Elon Musk bei der Präsnetation des Neuralink-Gehinrchips
APA/AFP/Neuralink
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Neurotech

Chip im Gehirn: Was will Elon Musk?

Elon Musk hat eine Vision: Der Milliardär und Unternehmer will Schmerzen, Sucht und Gedächtnisschwund mit einem Gehirnchip kurieren. Erste Versuche an Schweinen verliefen erfolgreich. Die Fachwelt reagiert mit Anerkennung – aber auch mit Skepsis.

Hollywood hat das Thema bisher düster inszeniert. In Filmen wie „Total Recall“, „Mindgames“ oder „Upgrade“ kippt das neurotechnologisch Machbare in Abgründe, das Herumpfuschen am menschlichen Geist, so lehren uns die Kassenschlager des Science-Fiction-Genres, geht selten gut aus.

Ein „Upgrade“ des Gehirns hat auch Elon Musk vor. Nur ist das in diesem Fall kein Filmskript, sondern Wirklichkeit. Ende August präsentierte der Tesla-Chef seine neueste Errungenschaft, ein Interface zwischen Gehirn und Computer (BCI). Dieses Implantat könnte eine Kommunikation zwischen lebendigem Gewebe und Elektronik ermöglichen – und zwar in beide Richtungen: das Auslesen von neuronalen Erregungen ebenso wie die Stimulation ausgewählter Hirnbereiche. Bei Schweinen wurde das, wie Musk bei der Präsentation im kalifornischen Fremont erklärte, bereits ansatzweise verwirklicht.

Die Versuchstiere scheinen bei guter Gesundheit zu sein, die Implantate in ihrem Kopf sind momentan imstande, die Position der Beine aus den Nervenstörmen auszulesen. Übertragen wird das Signal per Bluetooth auf einen Computer bzw. aufs Handy. Das Gerät funktioniere also im Grunde so „wie ein Fitness-Tracker im Kopf“, sagt Musk, der mit dem absolvierten Machbarkeitsbeweis freilich anderes im Sinne hat als eine neue Fitnessapplikation: Mittelfristig soll der Chip der Firma Neuralink neurologische Probleme aller Art kurieren, von Schmerzen, Sucht und Gedächtnisschwund bis hin zu den Folgen von Schlaganfällen.

“State of the Art“

Prinzipiell möglich wäre das. Neuronen kommunizieren mit elektrischen Signalen – physikalisch gesehen wäre somit auch das menschliche Gehirn manipulierbar, gesetzt den Fall, man könnte die Botschaft der Nervenströme entschlüsseln und künstliche Signale genau dort einspeisen, wo sie die intendierte Wirkung entfalten.

Elon Musk hält den neuen Gehirnchip in der Hand
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Der Gehirnchip von Neuralink ist etwa so groß wie eine Münze

In der Fachwelt hinterließ Musks Auftritt bisher einen ambivalenten Eindruck. Das BCI von Neuralink sei „technisch State of the Art“, sagt Pascal Fries, Direktor des Ernst-Strüngmann-Instituts für Neurowissenschaften in Frankfurt. Aber eben nicht mehr. „Das können andere Top-Labore auch.“ Für die nächsten Jahre erwartet der deutsche Neurophysiologe von seinen US-Kollegen dennoch Größeres, Musk habe ein hundertköpfiges Team von Spezialisten um sich versammelt, „die alle nur an einem Projekt, an einer Vision arbeiten. Das ist bemerkenswert.“

Privat vs. staatlich

Welche Durchschlagskraft privat finanzierte und von universitären Bindungen befreite Forschung entfalten kann, zeigt ein Blick auf die neuere Wissenschaftsgeschichte. Als sich in den 1990er-Jahren Wissenschaftler um den Direktor der staatlichen National Institutes of Health, Francis Collins, zusammenschlossen, um das menschliche Erbgut zu kartieren, bekamen sie alsbald Konkurrenz aus dem privaten Sektor, nämlich von einem Team um den Genomforscher und Unternehmer Craig Venter. Durch die Ziellinie gingen 2003 beide Teams gleichzeitig, das Wettrennen zur vollständigen Sequenzierung des Humangenoms endete mit einem Unentschieden. Doch woher die technischen Innovationen auf dem Weg dorthin gekommen waren, blieb aufmerksamen Beobachtern nicht verborgen: Es war Venters Team, das die entscheidenden Impulse gesetzt hatte.

Über die methodischen Details konnte sich die Fachwelt damals in einschlägigen Publikationen informieren – das ist bei dem Gehirnchip der Firma Neuralink anders. Der Konzern hält sich bedeckt, wissenschaftliche Veröffentlichungen gibt es bisher keine. Nach Ansicht von Thomas Stieglitz, Spezialist für Medizinische Mikrotechnik an der Universität Freiburg, wird sich daran auch wenig ändern: „Elon Musk investiert dreistellige Millionenbeträge in dieses Projekt. Ich gehe davon aus, dass er sich einen technischen Vorsprung sichern will. Wenn Daimler-Benz eine neue S-Klasse rausbringt, erwarten wir auch nicht, dass sie etwas in ‚Nature‘ oder ‚Science‘ publizieren.“ Was die Frage aufwirft: Was wiegt mehr – die wissenschaftliche Transparenz oder der mögliche medizinische Nutzen?

An den Regularien vorbei wird Musk seine Forschungen jedenfalls nicht betreiben können. Sobald die Versuche in eine klinische Phase eintreten, muss sich auch seine Firma an die Sicherheitsbestimmungen der US-amerikanischen Food and Drug Administration halten.

“Ein massiver Eingriff“

Alireza Gharabaghi, ärztlicher Direktor des Instituts für Neuromodulation und Neurotechnologie an der Uni Tübingen, kann dem „PR-Theater von Musk“ auch Positives abgewinnen. Der Medienrummel sei insofern gerechtfertigt, als er die Aufmerksamkeit auf ein Problem lege: „Für viele Menschen mit neurologischen Erkrankungen gibt es noch immer keine adäquate Behandlung. Und das in Zeiten, wo wir zum Mars fliegen.“ Dass Patientinnen und Patienten mit Hilfe der Neurotechnologie geholfen werden kann, hält der Mediziner für durchaus realistisch. Dafür brauche es, wie Musk nun vorgezeigt habe, eine Bündelung der wissenschaftlichen Kräfte. Auch in Europa, auch an staatlichen Forschungsinstituten. So betrachtet könnte sich die Geschichte wiederholen: Wenn die Impulse – wie beim Humangenomprojekt – aus dem privaten Sektor kommen, muss das nicht zum Nachteil der öffentlichen Forschung sein.

Bis zu medizinischen Anwendungen am Menschen ist es freilich noch ein weiter Weg, betont Fries. „Wir sollten uns keiner Illusion hingeben: So ein Implantat ist ein massiver Eingriff. Man kann die Schäden am Gehirn geringhalten, aber völlig vermeiden kann man sie nicht.“

Elon Musk indes denkt bereits in größeren Dimensionen. Ihm schwebt ein mit Hilfe von Neurotechnologie erweitertes und verbessertes Gehirn vor. Ein Gehirn, das sich in Zukunft auch mit der sich rapide entwickelnden Künstlichen Intelligenz wird messen können. Kommunikation per Gedankenübertragung, Speichereinheiten für Erinnerungen – so sieht die langfristige Vision des Tesla-Chefs aus. Die thematische Verwandtschaft mit der Science-Fiction ist nicht abzustreiten, der Unterschied ist bloß: Ethische Debatten zur Frage, ob die Gesellschaft so einen Eingriff in den menschlichen Geist überhaupt als wünschenswert erachtet, sind im Kino selten Thema. In der realen Welt werden sie zu führen sein.