Mann mit Zopf und Axt vor untergehender Sonne
emerald_media – stock.adobe.com
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Alte DNA

Wie die Wikinger wirklich aussahen

Von wegen blonde Hünen aus dem hohen Norden: Die Wikinger hatten laut einer genetischen Analyse häufig dunkle Haare. Und ihre Vorfahren kamen nicht nur aus Skandinavien – sondern auch aus Asien und Südeuropa.

Knut der Große herrschte im 11. Jahrhundert über ein Großreich, das sich von England bis Schweden erstreckte, Olav Tryggvason verbreite das Christentum im europäischen Norden, und Leif Eriksson kam auf seinen ausgedehnten Seefahrten bis nach Amerika – 500 Jahre vor Christoph Columbus. Die historischen Eckpfeiler der Wikinger-Ära bleiben durch die neuen Erkenntnisse wohl unbeeinflusst. Doch das nebst einschlägigen Netflix-Serien auch durch seriöse Quellen geformte Klischee von den blonden, bärtigen Kriegern, die sich Nordeuropa mit dem Schwert untertan gemacht haben, bedarf laut der Studie im Fachblatt „Nature“ einiger Korrekturen.

Genetischer Fleckerlteppich

Das betrifft zum Beispiel die äußere Erscheinung der Wikinger, sagt Studienleiter Eske Willerslev. „Bisher wussten wir nicht, wie sie ausgesehen haben. Jetzt ist klar: Viele hatten braune Haare, wir können genetische Einflüsse weit außerhalb von Skandinavien nachweisen.“ Die Verwandtschaftslinien der Wikinger reichen laut den Analysen seines Teams bis nach Südosteuropa und in den Ural. Und stellen vor allem die bisherige Annahme infrage, dass die kulturelle Identität auch mit einer gemeinsamen Abstammung einherging.

Aktuelles Cover der Zeitschrift „Nature“ – es zeigt ein Wikingerschiff auf dem Meer
Nature
„Nature“-Cover dieser Woche

Das war bei einigen der über 400 untersuchten DNA-Proben aus Grönland, Großbritannien, Skandinavien und Russland der Fall, bei anderen wiederum nicht. So fanden die Forscher um Willerslev heraus, dass auch die aus Schottland stammenden Pikten Bräuche der Wikinger angenommen hatten. Kulturell betrachtet waren sie wohl auch solche, genetisch indes gehören sie zu einer ganz anderen Abstammungslinie. Zu einem Genaustausch mit Skandinaviern kam es laut den Forschern nicht.

Auch das Bild von der sich über den gesamten europäischen Norden erstreckenden Wikinger-Kultur muss wohl revidiert werden. Die war offenbar lokaler und kleinteiliger als gedacht, sagt Ashot Margaryan, der Erstautor der Studie. „Wir haben einen Stoßtrupp von Wikingern entdeckt, dessen Mitglieder offenbar alle am gleichen Tag gestorben sind. Darunter vier Brüder, die dem Rest der Besatzung auf dem Boot genetisch sehr ähnlich waren. Wir gehen davon aus, dass sie alle aus einem kleinen Dorf in Schweden stammen.“

Wikinger-DNA auch in Österreich

Teil des Forscherteams ist auch der an der Universität Kopenhagen tätige Österreicher Martin Sikora. Für ihn ist vor allem bemerkenswert, dass der Handel im Erbgut der Wikinger deutlich sichtbare Spuren hinterlassen hat. Der Austausch von Waren ging offenbar mit dem Austausch von Genen einher.

science.ORF.at: Herr Sikora, laut Ihrer Studie tragen die Briten bis zu sechs Prozent Wikinger-DNA in ihrem Erbgut. Eine Überraschung?

Martin Sikora: Nicht unbedingt, wir konnten das aufgrund unserer früheren Studien erwarten. Allenfalls quantitativ war es eine Überraschung, wenngleich der Prozentsatz auch immer davon abhängt, auf welche Gruppe man sich bezieht.

Könnte man diese Sequenzen auch im Erbgut der Österreicher nachweisen?

Sikora: Was Österreich und Zentraleuropa betrifft, haben wir nicht so aussagekräftige Genomdaten. Aber ich denke schon, dass man mit denselben Methoden auf ein paar Prozent Wikinger-DNA kommen würde.

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie begonnen haben, sich für das Erbgut der Wikinger zu interessieren?

Sikora: Das ist inhaltlich nicht so weit entfernt von dem, was ich in meiner Zeit als Postdoc an der Stanford University gemacht habe. Damals habe ich mich für genetische Variation von heute lebenden Menschen interessiert – zum Beispiel aus Afrika und Lateinamerika. Zu dieser Zeit wurden die ersten alten Genome sequenziert. Kurz darauf ist dann das Fach „ancient DNA“ quasi explodiert. Auf einmal konnte man auch in die Vergangenheit schauen und Rückschlüsse auf die Migrationen der Menschheitsgeschichte ziehen. Wir in Stanford waren zum Beispiel auch an der Sequenzierung des Erbguts von Ötzi beteiligt. Als ich vor sechs Jahren an die Uni Kopenhagen ging, kamen dann etwa Untersuchungen der Bronzezeit hinzu und eben auch die Wikinger-DNA.

Wie hat sich für Sie das Bild der Wikinger verändert?

Sikora: Im Vergleich zu dem, was man in der Populärkultur als Wikinger ansieht – blonde, blauäugige Skandinavier, die auf Schiffen in Europa herumreisen und Raubzüge unternehmen -, war es schon überraschend, dass wir nachweisen konnten: Die Wikinger waren viel kosmopolitischer als angenommen. In Norwegen und Schweden waren die von uns untersuchten Gruppen relativ homogen, aber auf Ostsee-Inseln wie zum Beispiel Gotland und Öland finden wir eine viel größere Durchmischung. Das sind alles Orte, wo laut historischen Aufzeichnungen viel Handel getrieben wurde – und das spiegelt sich eben auch in der Genetik.

Die Verwandtschaftslinien der Wikinger reichen laut der Studie bis nach Asien und Südeuropa – wie kam es dazu?

Sikora: Wir sehen bereits beim Übergang von der Eisenzeit zur Wikingerzeit Einflüsse aus Sibirien. Eine Theorie besagt, dass Sprachen wie das Finnische durch eine Migration aus dem Ural ins Baltikum gekommen sind. Das können wir genetisch im Wesentlichen bestätigen. Ähnliches gilt für Süd- und Südosteuropa: Im sogenannten Migrationszeitalter vor der Wikingerzeit gab es in ganz Europa viel Bewegung, von den Stämmen aus dem Südosten haben es einige Stämme – zum Beispiel die Goten – bis nach Skandinavien geschafft. Diesen genetischen Einfluss sehen wir ebenfalls. Und dieser Austausch ging während der Wikingerzeit weiter. Wohl auch verstärkt dadurch, dass die Wikinger so weitläufige Handelsnetzwerke aufgebaut haben.

Was sagt uns das über das Aussehen der Wikinger?

Sikora: Die Population war relativ stark gemischt. Es gab damals im Norden mehr Dunkelhaarige als heute. Wobei man dazusagen muss: Ich bin seit sechs Jahren in Dänemark, natürlich gibt es hier viele große blonde Leute – aber es gibt auch viele, auf die das nicht zutrifft. So wie ich zum Beispiel.