Nach der Samtenen Revolution von 1989 fand in der Tschechischen Republik ein politischer Prozess statt, in dessen Zentrum die Frage nach dem Umgang mit der jüngsten Geschichte des Landes stand. Die wichtigsten Themen waren die Säuberung ehemaliger Eliten der Kommunistischen Partei sowie die Öffnung der Archive von Partei und Geheimpolizei. Dieser Prozess lief nicht ohne Kontroversen ab. Dreißig Jahre später stellt sich die Frage: Vermag ein besänftigtes, museales Narrativ der kommunistischen Vergangenheit eine tief gespaltene Gesellschaft zusammenzubringen?

Über die Autorin
Muriel Blaive arbeitet am Institut für das Studium totalitärer Systeme in Prag. Sie ist Sozialhistorikerin mit Fokus auf den Kommunismus der Nachkriegszeit und auf Postkommunismus in Zentraleuropa. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik. Aktuell ist sie IFK_Senior Fellow.
Veranstaltung
Muriel Blaive hält am 19. Oktober, 18.15h, am Internationalen Forschungszentrum
Kulturwissenschaften |Kunstuniversität Linz in Wien die Live-Zoom-Lecture: The Czechoslovak Communist Regime: Contemporary Issues in Handling the Past
Das Kommunismus-Museum in Prag ist das einzige Museum in ganz Tschechien, das sich explizit mit der Dokumentation der kommunistischen Vergangenheit befasst. Die Institution ist allerdings in privater Hand und wurde von einem US-Amerikaner gegründet, der das System nicht aus eigener Erfahrung kannte. Wohl auch aus diesem Grund spielt es in der tschechischen Öffentlichkeit keine Rolle und wird fast ausschließlich von Touristen besucht.
Ein Museum für West-Touristen
In ihrer Haltung zur kommunistischen Vergangenheit verhalten sich ehemalige Ost- und West-Länder völlig unterschiedlich. Die Kunsthistorikerin Amy Jane Barnes beschäftigt sich mit der Faszination, die das kommunistische Erbe auf Amerikaner und Westeuropäer ausübt. Eine neue, ironische Reiseindustrie verspricht Konsumenten vermeintlich authentische Kommunismus-Erfahrungen: „Ein Berliner Unternehmen bietet Trabi-Touren durch den ehemaligen Ostblock an. Wie wäre es mit dem Besuch eines Sowjet-Bunkers in Litauen? Diese Modeerscheinung ist nicht allein auf Europa beschränkt: Touristen können Jiang Qings Limousinen für Peking-Touren mieten. Das Angebot beinhaltet: ‚Russischen Kaviar, Champagner und Mao-Bibeln auf Samt-Polsterung.‘“ (Amy Janes Barnes)
Solche Transgressions-Angebote erwarten westliche Besucher auch in Prag. Vor seinem Umzug rühmte sich das Museum des Kommunismus: „Das Museum liegt oberhalb des McDonald’s und ist von 9 bis 21 Uhr geöffnet (auch an Feiertagen). V. I. Lenin dreht sich im Grabe um!“ Westliche Touristen mögen vielleicht über die Ironie schmunzeln, mit der sich der kapitalistische Westen kommunistische Ikonografie aneignet. Tschechen teilen diese amüsierte Haltung nicht.
In freien Wahlen an die Macht gekommen
Das Museum selbst ist verhältnismäßig gut gestaltet und kuratiert. Die ausbleibende öffentlichen Resonanz hat weniger mit historisch fragwürdigen Inhalten zu tun, sondern kann direkt auf das komplizierte Verhältnis der tschechischen Nation mit ihrer kommunistischen Vergangenheit zurückgeführt werden. Hier stellt sich die dringliche Frage, für welche Vergangenheit sich Tschechien entscheiden möchte. Nach 1989 wurde der Kommunismus als schädliche Ideologie abgetan, die angeblich stets im Gegensatz zur nationalen Kultur des Landes stand.

Diese Ansicht unterschlägt eine wichtige Tatsache: Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hieß die Tschechoslowakei den Kommunismus willkommen. In den freien Wahlen von 1946 erhielt die Kommunistische Partei 38 Prozent der Stimmen und wurde zur größten Partei des Landes. Für die kommunistische Machtergreifung bedurfte es nicht der Roten Armee. Ende 1948 zählte die KP nicht weniger als 2,5 Millionen Mitglieder, pro Kopf waren das zweimal so viele wie in Ungarn und viermal so viele wie in Polen.
Sozialistische Wohlfahrt und Popkultur
Obwohl das tschechoslowakische Regime auch Terror und politische Repression einsetzte, hatte der Kommunismus hier höhere Zuspruchsraten als in vergleichbaren Ländern. Selbst in den Siebziger Jahren wurde die Legitimität des Regimes kaum in Frage gestellt, nicht zuletzt durch seine Politik der sozialen Wohlfahrt und sozialistische Popkultur. Es gab Dissidenten, sie waren im Westen berühmt, ihre Stellung daheim war jedoch marginal. (Von 1977 bis 1989 erhielt die Charta 77 lediglich zweitausend Unterschriften. Im Gegensatz dazu stand die polnische Gewerkschaft Solidarność, die 1980 zehn Millionen Mitgliedern zählte.)
Um das Verhältnis der Tschechischen Republik zu ihrer Vergangenheit besser zu begreifen, müssen solche spezifischen Merkmale stärker in den Fokus gerückt werden. Das gilt besonders in Bezug auf die Exit-Strategie, für welche sich die Tschechei im Gegensatz zur Slowakei entschied. Zuvor Teil der einer kommunistischen Musterrepublik im Ostblock, verwandelte sich die Tschechische Republik über Nacht in das Land mit dem stärksten Antikommunismus hinsichtlich seiner Erinnerungspolitik.

Das stand im Zusammenhang mit dem Legitimitätsdefizits der Dissidenten-Bewegung im Zuge der Samtenen Revolution von 1989. Sie waren die einzigen sozialen Akteure, die eine glaubwürdige Alternative zu den Apparatschiks darstellten. Trotz ihrer Randstellung innerhalb der tschechischen Gesellschaft stachen sie durch einen Faktor hervor, aus dem sie politisches Kapital schlagen konnten: Seit 1968 standen sie dem Regime kritisch gegenüber. Ihr Antikommunismus wurde zur diskursiven Strategie und zur neuen Political Correctness.
Objekte, nicht Opfer
Innerhalb dieser Lesart entspricht die Verkitschung des Kommunismus, wie sie im Westen zu finden ist, einer Beleidigung der Nation. Mit seiner belustigten Kommodifizierung kommunistischer Fundstücke ist das genannte Museum quintessentiell westlich, indem die alte Ikonografie mit westlichem Konsumismus ersetzt wird. Schlimmer noch, diese Präsentation fügt eine „Patina der Coolness“ (Amy Janes Barnes) hinzu.
Das Museum ist nicht allein „cool“, es interessiert sich gar nicht für die antikommunistische Haltung, die weiterhin für jede Auseinandersetzung mit der tschechischen Vergangenheit notwendig ist. Die Ausstellung befasst sich primär mit Objekten, nicht mit Opfern. Was die Heranbildung persönlicher und geteilter Identitäten betrifft, vertritt das Museum eine Identität, die der tschechische Staat (noch) ablehnt, und eine Geschichte, auf die man nicht stolz ist. Hier begegnet man dem Kommunismus nicht – oder nicht ausschließlich – in Feindschaft.