Gebäude der FDA in Silver Spring, Maryland
Andrew Harnik/AP
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Interne Dokumente

Missstände bei US-Arzneimittelbehörde

Das Fachjournal „Science“ konfrontiert die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) mit schwerwiegenden Vorwürfen: Die Überwachung klinischer Studien durch die Behörde sei lasch und langsam, selbst gravierende Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen blieben folgenlos.

Die „Science“-Mitarbeiter Charles Piller und Meagan Weiland hatten rund 1.600 interne Dokumente der Arzneimittelbehörde aus einem Zeitraum von etwa zehn Jahren bis 2019 gesichtet. FDA-Gutachter hätten die teils „gefährlichen und gesetzeswidrigen Praktiken“ bei klinischen Studien zwar dokumentiert, die Behörde habe dies aber nur in Ausnahmefällen geahndet und Nachbesserungen eingefordert. So sei es etwa oft folgenlos geblieben, wenn Studienteilnehmer über Risiken nicht ausreichend informiert oder Erhebungen nicht sorgfältig dokumentiert wurden.

Weitere Beispiele nennen die „Science“-Autoren in ihrem Artikel zuhauf, sie reichen von medizinisch unqualifizierten Gremiumsmitgliedern an Kliniken und Forschungsfirmen über Betrug und wissenschaftliches Fehlverhalten bis hin zum bürokratischen Versagen jener Behörde, die derlei Missstände eigentlich beseitigen sollte.

Mehr Prüfungen, weniger Warnungen

Den Recherchen zufolge hat sich etwa die Anzahl der durch die US-Behörde ausgesprochenen Verwarnungen in den vergangenen Jahren deutlich reduziert: Während die Behörde in den ersten drei Amtsjahren von Präsident Barack Obama (2009 bis 2011) noch 99 sogenannte „warning letters“ für schwerwiegende Verstöße ausstellte, waren es in seinen letzten drei Amtsjahren (2014 bis 2017) noch 36 und nur 12 während der ersten drei Jahre unter Donald Trump. Gleichzeitig sei die Anzahl der durch die FDA überprüften Vorgänge unter Trump deutlich angestiegen. Auch das Behörden-Budget habe sich im Laufe der Jahre erhöht.

Die US-Behörde erklärte gegenüber „Science“, die Zahl solcher Verwarnungen könne „zurückgehen und ansteigen“. Die Trump-Regierung beeinflusse ihre Arbeit nicht. Im Zusammenhang mit einer möglichen Zulassung eines Corona-Impfstoffs hatte FDA-Chef Stephen Hahn mehrfach die politische Unabhängigkeit der Behörde betont: Die FDA werde sich bei der Zulassung eines Impfstoffs an ihre bekannten und streng wissenschaftlichen Abläufe halten.

Folgen für Europa

Derartige Fehleistungen habe es beim europäischen Gegenstück zur FDA, der European Medicines Agency (EMA), nicht gegeben, sagt Gerald Gartlehner, Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin an der Donau-Universität Krems im Ö1-Interview. Der politische Druck auf die FDA – vor allem im Zusammenhang mit Covid-19 – sei ungleich höher, gleichwohl sieht Gartlehner auch in Europa die „Gefahr, dass die Dinge bei Schnellzulassungen von Medikamenten nicht so exakt laufen, wie sie laufen sollten“.

Ähnlich sieht das Wolfgang Becker-Brüser, Arzt und Herausgeber der deutschen Fachzeitschrift „Arznei-Telegramm". Der Einfluss der FDA auf die globale Medikamentensicherheit sei hoch, die Praxis der Arzneimittelzulassung in den USA habe „mit Sicherheit Einfluss auf die Qualität der Medikamente und Arzneimittel in Deutschland“.

Es gebe einen „globalisierten Arzneimittelmarkt“, weshalb die unterschiedlichen Arzneimittelbehörden eng zusammenarbeiteten. Gleichzeitig befänden sich die Behörden aber auch in einem Konkurrenzverhältnis, etwa bei der Schnelligkeit von Medikamenten- oder Impfstoffzulassungen. Die EMA könne durch frühe Entscheidungen der FDA unter Druck geraten, Arzneimittel ebenfalls „vorschnell“ zuzulassen.

„Wenn einer der Partner schwächelt und nicht sauber arbeitet, dann geraten auch die anderen unter Druck“, sagt Becker-Brüser. Die EMA werde immer wieder dafür kritisiert zu langsam zu arbeiten. Langsamkeit könne allerdings auch ein Zeichen für Gründlichkeit sein.