Mitglieder der Jüdischen Historischen Kommission bei der Sichtung von gerade geborgenen Teilen des Oyneg Shabes-Archivs, Warschau, 1950; NUR IN ZUSAMMENHANG MIT AUSSTELLUNG VERWENDEN
Yad Vashem Photo Archive, Jerusalem. 8839/1
Yad Vashem Photo Archive, Jerusalem. 8839/1
Zeitgeschichte

Pioniere der Holocaustforschung

Jüdinnen und Juden, teils selbst Gefangene in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, dokumentierten als erste die Verbrechen und ihre Täter. Von der arrivierten Geschichtswissenschaft kurz nach 1945 oft nicht anerkannt, wurden sie zu Pionieren der Holocaustforschung. Eine Wanderausstellung über sie ist derzeit in Linz zu sehen.

Sechs Millionen Jüdinnen und Juden wurden im Zweiten Weltkrieg von den Nationalsozialisten systematisch ermordet. Diese Zahl ist heute weit bekannt und viel zitiert. Doch dass wir überhaupt so viel über den Holocaust wissen und zumindest einen Ansatz der Gräueltaten im Nachhinein aufarbeiten konnten, verdanken wir der ersten Generation der Holocaustforscher und -forscherinnen.

Die Täter benennen, die Opfer sprechen lassen

Die Ausstellung „Verfolgen und Aufklären“ von der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz und dem Touro College Berlin in Kooperation mit der Wiener Holocaust Library war bereits auf internationaler Wanderschaft und ist nun bis 21. Oktober in der Aula der Kunstuniversität Linz zu sehen. Mit Bildern und Texten präsentiert und ehrt sie 20 der frühen Holocaustforscher und -forscherinnen.

Manche, wie Simon Wiesenthal, waren selbst im Lager gewesen und hatten dort Aufzeichnungen gemacht, Bilder gezeichnet, Kopien angefertigt von Dokumenten und vor allem Namenslisten der Täter angefertigt. Es waren aber auch Verwandte von Opfern, die Gerechtigkeit forderten und die Aufklärung der nationalsozialistischen Verbrechen deshalb vorantrieben. Manche begannen auch erst in der Nachkriegszeit mit dem Suchen, Sortieren, Befragen und Zusammentragen von Material.

Dank Simon Wiesenthals Recherchen konnte letztendlich Adolf Eichmann der Prozess gemacht werden. Er ist einer der bekanntesten Vertreter dieser Generation. Er baute in Linz in den 1940er Jahren die jüdische Dokumentationsstelle auf und leitete sie bis 1954 auch. Das nach ihm benannte Forschungsinstitut Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien ist international renommiert.

Szene der Ausstellung „Verfolgen und Aufklären. Die erste Generation der Holocaustforschung“ von 22. September bis 21. Oktober an der Kunstuniversität Linz
Mark Sengstbratl
Ausstellung in Linz

Die Holocaust-Forscherin Rachel Auerbach

Doch auch die polnische Journalistin und Holocaust-Überlebende Rachel Auerbach hatte eine prominente Rolle im Prozess gegen Eichmann. Sie ist eine der wenigen Akademikerinnen in der ersten Generation der Holocaust-Forscherinnen. Geboren 1903 im galizischen Lanowce, studierte sie in den 1920er Jahren Psychologie und Philosophie und lebte anschließend als Journalistin in Warschau. Später, als Insassin im Warschauer Ghetto, leitete sie eine Suppenküche und arbeitete auch für das Ringelblum Untergrundarchiv. 1943 gelang ihr die Flucht. Auch sie selbst machte Aufzeichnungen während ihrer Gefangenschaft.

Nach dem Krieg führte sie die Arbeit des Ringelblum-Archivs in der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen fort und sorgt dafür, dass Teile dieses versteckten Archivs gefunden werden. 1947 veröffentlichte sie das Buch „Auf den Feldern von Treblinka“, ein umfassender Bericht über das dortige Vernichtungslager.

1950 emigrierte Rachel Auerbach nach Israel und gründete dort die Abteilung für Überlebendenaussagen an der Gedenkstätte Yad Vashem. Im Prozess gegen Adolf Eichmann sagte sie persönlich vor Gericht aus. Ihre Arbeit als Holocaustforscherin und -dokumentarin bezeichnete sie als ihre Pflicht und Verantwortung gegenüber den Ermordeten.

Erste Citizen-Scientists

Die Forscherinnen und Forscher arbeiteten zwar organisiert, aber abseits der Universitäten. Erst Jahre später sollte die zeitgeschichtliche Aufarbeitung an den Universitäten stattfinden. Basierend auf dem Material der ersten „Citizen Scientists“, wie Karin Harrasser, Vizerektorin der Kunstuniversität Linz, die ersten Holocaustforscher nennt.

„Das waren zivilgesellschaftliche Organisationen, die aber schon mit dem Anspruch geforscht haben, natürlich gültiges und verlässliches Wissen zu produzieren. Viele hatten allerdings keine akademische Ausbildung, und ich würde aus der heutigen Perspektive sagen, eigentlich war das auch der Beginn von dem, was wir heute Citizen Science nennen: Wissenschaft, die von Bürgerinnen betrieben wird.“

Deren Vermächtnis ist groß: Die UNO-Genozidkonvention von 1948, zahlreiche Gedenkstätten, Archive, Bücher und Gerichtsprozesse basieren auf dieser ersten Generation der Holocaustforscherinnen und -forscher.