Neues Modell

Warum Babys so viel Schlaf brauchen

Mäuse schlafen länger als Elefanten und Säuglinge länger als Erwachsene. Das ist kein Zufall, schreiben Forscher im Fachblatt „Science Advances“: Das Schlafbedürfnis hängt von der Körpergröße ab – und vom Entwicklungszustand des Gehirns.

Die Unterscheidung zwischen dem (oft von Träumen begleiteten) REM-Schlaf und der sogenannten Non-REM-Phase ist schon 70 Jahre bekannt. Insofern ist es schon überraschend, dass die Forscher Van Savage aus alten Hüten nun etwas völlig Neues hervorzaubern. Der Evolutionsbiologe von der University of California in L.A. hat mit seinem Team ein Modell entwickelt, das zwei Perspektiven vereint: den Vergleich unterschiedlicher Tierarten, zum Beispiel Maus und Elefant, sowie den Vergleich zwischen Kleinkind und Erwachsenen.

Vom Lern- in den Reparaturmodus

Kleine Lebewesen brauchen mehr Schlaf als große – diesen ebenfalls längst bekannten Zusammenhang können die Wissenschaftler jetzt mit einem Modell erklären, das von den zwei Hauptfunktionen des Schlafes ausgeht: Lernen und Reparaturen. Während des Schlafes werden untertags gemachte Erfahrungen in den Nervenverbindungen verankert und weil das alles ein ziemlich energieaufwändiger Vorgang ist, haben nächtens auch die molekularen Putztrupps des Gehirns eine Menge zu tun.

Allerdings sind diese beiden Aufgaben zeitlich gestaffelt, schreiben Savage und Kolleginnen im Fachblatt „Science Advances“. Ein Punkt, der von der Schlafforschung bislang übersehen wurde: Während des REM-Schlafes kümmert sich das Gehirn vor allem um Lernen und Reorganisation, in der übrigen Zeit stehen Reparaturen im Zentrum des Geschehens.

Dieser Zusammenhang erklärt wiederum, warum Babys mehr schlafen als Erwachsene. Ab einem Alter von 2,5 Jahren nimmt der Anteil der REM-Phasen nämlich deutlich ab. Die Kinder schalten quasi vom Lern- in den Reparaturmodus, so Savage. „Das Gehirn vollzieht bei diesem Übergang etwas Erstaunliches, ich frage mich: Was sind die Konsequenzen in Bezug auf unsere Fähigkeit Sprachen zu lernen und uns an neue Umweltbedingungen anzupassen?“

REM-Phase künstlich ankurbeln?

Theoretisch würde diese Erkenntnis auch Interventionen aller Art zulassen. Etwa die Möglichkeit, die Lernfähigkeit durch pharmakologische Eingriffe in der REM-Phase anzukurbeln, quasi: Hirndoping im und durch den Schlaf. „Ob uns das etwas bringen würde, können wir derzeit nicht beantworten“, sagt Savage im Gespräch mit science.ORF.at. „Vielleicht ist es ja auch so, dass die REM-Anteile bereits optimal sind für unsere Bedürfnisse. Ich hätte jedenfalls Bedenken wegen möglicher Nebenwirkungen. Momentan kann ich jedem nur raten: Versucht, den Schlaf zu bekommen, den ihr braucht – auf natürliche Weise.“

Was Mäuse und Elefanten betrifft, kann das Modell der US-amerikanischen Biologen ebenfalls Antworten anbieten. Kleine Tiere haben pro Gewichtseinheit eine viel höhere Stoffwechselrate als große und müssen daher deutlich mehr in Reparaturen des Gehirngewebes investieren. Den Kleinen gibt’s der Herr im Schlaf – oder so ähnlich.