Iriri Fluß im Amazonas
AFP/MAURO PIMENTEL
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Biodiversität

Landrechte für Indigene fördern Artenvielfalt

Studien zeigen, dass eine Bewirtschaftung durch die indigene Bevölkerung die lokale Artenvielfalt nicht nur erhält, sondern sogar fördern kann. Der Schutz und der Ausbau von indigenen Rechten wären für bedrohte Lebensräume daher entscheidend.

In Gebieten, die von indigenen Gruppen bewirtschaftet werden, leben mehr Wirbeltierarten als in Naturschutzgebieten – das zeigt eine Studie für die Länder Brasilien, Kanada und Australien. In den ersten beiden Ländern beherbergen die von Indigenen kontrollierten Regionen auch mehr bedrohte Arten, weil sie einen Schutzraum darstellen. Zurückgeführt wird das auf die nachhaltige Weise, in der die indigenen Ethnien ihr Land verwalten.

Schutzeffekt besser als in Naturschutzgebieten

Wenn Naturschutzgebiete eingerichtet werden, kann das langfristig auch einen negativen Effekt auf die Artenvielfalt haben – nämlich dann, wenn es mit einer Entrechtung oder Aussiedelung der indigenen Bevölkerung einhergeht. Indigene haben dann eingeschränktere Möglichkeiten, andere Personen oder Firmen davon abzuhalten, illegale Eingriffe in die Natur vorzunehmen – zu diesem Schluss kommt eine weitere Studie, für die über 12.000 Schutzgebiete weltweit analysiert wurden. Demnach ist die Kontrolle durch Indigene, die die Gebiete aktiv nutzen, stärker als die staatliche Kontrolle von Naturschutzgebieten.

Indigenes Mädchen in Brasilien mit Faultier
AFP/RICARDO OLIVEIRA
Ein Mädchen der brasilianischen Sateré-Mawé

Diesen Effekt kann man auch sehen, wenn man einen Blick auf den Amazonas-Regenwald, die artenreichste Region der Erde, wirft: „Wenn man sich Satellitenbilder des brasilianischen und peruanischen Amazonas ansieht, erkennt man, dass sich die meisten Gebiete des zusammenhängenden Regenwaldes mit den Gebieten decken, die an indigene Völker rechtlich übertragen sind“, sagt der Jurist und Anthropologe René Kuppe vom Institut für Rechtsphilosophie der Universität Wien gegenüber science.ORF.at.

ORF-Sendungshinweise

Wissen aktuell: Ö1, 23.10., 13:55 Universum History: „Kontinent der Vielfalt – Amerika vor 1492“: ORF 2, 23.10. und 30.10., jeweils 22:35.

Indigenes Wissen entscheidend

Zehn Prozent der Fläche Brasiliens stehen rechtlich unter der Kontrolle von Indigenen, erklärt Kuppe. Der Amazonas-Regenwald mit seinen 16.000 verschiedenen Bäumen und Sträuchern ist nur scheinbar eine reine Naturlandschaft: Er ist auch eine über Jahrtausende von Menschen geprägte Kulturlandschaft, wie eine Studie aus dem Jahr 2017 zeigt. Es geht also nicht nur um den Schutz bestehender Arten: Wenn Gebiete von Indigenen traditionell bewirtschaftet werden, entstehen auch neue Sorten von Kulturpflanzen. Wie wichtig die indigene Lebensweise und das damit verbundene Wissen für die Biodiversität ist, betont auch der UNO-Bericht zur Artenvielfalt von 2019.

Bei den Staatenkonferenzen der Biodiversitätskonvention kennt man die entscheidende Rolle indigenen Wissens für die Artenvielfalt, sagt Kuppe: „Indigenes Wissen wird dort aber sehr abstrakt behandelt. Indigene Völker betonen dagegen, dass ihr Wissen nicht isoliert geschützt werden kann. Indigenes Wissen kann nur wirksam sein und bewahrt werden, wenn es gemeinsam mit dem Lebensraum, in dem es entwickelt wurde, in dem es tagtäglich angewandt wird und auf den es bezogen ist, geschützt wird.“ Es gehe dabei also auch um Land- und Ressourcenrechte, was aber juristisch gesehen in andere Bereiche fällt, etwa in den Bereich der Menschenrechte: „Die Biodiversitätskonvention sieht es nicht als ihr Mandat, den Lebensraum indigener Völker als solchen zu schützen, obwohl man dort auch weiß, wie entscheidend der Zusammenhang ist.“ Kuppe verortet das Problem in einer Zersplitterung des Völkerrechts und der internationalen Institutionen: „Traditionelles Wissen wird woanders diskutiert als Landrechte. Das muss aber zusammengebracht werden.“

Internationales Recht greift nur bedingt

Traditionelle Lebensräume anzuerkennen ist eine Voraussetzung, um indigenes Wissen zu schützen. Eine weitere Voraussetzung ist es zu verhindern, dass Firmen indigenes Wissen – beispielsweise über Heilpflanzen – beobachten und patentieren. Mit einem eigenen Patent zuvorzukommen, ist für Indigene selten möglich, erklärt Kuppe, der zu indigenen Rechten forscht und seit den 1990er-Jahren indigene Organisationen in Lateinamerika juristisch berät: „Patentrechte sind für das indigene Wissen nicht so einfach anwendbar, weil es meistens keinen individuellen Erfinder gibt und die indigenen Völker die Wirkweise in der Regel nicht technologisch nachvollziehbar beschreiben können.“ Beides ist aber notwendig, um ein Patent anzumelden.

Indigene im Amazonas
AFP/JOAO LAET
Kayapo, indigenes Volk im Amazonasgebiet

Gerade im Amazonasgebiet sind die Rechte von Indigenen aktuell massiv gefährdet. Wie lange sie in Brasilien ihr Land noch schützen können, ist unklar, sagt Kuppe: „Dass sich Präsident Jair Bolsonaro stark gegen indigene Rechte ausspricht, ermuntert illegale Okkupationen in den Gebieten.“ Außerdem erschwere es die Arbeit der Behörde FUNAI, die für den Schutz indigener Rechte zuständig ist. Ihr Budget wurde in den letzten Jahren um mehr als die Hälfte gekürzt: „Ihr fehlt sogar das Benzin für die Geländewägen. Indigene überwachen ihre Grenzgebiete teilweise selbst mit Drohnen.“ Wenn ihre Landrechte verletzt werden, haben sie aber keine funktionierende Anlaufstelle mehr.