Strömungslehre

Aerosole bleiben lange in der Luft

Auch Aerosole können tatsächlich intakte Viruspartikel enthalten. Ein neues von Wiener Forschern entwickeltes Modell zeigt, dass sich die winzigen Schwebeteilchen mehrere Meter weit ausbreiten und lange Zeit in der Luft bleiben können. Ob das für eine Ansteckung reicht, wurde nicht untersucht.

Das weltweit gebräuchliche Bild über die Ausbreitung winziger Tröpfchen würde sich auf Messungen aus den 1930er und 1940er Jahre stützen und nicht mehr dem aktuellen Stand des Wissens entsprechen, heißt es in einer Aussendung der Technischen Universität (TU) Wien. „Um die Ausbreitung zu berechnen, muss man die Größe der ausgestoßenen Tropfen kennen. Die hat man damals bestimmt, indem man Leute vor einem an der Wand hängenden Blatt Papier niesen ließ und aus der Größe der Flecken am Papier auf den Durchmesser der Tropfen schloss“, so Alfredo Soldati vom Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung der TU Wien. Heute habe man ganz andere und zuverlässigere Messmethoden.

Grafik zu Aerosolen
TU Wien

Gemeinsam mit Kollegen aus den USA und Frankreich hat Soldati nun ein neues Modell der Ausbreitung infektiöser Tröpfchen entwickelt, „das auf einer theoretischen Analyse der relevanten physikalischen Prozesse basiert“, wie die Forscher im Fachblatt „International Journal of Multiphase Flow“ schreiben. Das derzeitige Verständnis sei, dass schwere Tröpfchen durch die Schwerkraft schnell nach unten fallen, während kleine rasch verdunsten. „Doch dieses Bild ist etwas zu einfach“, so Soldati. Denn die kleinen Tröpfchen würden nicht nur aus Wasser bestehen, sondern auch andere Dinge wie Proteine oder das Virus selbst enthalten.

Kein garantierter Schutz

Wenn das Wasser verdunstet, werden sie zu Aerosolpartikeln, die mit Luftströmungen über Distanzen von mehreren Metern transportiert und lange in der Luft bleiben können. Ein Partikel mit einem Durchmesser von zehn Mikrometern, was der durchschnittlichen Größe von ausgeworfenen Speicheltropfen entspreche, brauche demnach typischerweise fast 15 Minuten, bevor es zu Boden gefallen ist. „Wenn sie alleine einen Aufzug benutzen, aus dem gerade ein Infizierter ausgestiegen ist, können Sie also durch eingeatmete Aerosole durchaus in Kontakt mit Viren kommen“, so der Wissenschaftler. Das gilt besonders in Umgebungen mit hoher relativer Luftfeuchtigkeit, etwa schlecht gelüfteten Besprechungsräume.

Empfehlungen auf Basis der neuen Arbeit will Soldati keine aussprechen, er sei kein Virologe. Entscheidend sei etwa die Frage, wie viele Viren man einatmen müsse, um angesteckt zu werden. Jedenfalls seien "Masken nützlich, weil sie große Tröpfchen aufhalten. Und Abstand halten ist ebenso sinnvoll“, betonte Soldati. Es könne aber vielleicht keinen garantierten Schutz bieten. Das neue Modell könne nun zusammen mit Experimenten und Simulationen verwendet werden, um eine Vielzahl von Szenarien mit Atmen, Sprechen, Husten und Niesen und unter einer Reihe von Umweltbedingungen wie feuchte oder trockene Atmosphäre, geschlossene oder offene Umgebung zu untersuchen, schreiben die Wissenschaftler.