Forscher mit einer von Keimen beseidelten Agar-Platte im Labor
Alexander Raths – stock.adobe.com
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Antibiotika

„Lego-Chemie“: Forscher stoppen resistente Keime

Im Kampf gegen multiresistente Bakterien ist Wissenschaftlern möglicherweise ein Durchbruch gelungen: Eine chemische Synthese nach dem Baukastenprinzip verspricht neuartige und wirksame Antibiotika. Versuche an Mäusen verliefen bereits erfolgreich.

Mit der Entdeckung des Penicillins begann der Siegeszug der Antibiotika in der modernen Medizin, doch die einst so wirksame Waffe ist durch den jahrzehntelangen Einsatz stumpf geworden. Viele Bakterienstämme haben mittlerweile Wege gefunden, sich der Wirkung der Antibiotika zu entziehen, manche sogar mehrfach: An Infektionen mit multiresistenten Keimen sterben allein in den Ländern der Europäischen Union jährlich 25.000 Menschen, Tendenz steigend – denn die Zahl der verlässlichen Wirkstoffe schrumpft weiterhin und die Pharmaindustrie kommt mit der Entwicklung neuer Substanzen nicht hinterher.

Aus Alt mach Neu

Doch verloren ist das Wettrennen gegen die rasch mutierenden Keime noch nicht, wie eine aktuelle Studie im Fachblatt „Nature“ nahelegt. Forscher um den kalifornischen Chemiker Ian Seiple haben jetzt einen Syntheseweg von Antibiotika vorgestellt, der die Forschungen an der Schnittstelle von Labor und Klinik nicht nur deutlich beschleunigen, sondern auch zu einer Vielzahl neuer Wirkstoffkandidaten führen könnte.

Im Gegensatz zu traditionellen Verfahren, bei denen neue Substanzen „from scratch“, also von Grund auf neu entwickelt werden, setzen Seiple und sein Team auf das Prinzip „Aus Alt mach Neu“. Man könnte es auch modulare Optimierung oder „Lego-Chemie“ nennen, was die US-Forscher nun beispielhaft mit einem Antibiotikum aus der Gruppe der Streptogamine durchexerziert haben. Gegen Streptogamine gibt es, wie bei vielen anderen Antibiotika auch, bereits Resistenzen. Grund dafür ist ein Enzym namens Vat („Virginiamycin-Acetyltransferase“), mit dessen Hilfe Bakterien den Wirkstoff erkennen und unschädlich machen.

Antibiotikum im Labor optimiert

Um diese Reaktion aushebeln zu können, mussten die Forscher aus den USA, China und Frankreich zunächst verstehen, welche chemischen Bausteine der Streptogamine wofür verantwortlich sind. Das gelang, indem sie das Molekül in Module zerlegten und diese dann per Kryo-Elektronenmikroskopie und Röntgen-Kristallographie in Aktion beobachteten. Schritt zwei des neuen Verfahrens bestand darin, die Module neu zusammenzusetzen – dies freilich mit Modifikationen an den richtigen Stellen: Wie Seiple und sein Team in ihrer Studie schreiben, führte das Redesign der Substanz dazu, dass das Enzym Vat auf den Wirkstoff nicht mehr zugreifen konnte.

Die antibiotische Wirkung indes wurde durch die Modifikationen um den Faktor zehn verbessert. Bei Mäusen, die an einer Infektion mit Streptogamin-resistenten Keimen litten, schlug die Behandlung an. Seiple und sein Team sind optimistisch, dass die neue Substanz auch beim Menschen eine ähnliche Wirkung haben könnte.

Wobei die Hoffnung nicht nur auf Streptogamin und seinen Derivaten ruht: Auf diese Weise ließen sich nämlich auch andere Antibiotika optimieren, betont der Chemiker von der University of California in San Francisco. „Wir haben jetzt einen Arbeitsablauf zur Hand, mit dem wir Resistenzen chemisch überwinden können. Das Potenzial der Antibiotika ist noch nicht ausgereizt.“