Neukaledonien: Steinkoralle der Gattung Acropora in strahlendem Violett
The Ocean Agency/XL Catlin Seaview Survey
The Ocean Agency/XL Catlin Seaview Survey
Überlebenskampf

Korallen in Discofarben

Steigende Temperaturen machen den Korallen zu schaffen. Sie verlieren ihre Farben, bleichen aus und sterben ab. Meeresbiologen haben nun beobachtet, dass sich die Korallen mit dem genau gegenteiligen Effekt gegen ihr Absterben wehren: Sie scheinen in hellen Neonfarben – als ob es gelte, eine Unterwasserdisco zu bestrahlen.

Unter Wasser, in den Meeren dieser Welt – ob vor dem australischen Great Barrier Reef, vor den Galapagos-Inseln im Pazifik oder vor dem Südseearchipel Neukaledonien: Weltweit beobachten Meeresbiologen, dass sterbende Korallen statt zu bleichen in den grellsten Farben strahlen – in hellblau, pink und in violett.

„Farblich könnten wir sie als ‚Neonkorallen‘ bezeichnen“, findet Maren Ziegler von der Justus-Liebig-Universität in Gießen. „Diese Bleichungsskelette sind irgendwie schön anzusehen.“ Aber in Wahrheit sei es ein bedrückender und schrecklicher Anblick, weil diese Ökosysteme zugrunde gehen würden, während sich diese Veränderungen beobachten ließen. Denn auch jene starken, bunten Farben sind nichts anderes als ein Bleichen – so paradox das klingen mag.

Neukaledonien: Steinkoralle der Gattung Acropora in strahlendem Gelbgrün
The Ocean Agency/XL Catlin Seaview Survey

Auch wenn Rifflandschaften aussehen wie Unterwasserwälder: Korallen sind keine Pflanzen, sondern Tiere, die ein Kalkskelett aufbauen. Diese Nesseltiere leben in Gesellschaft mit mikroskopisch kleinen, einzelligen Algen, die in dem Gewebe der Korallen sitzen. Diese Algen sind es, die den Korallen normalerweise ihre Farben verleihen.

Ein Geben und Nehmen

Von dieser Symbiose profitieren beide: Die Algen produzieren per Photosynthese Sauerstoff und Zucker für die Korallen. Und die Korallen bieten den Algen einen geschützten, sicheren Lebensraum. Liegen die Temperaturen nur ein Grad über der ortsüblichen Maximaltemperatur, fällt diese Symbiose auseinander.

Es beginnt damit, dass Algen unter Temperaturstress nicht mehr richtig funktionieren. Statt aus dem im Meerwasser gelösten Kohlendioxid Sauerstoff für die Korallen zu produzieren, stellen die Algen nun eine aggressive Art von Sauerstoffradikalen her. Und die greifen die Zellstrukturen der Korallenpolypen an, sind also quasi Gift für die Nesseltierchen. Deshalb stoßen die Korallen die Algen ab. Und ohne Algen verlieren die Korallen sowohl ihre Farben als auch die Nährstoffe ihrer bisherigen Untermieter. „Wenn man sich dann ein solches Riff aus der Luft anschaut, zeichnen sich die gebleichten Korallen als weiße Flächen auf dem Wasser ab“ , ergänzt Jörg Wiedenmann vom Coral Reef Laboratory der Universität Southampton. „Und wenn man taucht, sehen wir bisweilen wirklich schneeweiße Korallen.“

Sonnencreme in Eigenproduktion

Aber nun hat das internationale Team von Meeresbiologen entdeckt, dass Korallen sich auch wieder erholen können – vorausgesetzt, die Temperaturen sind nur für kurze Zeit höher als normal. Die Bleichen werden hervorgerufen durch Hitzewellen, also ungewöhnlich warme Wassertemperaturen für den spezifischen Ort. Ist solch eine kurzzeitige Hitzewelle vorbei, lebt die gebleichte Koralle normalerweise noch. Dies ist der Zeitpunkt, an dem sie umschwenkt – von weiß auf neonfarben. „Man findet dann sehr starke Blautöne, sehr starke Pinktöne; die Korallen können sehr grün leuchten oder auch extrem starke Orangetöne entwickeln“, beschreibt Wiedenmann. „Und was wir jetzt in dieser Studie feststellen konnten war, dass die Koralle anfängt, in starken Maße eigene Farbpigmente zu produzieren.“

Blaue Becken im Labor: Coral Reef Aquarium Facility an der University of Southampton
Wiedenmann/D’Angelo
Coral Reef Aquarium Facility an der University of Southampton

Was Meeresbiologen an verschiedenen Riffen weltweit schon mehrmals beobachten konnten, haben die Forscher in Wasserbecken des Coral Reef Laboratorys nachgestellt. So konnten sie erstmals klären, warum die Korallen in bunten Neonfarben erstrahlen. „Die farbigen Pigmente, die von der Koralle produziert werden, dienen normalerweise als Sonnenschutz für die Algen, die in der Koralle leben“, sagt Wiedenmann. „Wenn die Koralle erhöhten Lichtmengen ausgesetzt wird – im Sommer oder bei klarem Wasser -, fängt sie an, mehr dieser Farbstoffe zu produzieren, um einen Teil des Sonnenlichts abzufangen.“

Reha für Riffe

Denn ohne schützende Algen muss die Koralle sich selbst um einen Sonnenschutz kümmern. Das Sonnenlicht wird von dem gebleichten, weißen Korallenskelett hin und her reflektiert. Dadurch steigt die Lichtmenge im Gewebe an. Dies spüren die Korallen. Als Folge fangen sie an, in erhöhtem Maße diese Sonnenschutzpigmente zu produzieren. „Unsere Experimente lassen vermuten, dass den Algen so eine Wiederbesiedlung der Korallen erleichtert werden soll“, vermutet Wiedenmann.

Algen sind angepasst an ein Leben in der Koralle. Sie sind darauf angewiesen, schnell wieder dorthin zurückzufinden. Dies geht zum einen über eine aktive Wiederbesiedlung, zum anderen über ein paar Restalgen, die noch in der Koralle verblieben waren. „Sie können dann viel besser und schneller wachsen, wenn die Bedingungen ein bisschen entspannter sind durch ein bisschen Lichtschutz“, sagt Maren Ziegler.

Und so scheint sich mit den Korallen derzeit eine weitere Lebensform mit der globalen Erwärmung zu arrangieren – nicht ganz freiwillig, aber so gut es geht. Jörg Wiedenmann glaubt, dies berge eine gewisse Hoffnung, dass Korallen sich gegen den Stress wehren könnten. „Es ist faszinierend, wie ein Tier und eine Pflanze hier eng zusammenarbeiten, um als Ganzes Etwas zu erreichen, was sie als Einzelorganismus nicht könnten.“ Und dies gebe Grund zum Optimismus, dass Korallenriffe sich auch wieder erholen könnten.