Weltkarte mit Verteilung von Coronavirus-Ausbrüchen
MACLEG – stock.adobe.com
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Covid-19-Impfstoff

Drei Phasen für eine gerechte Verteilung

Wie sollen Impfstoffe gegen das Coronavirus weltweit gerecht verteilt werden? Ein internationales Team von Forscherinnen und Forschern hat dazu nun einen Dreiphasenplan vorgestellt. Und US-Mathematikerinnen modellieren, wie Impfstoffe national sinnvoll verteilt werden können.

Erstens Leben und Gesundheit, zweitens Wirtschaft und Soziales und drittens Verringerung der Übertragungsrate. So lässt sich das Dreiphasenmodell von 19 internationalen Public-Health-Expertinnen und -Experten für eine gerechte, globale Verteilung der Impfstoffe zusammenfassen. Also zuerst: Impfstoff dorthin, wo man die relativ meisten Todesfälle, vor allem vorzeitige Todesfälle, sowie irreversible Gesundheitsschäden verhindern kann. Zweitens: Länder versorgen, in denen der wirtschaftliche sowie soziale Schaden am größten ist und deshalb gemildert werden sollte. Hier denken die Forscher und Forscherinnen an drohende Schließungen von Schulen und Unternehmen. Und drittens: Länder anteilig bevorzugen, in denen sich noch immer viele Menschen anstecken. „Es sollen aber alle Länder genug Impfstoffe bekommen, um die Übertragung des Virus zu stoppen – also bis 60, 70 Prozent immun sind“, heißt es in der Publikation im Fachjournal „Science“.

„Proportional ist nicht gerecht und fair“

Damit sprechen sich die Autoren und Autorinnen gegen den Vorschlag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus, wonach alle Länder zunächst genug Dosen erhalten sollen, um drei Prozent ihrer Bevölkerung impfen zu können, und weitere Chargen so lange proportional verteilt werden, bis in allen Ländern 20 Prozent der Bevölkerung eine Impfung bekommen haben. „Dieser Ansatz geht fälschlicherweise davon aus, Gleichberechtigung bedeutet, unterschiedliche Länder gleich zu behandeln, anstatt ihren unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden“, kritisieren die Forscher in ihrer Publikation und weisen darauf hin, dass Länder mit gleicher Bevölkerungszahl unterschiedlich schwer von der Pandemie betroffen sein können.

Mit ihrem Dreiphasenplan richten sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vor allem an die Einrichtung COVAX, die sich dem Ziel verschrieben hat, COVID-19-Impfungen global gerecht zu verteilen. Geleitet wird der Verbund von der Weltgesundheitsorganisation WHO, der Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung CEPI sowie der Impfallianz Gavi, die von der Bill & Melinda Gates Foundation gegründet wurde. Darüber hinaus soll er auch Regierungen und Impfstoffhersteller zu einer gerechten Verteilung animieren. „Glücklicherweise haben sich viele Hersteller öffentlich zu einer ‚breiten und gerechten‘ internationalen Verteilung der Impfstoffe bekannt“, so die Forscher.

Verträge und Ethik

Das Modell konkurriert gewissermaßen mit der Praxis, in der einige verhandlungsstarke Länder sowie auch die EU bereits separat Verträge mit Herstellern geschlossen und sich Lieferungen gesichert haben. Die USA haben erst vor Kurzem bekanntgegeben, sich gar nicht an COVAX beteiligen zu wollen. „Deshalb ist es wichtig, dass es Allianzen wie Gavi gibt, die sich darauf fokussiert, dass auch Entwicklungsländer einen Zugang zu den Impfstoffen haben“, kommentiert die Wiener Impfexpertin Christina Nicolodi die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit und Verhandlungsmacht. Nicolodi ist in der Entwicklung und Zulassung von biotechnologischen Arzneimitteln tätig.

Wie Impfstoffe sinnvoll verteilt werden können, damit beschäftigt sich auch die Infektiologin Barbara Rath, Vorsitzende der Vienna Vaccine Safety Initiative. Anlässlich des soeben publizierten Drei-Phasen-Modells gibt die Forscherin aber zu bedenken, dass ein derartiger Ansatz nur dann funktioniert, wenn es robuste und verlässliche Daten gibt.

„Man muss in diese Modelle miteinbeziehen, dass wir in vielen Ländern nicht so viel wissen, wie wir gerne wüssten. Abgesehen davon muss auch berücksichtigt werden, wie effektiv die Impfungen in einem Land an die Menschen verteilt werden können und inwiefern es dafür Infrastrukturen gibt. Hier müssen wir breiter denken und uns fragen, wie wir Länder dabei unterstützen können“, so Rath.

Nationale Verteilungsstrategie

Verteilungsfragen stellen sich nicht nur international, sondern auch auf nationaler Ebene. Den idealen Verteilungsschlüssel für ein Land zu finden, ist schwierig und hängt von einigen Faktoren ab, die man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht kennt. „Wir können uns diese Frage nicht erst stellen, wenn die ersten Impfstoffe da sind. Gleichzeitig müssen wir bei der Entwicklung von Verteilungsmodellen den zweiten vor dem ersten Schritt machen, denn es hängt natürlich ganz wesentlich vom Impfstoff selbst und seiner Wirkung ab“, so Rath.

Wie Unterschiede sich hier auswirken können, haben soeben US-Mathematikerinnen in einem vorveröffentlichten Modell berechnet. Ergebnis: Ist der Impfstoff hocheffizient und erzeugt eine Immunität, sollten Jüngere zuerst geimpft werden, um die Verbreitung bestmöglich zu verlangsamen. Bei einem weniger effizienten Impfstoff hingegen, der eher die Erkrankung lindert, nicht aber in allen Fällen vor einer Infektion schützt, sollten ältere Menschen vorgereiht werden, da sie von einer COVID-19-Erkrankung am stärksten betroffen sind. „Modelle wie diese treffen viele Annahmen und vereinfach die Realität stark. Es ist beispielsweise nicht trivial zu messen, inwiefern ein weniger wirksamer Impfstoff eine COVID-19-Erkrankung tatsächlich mildert“, ergänzt Rath.

Flexible Strategien

Auch wird die Verteilung davon abhängen, bei welcher Bevölkerungsgruppe der Impfstoff am besten wirkt. So reagiert das Immunsystem von älteren Menschen oft weniger gut auf Impfungen wie bei jungen. „Das liegt einfach daran, dass das Immunsystem im Laufe der Zeit ermüdet. Es gibt aber auch Impfstoffarten mit Impfstoffverstärkern, die bei älteren Menschen sogar besser wirken. Man muss noch abwarten und dann beurteilen“, so Christina Nicolodi.

Die eine vorgefertigte Strategie gibt es also nicht, vielmehr brauche es eine gewisse Flexibilität, betont auch Rath. Modelle können aber helfen, unterschiedliche Verteilungsszenarien durchzuspielen und die Impfstrategie an die Verfügbarkeit unterschiedlicher Impfstoffe anzupassen.