Kohlmotte, auf einem Blatt sitzend, in Großaufnahme
Benjamin Fabian, Max Planck Institute for Chemical Ecology
Benjamin Fabian, Max Planck Institute for Chemical Ecology
Ökologie

Wenn Gift zum Lockstoff wird

Chemisch betrachtet ist der Grünkohl eine wehrhafte Art. Er hält Schädlinge mit giftigen Senfölen auf Distanz – und ist mit dieser Strategie fast immer erfolgreich. Nur bei der Kohlmotte funktioniert das offenbar gar nicht. Der Parasit verwendet das Gift als Lockstoff zur eigenen Fortpflanzung.

Rettich und Wasabi sind ihrer Schärfe wegen von Europa bis Fernost beliebt, was wir geschmacklich als angenehm empfinden, ist eigentlich ein chemisches Abwehrsystem, wie es viele Vertreter der Kreuzblütler verwenden. Das Prinzip ist einfach: Wird das Pflanzengewebe verletzt, spalten die darin enthaltenen Senföl-Verbindungen ein Zuckermolekül ab und verwandeln sich in eine chemische Waffe, die zumindest für Insekten sehr unangenehm ist.

Auch der Grünkohl hält Parasiten auf diese Weise auf Distanz, einer Art allerdings scheinen die Senföle überhaupt nichts auszumachen. Der Schmetterling Plutella xylostella, auch Kohlmotte genannt, legt seine Eier bevorzugt in dieser Pflanze ab – und verursacht dadurch enorme Ernteausfälle. Laut einer Abschätzung im „Journal of Economic Entomology“ geht der jährliche Schaden in die Milliarden. Nachdem bei der Motte bereits Pestizidresistenzen gefunden wurden, dürften die Kosten in den nächsten Jahren noch weiter steigen. Es sei denn, die Wissenschaft findet ein Mittel gegen die Insektenplage.

Chemische Zweckentfremdung

Markus Knaden arbeitet daran. Der Forscher vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie hat jetzt herausgefunden, wie die Kohlmotte das Abwehrsystem ihrer Wirtspflanze unterläuft. „Es ist nicht nur so, dass ihr die Senföle offenbar nichts ausmachen. Sie verwendet die Senföle sogar als Signalstoff, um ihre Eier in der Pflanze abzulegen“, sagt Knaden im Gespräch mit science.ORF.at.

Die molekularen Details hat Knaden nun im Fachblatt „Current Biology“ vorgestellt, offenbar können die Motten drei Verbindungen aus der Gruppe der Isothiocyanate (zu denen auch die Senföle gehören) mit speziellen Rezeptoren in ihren Antennen riechen. Diese Verbindungen sind auch ein möglicher Ansatzpunkt, um den Parasiten loszuwerden. Theoretisch wäre es möglich, die Gene für die drei Isothiocyanate aus dem Erbgut zu entfernen, doch das hält Knaden für keine gute Idee. „Die Akzeptanz für gentechnisch veränderte Nutzpflanzen ist in Europa sehr gering. Außerdem würde man sich in diesem Fall Probleme mit anderen Parasiten einhandeln, die Pflanze braucht die Abwehrstoffe ja, um Insekten loszuwerden.“

Die Motten verwirren

Der deutsche Insektenforscher schlägt daher vor, die Kohlmotten mit einer chemischen Intervention zu verwirren. Die drei Abwehrstoffe, die im Fall der Motte zu Lockstoffen umfunktioniert wurden, böten sich etwa für Fallen im Freiland an. Möglich wäre auch, sie im Bereich des Ackers großflächig zu versprühen. „Wenn der ganze Acker nach Isothiocyanaten riecht, findet die Motte die Pflanze nicht mehr und legt ihre Eier vielleicht in den Boden“, sagt Knaden. Beim Apfelspinner wurde diese Methode – in diesem Fall mit Pheromonen – bereits mit Erfolg angewendet.

Shuang-Lin Dong, ein Co-Autor der Studie, sieht noch eine dritte Möglichkeit. Der chinesische Forscher will mit seiner Arbeitsgruppe Chemikalien entwickeln, die die Geruchswahrnehmung der Motten blockieren. Die Motte mag sich im Wettstreit mit ihrer Wirtspflanze zwar einen Vorteil verschafft haben, doch die Forscher sind optimistisch, dass sie eine Lösung für das Problem finden werden: Die fetten Jahre könnten für den Parasiten bald vorbei sein.