Gespanntes Warten am 10. Oktober bei der Volksabstimmung
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Volksabstimmung 1920

Auch Kärntner Slowenen mehrheitlich für Österreich

Vor 100 Jahren haben 59 Prozent der Kärntner und Kärntnerinnen im Abstimmungsgebiet für einen Verbleib in Österreich gestimmt. Ein historischer Wahlforscher hat die Abstimmung nun noch einmal genau untersucht: Ihm zufolge votierte auch eine knappe Mehrheit der Kärntner Slowenen und Sloweninnen für Österreich, fast ein Viertel der deutschsprachigen Bevölkerung hingegen für Jugoslawien.

Rund 37.200 Männer und Frauen – Letztere zum ersten Mal überhaupt – waren am 10. Oktober 1920 wahlberechtigt und sollten über die Zugehörigkeit Südkärntens entscheiden. Das Resultat ist bekannt: Über 59 Prozent stimmten für Österreich, knapp 41 Prozent für das Königreich Jugoslawien. Da 70 Prozent der Wähler und Wählerinnen slowenischsprachig waren, mussten rund 10.000 von ihnen für Österreich gestimmt haben.

Bisherige Annahmen „falsch“

So steht es zumindest bisher in den Lehrbüchern und Lexika. Diese gehen nämlich davon aus, dass alle der rund 11.000 Deutschsprachigen für Österreich waren – und die restlichen 10.000 Stimmen von den Kärntner Slowenen stammten. Doch beide Annahmen seien falsch, sagte nun der Wahlforscher Guido Tiemann vom Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien und von der Universität Klagenfurt. Er errechnete, dass 13.000 der Kärntner Slowenen und Sloweninnen (Koroški Slovenci/Slovenke) für Österreich stimmten – also eine knappe Mehrheit von 51 Prozent. Im Umkehrschluss heißt das auch, dass nicht alle Deutschsprachigen für Österreich votierten. „Nach meinen Berechnungen hat fast ein Viertel von ihnen für den Staat der Serben, Kroaten und Slowenen gestimmt“, so Tiemann gegenüber science.ORF.at.

Eine originale Abstimmungsurne aus dem Distrikt Bleiburg.
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Eine original Abstimmungsurne aus dem Distrikt Bleiburg

„Ethnischer Aspekt wird überschätzt“

Was der Wahlforscher für eine Studie berechnete, die in Kürze im Fachjournal „Historical Social Research“ erscheinen wird, erschüttert eine Geschichtsbetrachtung, die auf beiden Seiten der Karawanken zum Teil noch immer nationalistisch gefärbt ist. „Der ethnolinguistische Aspekt spielte bei der Abstimmung natürlich eine wichtige Rolle. Sein Einfluss wird aber überschätzt.“

Geschichtswissenschaft und Politik hätten sich in den vergangenen 100 Jahren zwar sehr ausführlich mit der Kärntner Volksabstimmung befasst. Der empirische Kern, das Abstimmungsverhalten, sei bisher aber erstaunlicherweise kaum systematisch untersucht worden, sagte Tiemann. Mit heutigen Mitteln der historischen Wahlforschung holte er genau das nun nach.

Heutige Methoden der Statistik

Wenn keine individuellen Umfragedaten erhoben wurden oder erhalten sind, kann sie auf Verfahren wie die „ökologische Inferenz“ zurückgreifen und versuchen, individuelles Verhalten aus einer Gesamtdatenmenge rekonstruieren – im konkreten Fall aus den Daten der 51 Kärntner Abstimmungsgemeinden. Für jede einzelne Gemeinde können dabei genaue Schwankungsbreiten bestimmt werden: Wenn etwa 70 Prozent für Österreich gestimmt haben, die deutschsprachige Wohnbevölkerung aber nur 60 Prozent ausmachte, muss mindestens ein bestimmter Anteil der Slowenischsprachigen auch für Österreich gestimmt haben. Zudem erlaubt ein Vergleich dieser Daten über die Abstimmungsgemeinden hinweg, das Wahlverhalten deutsch- und slowenischsprachiger Kärntner mit statistischen Modellen besser einzugrenzen.

Propagandaplakat für Österreich
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Propagandaplakat für Österreich

Erklärungen jenseits von „Blut“ und Sprache

Es gebe noch eine Reihe anderer Erklärungen für das Abstimmungsverhalten jenseits von „Blut“ und Sprache, sagte Tiemann. Allen voran wirtschaftliche: Für slowenischsprachige Bauern sprach das Argument für Österreich, dass der Markt in Klagenfurt leichter zu erreichen war als jener in Ljubljana. Umgekehrt dürfte der agrarisch geprägte SHS-Staat eine bessere Abnahme für Industrieprodukte versprochen haben. Dazu sei laut Tiemann das Motiv gekommen, am Status quo nichts ändern zu wollen, sowie der traditionell starke Einfluss der Sozialdemokratie, die deutlich für Österreich plädierte. Aus Sicht deutschsprachiger Eliten sprach wiederum für den SHS-Staat, dass sie dort große Besitztümer hatten.

„Deutschsprachige und slowenischsprachige Historiker sind sich lange sehr feindlich gegenübergestanden und tun das zum Teil noch immer. Was sie geeint hat, war die nationalistische Perspektive, wonach natürlich alle Deutschsprachigen für Österreich abgestimmt haben“, sagte Tiemann. „Als Wahlforscher habe ich nun erstmals Methoden der empirischen Sozialforschung angewendet, die zeigen, dass das einfach nicht stimmt.“