkortex in der Großhirnrinde, der Signale an die Muskeln sendet, nimmt die Masse des Gehirngewebes laut Studie beispielsweise zu.

Gehirn und Bewegungsapparat sind an die Gravitation der Erde angepasst. Sich in der Schwerelosigkeit fortzubewegen oder Objekte zu fassen, sei zunächst sehr schwierig für die Kosmonauten, meint Jillings. Das Gehirn müsse das lernen und passe sich dementsprechend an. Interessant sei, dass diese Veränderungen auch nach sieben Monaten Erdanziehung nicht wieder gänzlich verschwinden. Das Gehirn habe neue Fähigkeiten erworben, mein Jillings. Ob das so bleibt, wollen die Neurowissenschaftler in zwei Jahren noch einmal untersuchen.