Stacheldraht am ehemaligen Konzentrationslager (KZ) Mauthausen
APA/HARALD SCHNEIDER
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Gedenkstätte Mauthausen

Verbindungen zur eigenen Geschichte

Am Montag jähren sich die Novemberpogrome von 1938. Was mit organisierter Gewalt gegen Jüdinnen und Juden begann, endete im Holocaust. Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen vermittelt diese Geschichte so, dass die Besucherinnen ihr eigenes Leben damit in Verbindung bringen. Das gelingt auch – und manchmal vor allem – bei Menschen mit Migrationshintergrund.

190.000 Menschen waren in der Zeit des Nationalsozialismus in Mauthausen und den Außenlagern inhaftiert. Mindestens 90.000 wurden damals hier ermordet. Ein Grauen, das sich wohl nur schwer mit den Erfahrungen heute lebender Jugendlicher in Verbindung bringen lässt. Doch gerade Jugendliche kommen in Schulklassen an die KZ Gedenkstätte Mauthausen, um in Workshops und zweistündigen Rundgängen etwas über die Geschichte des KZ und auch über die Geschichten der Überlebenden zu erfahren.

Jugendliche Assoziationsketten

In den Gesprächen kommen immer wieder unerwartete Anknüpfungspunkte auf. Im Jahr 2015 sei es zum Beispiel mehreren Besucherinnen passiert, dass sie „Häftling“ sagen wollten, stattdessen aber aus Versehen „Flüchtling“ gesagt haben. Ein Versprecher, der mit den damals aktuellen Schlagzeilen über Elend und Enge in Flüchtlingslagern zu tun hatte, erklärt Gudrun Blohberger, pädagogische Leiterin der Gedenkstätte.

„Das war für uns ein Zeichen dafür, dass diese Geschichte über das Leben im Konzentrationslager, über diese Enge, diesen Mangel, dieses Eingesperrtsein in ganz einfach ausgestatteten Baracken ohne Privatsphäre bei Besucherinnen oft die Assoziation zu Flüchtlingen hergestellt hat“, so Blohberger. Man habe das Thema dann auch aufgegriffen und diskutiert.

Abgleichen der eigenen Erfahrungen

Ein Flüchtlingslager sei natürlich keinesfalls mit einem Konzentrationslager zu vergleichen, betont Gudrun Blohberger. Dennoch lassen Details aus dem Alltag im Lager die Jugendlichen immer wieder Bezüge zur Gegenwart herstellen. Manche werden bei der Reflexion über die Vergangenheit auch auf sich selbst zurückgeworfen, wie etwa ein junger Mann mit einem dunklen Teint, schwarzen Haaren und langem schwarzen Bart.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 6.11., 13:55 Uhr.

„Er hat erzählt, dass er, wenn er abends in Wien mit der U-Bahn unterwegs ist, sehr häufig von der Polizei aufgehalten wird, weil seine Identität und Aufenthaltsstatus festgestellt werden“, so Gudrun Blohberger.

Mittlerweile gebe es in den Workshops immer wieder Jugendliche, die eigene Erfahrungen mit Krieg, Folter und Flucht mitbrächten. Das verändere auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte, so Blohberger: „Wer selbst zum Beispiel Ausgrenzungserfahrungen gemacht hat, und das ist bei diesen Menschen oft der Fall, setzt sich natürlich auf eine andere Art und Weise mit der Geschichte auseinander, wenn es um Ausgrenzung verschiedener Gruppen in der NS-Zeit geht.“

Überlebende erzählen internationale Geschichte

In der Dauerausstellung sind die Besucher meist Erwachsene. Hier stehen vor allem Überlebende und ihre Geschichten im Vordergrund der Sammlung. Zu sehen ist beispielsweise ein Babykleidchen von Hannah Berger Moran, die als Kind einer KZ -Insassin in Deutschland geboren und kurz darauf, im April 1945, nach Mauthausen gebracht wurde. Im audiovisuellen Interview erzählt sie aus ihrem Leben.

In den Geschichten der Überlebenden spielt auch Flucht und Vertreibung eine große Rolle, erklärt Kurator Christian Dürr. Viele Überlebende hatten nach der Befreiung nicht die Möglichkeit, in ihre Heimat zurückzukehren. Die Gefangenen kamen aus über 40 Ländern. „Beispielsweise konnten republikanische Spanier nicht zurück in ihr Land, wo Franko immer noch an der Herrschaft war, und natürlich die jüdischen Deportierten, deren gesamtes soziales Umfeld zu einem großen Teil vernichtet worden war – ich glaube, das sind Erfahrungen, die speziell für Geflüchtete heutzutage ganz wesentliche Anknüpfungspunkte bieten“, erklärt Christian Dürr.

Wichtige Einblicke in Geschichte des Landes

Die Ausstellung biete außerdem wichtige Einblicke in die Geschichte Österreichs für Menschen mit Migrationshintergrund, erklärt Christian Dürr. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Industrie in manchen Regionen mit den Händen der Zwangsarbeiter aus der Nazi-Zeit aufgebaut wurde. „Sie erfahren hier, dass Österreich eben nicht nur Habsburger, Mozart und Nikolausfeiern ist, sondern, dass es auch diese Geschichte gibt, auf die man nicht stolz ist, die aber die Identität dieses Landes wesentlich mitprägt.“

Manche Besucher hinterlassen verbotenerweise Symbole oder Kritzeleien an den Wänden der Gedenkstätte. Eine Sonderausstellung widmet sich nun diesen Wandkritzeleien. Besonders nachdenklich stimmt dabei der Text eines syrischen Migranten. „Er hat an dieser Wand die Botschaft hinterlassen: ‚Ich war an einem ähnlichen Ort in Syrien. Ich habe überlebt, aber viele andere nicht.‘“