Das Material ist CO2-neutral und am Ende der Nutzungsdauer in der Regel auch vollständig biologisch abbaubar.
Alexander Bismarck
Alexander Bismarck
Materialchemie

Statt Tieren und Kunststoff: Leder aus Schwammerln

Wiener Forscher berichten von einem lederähnlichen Material, das aus Pilzen hergestellt wird. Das „Schwammerl-Leder“ könnte eine nachhaltige und ethisch unbedenkliche Alternative für Leder aus Tierhäuten und Kunstleder sein.

Die Bedenken gegenüber der klassischen Lederproduktion reichen von ethischen Fragen im Zusammenhang mit der Verwendung tierischer Produkt bis zu den beträchtlichen Auswirkungen der Viehzucht und der lederverarbeitenden Industrie auf die Umwelt. So wird geschätzt, dass der Viehzuchtsektor für zwölf bis 14 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Dazu kommen Entwaldung für die Weiden bzw. Futtermittel sowie der Einsatz problematischer Chemikalien bei der Gerbung. Kunstleder etwa aus Polyvinylchlorid (PVC) oder Polyurethan wiederum wird aus fossilen Rohstoffen hergestellt.

Grundlage ist das Mycel

Dagegen sind aus Pilzen gewonnene lederartige Materialien CO2-neutral und am Ende der Nutzungsdauer in der Regel auch vollständig biologisch abbaubar, erklärte Alexander Bismarck vom Institut für Materialchemie der Universität Wien. Mit Kollegen hat er am Montag im Fachjournal „Nature Sustainability“ einen Übersichtsartikel veröffentlicht, der die Nachhaltigkeit von Rinder- und Kunstlederproduktion bewertet und erste Entwicklungen und Kommerzialisierungen von aus Pilzen gewonnen Lederersatzstoffen vorgestellt hat. Verwendet wird dabei das Mycel der Pilze – die fadenförmigen Zellen, die den Großteil der Pilz-Biomasse ausmachen.

Aus Pilzen gewonnenen lederartigen Materialien haben beträchtliches Potenzial vor allem im Bezug auf ihre Nachhaltigkeit.
Alexander Bismarck
Aus Pilzen gewonnenes lederartiges Material

Vergleichbare Materialeigenschaften

Diese können auf kostengünstigen land- und forstwirtschaftlichen Abfall- und Nebenprodukten wie etwa Sägemehl wachsen, bevor sie geerntet werden. Dann müssen sie physikalisch und chemisch behandelt werden, wobei man ohne problematische Stoffe auskomme: Zum Einsatz kommen dabei nur heiße Alkalilaugen, erklärte Bismarck. „Nach der Entwässerung und Pressung hat das hauptsächlich aus Proteinen sowie Polysacchariden wie Chitin und Chitosan bestehende Myzelgeflecht ähnliche Eigenschaften wie Leder, es sieht nicht nur so aus, sondern greift sich auch ähnlich an und hat vergleichbare Materialeigenschaften“, betonte der Chemiker.

Zu den größten Herausforderungen in der Herstellung von lederartigem Materialien aus Pilzen zählen den Autoren zufolge noch die Produktion homogener und stabiler Mycel-Matten, „die ein gleichmäßiges Wachstum und eine konsistente Dicke, Farbe und mechanische Eigenschaften aufweisen“. Das Wachstum dauere, je nachdem welche Dicke man haben wolle, von zwei Wochen an aufwärts. Sonst sei dafür aber keine aufwändige Infrastruktur notwendig, benötigt würden Hallen, wo die Pilze übereinandergestapelt ohne besondere Ansprüche an Licht und Temperatur wachsen können.

Pilz-Bioraffinerien werden wichtiger

Bismarck geht davon aus, dass die Nachfrage aus Produkten solcher Pilz-Bioraffinerien in Zukunft immer größer wird. Mit dem Trend zu vegetarischem und veganem Essen – viele Fleischersatzprodukte basieren ja auch auf Pilzen – sei die Nachfrage sprunghaft gestiegen. Dieses wachsende kommerzielle und akademische Interesse an Pilzen gehe auch mit einer rasch wachsenden Zahl von Biotechnologieunternehmen einher, die Pilzmyzel zur Herstellung lederähnlicher Materialien verwenden, schreiben die Autoren. Sie verweisen auf Firmen in Indonesien, Italien und den USA, die bereits Produkte aus pilzbasierten Lederersatz anbieten.

Auch preislich sei das „Pilz-Leder“ konkurrenzfähig: „Es wurden fünf Dollar pro Quadratfuß genannt, das ist auch ein Preis, der für gutes Leder bezahlt wird“, so Bismarck. „Erhebliche Fortschritte in der Technologie und die wachsende Anzahl von Unternehmen, die Lederalternativen auf Pilz-Biomasse-Basis herstellen, lassen vermuten, dass dieses neue Material eine beträchtliche Rolle in der Zukunft ethisch und ökologisch verantwortlicher Textilien spielen wird“, schreiben die Wissenschaftler und gehen von einem „enormen Marktpotenzial“ aus.