Drei Football-Spieler beugen das Knie, darunter auch Colin Kaepernick
AP – Daniel Gluskoter
AP – Daniel Gluskoter

Die Kulturgeschichte des Kniefalls

Als Geste gegen den Rassismus ist der Kniefall heute zu einem Zeichen des Protests geworden. Im religiösen Kontext steht er für Demut und Gehorsam. Wie der Historiker Andreas Gehrlach in einem Gastbeitrag ausführt, war das Knien aber auch historisch betrachtet niemals ein eindeutiges Symbol.

Der bayerische König Ludwig I., der das Land ab 1825 für über vierzig Jahre regierte, hatte einen ausgeprägten Sinn für’s Schöne. Nur wenige Tage nach seiner Thronbesteigung verfügte er deswegen, dass man fortan nicht mehr ‚Baiern‘, sondern ‚Bayern‘ zu schreiben hatte. Er fand, dass das damals in der deutschen Sprache unübliche Ypsilon nach Griechenland klang, nach alter Hochkultur, nach großen Epen und philosophischer Tiefe.

Andreas Gehrlach
IFK

Über den Autor

Andreas Gehrlach studierte Literaturwissenschaft und Geschichte in Tübingen und ist Wissenschafter am Institut für Kulturwissenschaft in Berlin. Er forscht zu prekären, kriminellen und politischen Ökonomien. Derzeit ist Andreas Gehrlach IFK_Research Fellow.

Veranstaltung

Andreas Gerlach hält am 9. November, 18.15h, am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften |Kunstuniversität Linz in Wien die Live-Zoom-Lecture: „Knie nieder, beweg die Lippen zum Gebet, und du wirst glauben!“ Eine Kulturgeschichte des Kniefalls

Diese Änderung der Rechtschreibung konnte sich durchsetzen. Andere seiner Ideen stießen auf mehr Widerstand. Zum Beispiel empfand er eine Sache als Problem: Einige Soldaten in seinem Heer bekannten sich zum protestantischen Glauben, statt – wie es in Bayern damals noch üblich war – gute Katholiken zu sein. An sich wäre das nicht weiter schlimm gewesen, doch wenn in katholischen Gottesdiensten oder bei Prozessionen das Allerheiligste präsentiert wurde, knieten die protestantischen Soldaten nicht nieder. Ludwig fand, dass es kein schönes und einheitliches Bild ergab, wenn einige wenige Soldaten stehen blieben, während die anderen knieten. Dieses schon damals belächelte „ästhetisch-romantische Wohlgefallen“ des Königs bewegte ihn dazu, das Niederknien per Befehl zu erzwingen. Das Dekret, das er veröffentlichte, hatte folgenden Wortlaut:

Seine Majestät der König haben vermöge allerhöchsten Rescripts vom 14. August 1838 allergnädigst zu befehlen geruht, daß bei katholischen militär-Gottesdiensten während der Wandlung und beim Segen wieder, wie es früher geschah, niedergekniet werden soll, sowohl von Seite der Offiziere als der Soldaten. Gleiches hat zu geschehen bei der Fronleichnams-Prozession und auf Wachen, wenn das Hochwürdigste vorbeigetragen und an die Mannschaften der Segen gege-ben wird.

Religionspolitischer Skandal

Dies führte zu massivem Widerspruch, denn dadurch verwandelte sich der ästhetische Wunsch des Königs in einen handfesten religionspolitischen Skandal: Die protestantische Kirchenleitung Bayerns betrachtete diesen Befehl als Zang zur Konversion zum Katholizismus. Eine katholische Position dazu war diejenige Ignaz von Döllingers, der fragte: „Ist der Soldat in Reih’ und Glied bezüglich seines militärischen Dienstes mehr als eine abzufeuernde Kanone?“ Und so wie eine Kanone sich nicht weigern kann, abgefeuert zu werden, so wenig sollte sich ein aufrechter bayrischer Soldat weigern, zu knien, wenn es ihm befohlen wurde.

Anatomische Abbildung eines Knies
Cheselden, William, 1688-1752, gemeinfrei

Andere katholische Theologen waren vorsichtiger, denn sie gaben zu bedenken, dass schon die römischen Legionäre nur aus Spott und Ironie vor dem gekreuzigten Jesus auf die Knie gegangen waren und dass man dies auch von den Protestanten annehmen könne. Letztlich wurde der Befehl einige Jahre später zurückgezogen, aber in seinen Auswirkungen setzte sich der Streit bis ans Regierungsende Ludwigs fort.

Barbarische Sitte

Diese bayrische Episode ist nur eine Anekdote in der langen Geschichte des Kniefalls. Das Niederknien vor politischen Herrschern wurde schon einige hundert Jahre vor Christus von Alexander dem Großen in Europa eingeführt. Bei seinem jahrzehntelangen Feldzug war Alexander sein eigener Erfolg über den Kopf gewachsen und er begann, die Sitten und Gebräuche der Gegenden und Reiche zu übernehmen, die er erobert hatte.

Dazu gehörte auch die sogenannte ‚proskynesis‘, die Niederwerfung vor dem Herrscher, die aber immer auch ein religiöses Element hatte, denn Alexander begann seiner eigenen Propaganda zu glauben und sich selbst als eine Art Gottkönig zu betrachten. Das kam bei seinen demokratischer gesinnten griechischen Landlseuten nicht gut an, und sogar Aristoteles fand die Niederwerfung vor einem Herrscher barbarisch und falsch.

Kniefall bleibt umstritten

Wer niederkniet, unterwirft sich einer Autorität und ordnet sich in einer Hierarchie ganz unten ein. Das Wort ‚Hierarchie‘ ist sogar in diesem Kontext der Auseinandersetzung über die Funktion des Kniens entstanden, als ein Kirchenvater die ‚heilige Ordnung‘ – so die ursprüngliche Bedeutung von Hierarchie – der Engelschöre und Priester beschrieb. Das Niederknien war daher zu jedem Zeitpunkt seiner Geschichte umstritten und hatte immer eine etwas andere Bedeutung. Immer wurde dabei die Frage gestellt: Warum genau tut man dies, was wird darin ausgedrückt, und wer hat überhaupt das Recht, dies einzufordern?

Papst Franziskus kniet im Vatikan
AFP/ALESSANDRO BIANCHI
Heute geht auch das Oberhaupt der katholischen Kirche (Papst Franziskus) in die Knie

Und noch darüber hinaus wurde insbesondere in der christlichen Spätantike viel darüber nachgedacht, ob der große, allmächtige und allwissende Gott es überhaupt nötig hatte, dass man vor ihm ein bestimmtes Gelenk benutzte. Wer wirklich mächtig ist, braucht solche Demutsbezeugungen nicht. Der heilige Augustinus kam zu dem Schluss, dass es durchaus sinnvoll war, beim Gebet zu knien, jedoch nicht für Gott, für den eine solche Akrobatik nicht nötig war, sondern um sich und den eigenen Körper zu disziplinieren und sich selbst in die rechte demütige Stimmung zu bringen, um zu beten.

Kniefall als Widerstand

In der Moderne ist mit dem Footballer Colin Kaepernick, der bei der Nationalhymne aus Protest gegen die nicht zu leugnende Polizeigewalt in Amerika nicht mehr stehen wollte, sondern auf ein Knie ging, sogar eine widerständige Art des Kniens entstanden.

Aber mit Willi Brandts Kniefall in Warschau, mit Napoleon, der sich selbst die Kaiserkrone aufsetzte, mit den Mönchen, die das viele Knien in den frühchristlichen Klöstern nutzten, um Nickerchen zu machen, mit einem anonym bleibenden Buchbinder, der sich dem militärischen Kniebeugebefehl König Ludwigs widersetzte und mit vielen, vielen anderen Beispielen lässt sich zeigen: Die Kulturgeschichte des Kniens ist ebenso eine Geschichte des Gehorsams wie des Widerstandes und der Selbstbehauptung.