Russische Zivilisten bei Zwangsarbeit an einem Panzergraben 1943
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Baustelle Erinnerung

NS-Zwangsarbeit: Die „Straße der SS“

Auch 75 Jahre nach Kriegsende sind noch nicht alle Verbrechen der NS-Herrschaft aufgearbeitet. Eine besondere „Baustelle“ der Erinnerung betrifft die Zwangsarbeit: Recherchen des ORF-Wirtschaftsmagazins „Eco“ zeigen nun, wie stark der Baukonzern Swietelsky vom Bau der „Straße der SS“ profitiert hat.

„Das Fundament der Firma Swietelsky beruht auf Arisierung und Zwangsarbeit“ – so fasst der Historiker Rudolf Leo zusammen, was er in Akten des österreichischen Staatsarchivs gefunden hat: Das drittgrößte Bauunternehmen Österreichs verdankt einen Teil seines Gründungserfolgs dem „Dritten Reich“. Die Akten zeigen: Die Firma hat 1942 am Bau der „Durchgangsstraße IV“ – auch „Straße der SS“ genannt – gearbeitet, einer 2.000 Kilometer langen Fahrbahn von Berlin bis tief in das Herz des Vernichtungskriegs im Osten.

Der Bau dieser „Durchgangsstraße IV“ war ein monströses Kriegsverbrechen, denn die Arbeitskraft dafür kam von Zehntausenden jüdischen Zwangsarbeitern. Sklaven des 20. Jahrhunderts, deren Arbeitskraft man so lange ausbeutete, bis sie starben.

Kameramann Ralf Rabenstein und Historiker Rudolf Leo bei der Durchsicht der Akten aus dem österreichischen Staatsarchiv
Michael Hensel, ORF
Kameramann Ralf Rabenstein und Historiker Rudolf Leo bei der Durchsicht der Akten aus dem österreichischen Staatsarchiv

Wien-Zentrale „arisiert“

In der Unternehmenschronik der Firma Swietelsky steht noch im Jahr 2000 zu lesen, man hätte damals „allen Kriegswirren zum Trotz“ gewirtschaftet. Unternehmensgründer Hellmuth Swietelsky hätte sich von der schwierigen Zeit „nicht beirren“ lassen – und sogar noch eine Filiale in Wien gegründet, erklärt ein Imagefilm auf der Firmenwebsite.

Auch hier sprechen die Akten aus dem Staatsarchiv eine andere Sprache: Die damalige Wien-Zentrale der Firma, in allerbester Lage direkt neben dem Rathaus, wurde von den Nazis „arisiert“. Zum Vorteil ihres Parteigenossen Swietelsky, der schon 1933 der NSDAP beigetreten war. Der jüdische Kaufmann Wilhelm Blitz, dem das Haus gehörte, wurde bereits 1938 nach Dachau deportiert. Er konnte später in die USA emigrieren.

Dokument des Kaufmanns Wilhelm Blitz
ORF ECO
NS-Dokument zu Wilhelm Blitz

Beim Baukonzern Swietelsky hat man bis ins Jahr 2020 eine Geschichtsverherrlichung betrieben, die lange Zeit exemplarisch für Österreichs Wirtschaft und Politik war: Denn obwohl die Arbeit von Millionen NS-Zwangsarbeitern in vielen Bereichen die Fundamente für den Wirtschaftsaufschwung nach dem Weltkrieg gelegt hat, wurden ihr Leid und ihre Leistung auch von der Republik jahrzehntelang ignoriert. Erst in den letzten Jahren haben Baufirmen wie die Porr und die STRABAG dieses dunkle Kapitel ihrer Firmengeschichten von Historikern beleuchten lassen.

„Prügel ohne Grund“

Der Stahlkonzern voestalpine in Linz – die ehemaligen „Herrmann-Göring-Werke“ – haben den NS-Zwangsarbeitern, die den Grundstein des Unternehmens gelegt haben, sogar ein eigenes Museum gewidmet. Die Auseinandersetzung mit diesem Aspekt der „Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“ ist nicht nur eine späte Geste der Anerkennung – sie erlaubt heute auch Einblick, wie diese „Beschäftigungspolitik“ funktionierte.

Reichsführer SS Heinrich Himmler beim Besuch einer Baustelle an der „Durchgangsstraße IV“
United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Instytut Pamieci Narodowej
Reichsführer SS Heinrich Himmler beim Besuch einer Baustelle an der „Durchgangsstraße IV“

Einblicke, wie sie im Fall Swietelsky der ehemalige jüdische Zwangsarbeiter Eliahu Yones ermöglicht: Er hat den Bau der „Durchgangsstraße IV“ überlebt und seine Erinnerungen im Buch „Die Straße nach Lemberg“ niedergeschrieben. Darin heißt es: „Die Leute der Firma Svietelsky (sic) aus Linz waren meistens einfache Arbeiter, die von der Nazi-Partei in diesen Stellungen eingesetzt wurden. (…) Wenn einer von ihnen sich bei einer Arbeitsgruppe aufhielt, so bedeutete es Prügel, ohne jeglichen Grund.“

Der Zeitzeuge beschreibt auch, wie die SS die mörderischen Zwangsarbeitslager an der „Durchgangsstraße IV“ finanzierte: „Diesen Abschnitt betreute die österreichische Firma Svietelsky (sic) aus Linz. Für jeden Arbeiter, der bei ihr arbeitete, bezahlte die Gesellschaft der SS eine bestimmte Summe Geld. Mit diesem Geld unterhielt die SS das ganze Lager.“

Allianz von Vernichtung und Ausbeutung

„Für die SS war die Möglichkeit, über dieses Arbeitskräftepotenzial zu verfügen, natürlich auch ein Machtfaktor innerhalb des NS-Systems“, erklärt Bertrand Perz, Professor am Institut für Zeitgeschichte an der Universität Wien. Die „Endlösung der Judenfrage“ – die vollständige Vernichtung aller europäischen Juden – blieb dennoch oberstes Ziel im Umgang mit den Zwangsarbeitern.

Das blieb auch den privaten Baufirmen, die diese jüdischen Zwangsarbeiter von der SS anmieteten, nicht verborgen: „Die Vernichtung durch Arbeit wurde in Kauf genommen, war aber nicht das Ziel der Firmen. Die Firmen wollten Ausbeutung“, beschreibt Perz diese Allianz aus dem politischen Streben der Nazis und dem Gewinnstreben der beteiligten Privatfirmen.

Eco Spezial: Baustelle Erinnerung: Swietelsky und die „Straße der SS“

75 Jahre nach Kriegsende stellen sich immer mehr heimische Firmen ihrer NS-Vergangenheit und dies nicht nur zu den Gedenktagen rund um das November-Pogrom. Doch immer wieder werden Firmen von ihrer Vergangenheit überrascht – wie zum Beispiel die Baufirma Swietelsky. Der Vorstand des Unternehmens wurde erst durch Recherchen des Wirtschaftsmagazins ECO darauf aufmerksam gemacht, dass der heute drittgrößte Baukonzern Österreichs massiv vom NS-Regime profitiert hat.

Diese Firmen seien es auch gewesen, die indirekt über Leben und Tod der jüdischen Zwangsarbeiter entschieden haben: „Wer arbeitsfähig war und wer nicht, das hatten auch die Vorarbeiter der Firmen zu entscheiden. Und in dem Moment, wo jüdische Zwangsarbeiter als nicht arbeitsfähig abgelehnt wurden, war das natürlich ein Todesurteil.“

Firma stellt sich nun historischer Verantwortung

„Eco“ hat die Firma Swietelsky mit den Akten des Historikers konfrontiert. Vorstandsvorsitzender Karl Weidlinger hat eine Historikerkommission beauftragt, die die Rolle des Unternehmens im Zweiten Weltkrieg umfassend aufarbeiten soll. Auf der Website des Unternehmens gibt es jetzt die Seite „historische Verantwortung“: Das Unternehmen verspricht hier, transparent über die Ergebnisse der Wissenschaftler zu informieren.

„Die Firma war bis 1995 von Herrn Senator Swietelsky eigentümergeführt. Es hat ein Generationswechsel stattgefunden, und jetzt können wir an dieses Thema viel unbefangener herangehen, als wenn hier Eigentümervertreter die Entscheidungen treffen“, meint Weidlinger auf die Frage, weshalb das erst jetzt geschieht.