Eine Frau sitzt am Ufer des Donaukanals
APA/HERBERT NEUBAUER
APA/HERBERT NEUBAUER
Coronavirus

Junge Erwachsene leiden am meisten unter Lockdown

Überraschenderweise sind Menschen in Österreich psychisch relativ gut durch den ersten Lockdown gekommen, konstatieren Psychologen und Psychologinnen von der Universität Wien. Manche traf die Krise aber härter, vor allem junge Erwachsene zwischen 20 und 30.

Die gute Nachricht zuerst: Die Stresslevel sind im ersten Lockdown, anders als erwartet, nicht durch die Decke gegangen, auch für die kommenden Wochen befürchtet Claus Lamm, Psychologe und Neurowissenschaftler an der Universität Wien und Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, keine dramatische Verschärfung. 800 Studienteilnehmer und Teilnehmerinnen in Österreich und Italien haben im Frühling eine Woche lang fünfmal am Tag per Handy-App ihr Wohlbefinden und Stressniveau gemeldet. Zusätzlich wurde über eine Haarprobe das Level des Stresshormons Cortisol bestimmt.

„Es war eine durchaus unerwartete Situation, dieser Lockdown, niemand war darauf vorbereitet. Von einem Tag auf den anderen waren Schulen, Geschäfte und Büros geschlossen, da hätten wir uns eigentlich erwartet, dass wir im Mittel höhere Stresslevel feststellen. Sie waren zwar leicht erhöht, aber alles andere als extrem.“

Stärker von Unsicherheit auf Arbeitsmarkt betroffen

Über einen Kamm scheren lässt sich die Lage allerdings nicht. Denn wie es Menschen psychisch durch eine so einschneidende Phase schaffen, hängt davon ab, wie sie sonst materiell und mental im Leben stehen. Während manche Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen sogar weniger gestresst waren als sonst, fielen zwei Gruppen als besonders belastet auf: Menschen mit psychiatrischen Vorerkrankungen wie Depressionen und Angststörungen sowie junge Erwachsene im Alter zwischen 20 und 30, sagt Lamm.

Er erklärt es sich damit, dass sich die Unsicherheiten in der Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt stärker auf junge Erwachsene auswirken. Außerdem sind sie vielfach stärker isoliert als andere Altersgruppen: „Junge Menschen, die möglicherweise gerade von zu Hause weggezogen sind, haben vermutlich deshalb eine höhere Belastung gezeigt, weil sie noch über kein stabiles soziales Netz verfügen.“

Weniger krisenerfahren

Jüngeren Menschen fehle zudem die Erfahrung im Umgang mit Krisen, sowohl mit persönlichen als auch gesellschaftlichen, auch das mache unter Dreißigjährige weniger resistent. Allerdings war diese Gruppe weder im ersten Lockdown noch jetzt im Fokus:

„In der öffentlichen Kommunikation ging es vor allem darum, dass man die Alten und Kranken schützen muss. Dann kamen Menschen mit psychologischer und psychiatrischer Vorgeschichte auf den Radar, aber dass die Jungen besonders stark betroffen waren und sind, wurde zu wenig beachtet.“ Dass junge Erwachsene durch die Pandemie besonders psychisch belastet sind, deckt sich auch mit ähnlichen Studien aus den USA, Großbritannien und China.

Jungen Erwachsenen und Teenagern müssten mehr Angebote gemacht werden, so Lamm. Denn auch wenn der jetzige Lockdown sich schon fast vertraut anfühlt, sieht er Optimismus, Hoffnung und Zuversicht am absteigenden Ast, und das hat weitreichende Auswirkungen: „Eine pessimistische, vorsichtige Grundstimmung hat viele Auswirkungen, weil ich dadurch generell zögerlicher bin. Gründe ich eine Firma oder eine Familie, gehe ich neue Beziehungen ein? Das hat starke persönliche und gesellschaftliche Konsequenzen.“

„Teenager wieder in Schule schicken“

Kinder kommen mit der Ausnahmesituation vergleichsweise gut klar, konstatiert Lamm. „Vielleicht liegt es an der kindlichen Naivität oder daran, dass sie mehr von den Eltern hatten, wenn Mama und Papa im Homeoffice oder in Kurzarbeit sind.“

Kritisch sieht Lamm die Gruppe der Jugendlichen, von zwölf Jahren aufwärts. Dass die Oberstufe ins Homeschooling geschickt wurde, hält er für einen Fehler. Auch wenn Jugendliche potenziell eher Virenüberträger sind und selbstständiger arbeiten als Volksschulkinder, aus Sicht des Neurowissenschaftlers stecken sie in einer kritischen Phase: „Das ist die Zeit der Identitätsfindung, da gibt es viel Unsicherheit im individuellen System.“ Die Jugendlichen wieder zu isolieren und auf sich selbst zurückzuwerfen, findet Lamm nicht gut. „Ich würde sie wieder in die Schule zurückschicken.“