Forschungsarbeit: Mediziner sitzt am Laptop
Nikcoa – stock.adobe.com
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Publikationen

Preprints: Schneller und schlampiger?

In Zeiten der Pandemie werden immer mehr wissenschaftliche Studien ohne vorherige Prüfung veröffentlicht. Das ist gut für die Publizität – aber schadet es der Qualität? Bisher gibt es kaum Hinweise auf systematische Fehlerquellen.

Der Preprintserver arXiv, online seit 1991, war der erste, auf dem Physiker (und später auch Forscher aus verwandten Fächern) ihre Manuskripte online stellen konnten. 2013 und 2019 folgten mit bioRxiv und medRxiv die Fächer Biologie und Medizin, ebenfalls mit beeindruckendem Zulauf – wohl auch deshalb, weil sich Wissenschaftler zunehmend aus dem Klammergriff der großen Verlage befreien wollen.

Publikationen jenseits der Bezahlschranke sind freilich noch aus einem anderen Grund beliebt: Der Weg zur Öffentlichkeit ist kurz, bisweilen nur einen Mausklick entfernt, damit müssen Studienautoren und -autorinnen nicht mehr den langwierigen Prozess von Einreichung, Prüfung und Publikation in einem Journal abwarten, bis sie sich der Kritik ihrer Fachkollegen stellen können. Das erwies sich besonders in Zeiten der Pandemie als hilfreich. Neue Erkenntnisse rund um das Coronavirus haben sich im letzten halben Jahr durch die Zirkulation von Preprints schneller denn je verbreitet, was angesichts der rasanten Ausbreitung des Erregers auch notwendig war.

Preprintserver im Vergleich

Gleichwohl sorgt die Beschleunigung bei manchen für Sorge: Denn die unabhängige Prüfung von Studienergebnissen, das sogenannte „Peer Review“, ist eben nicht nur ein Verzögerungsfaktor, sondern auch ein wichtiges Mittel der Qualitätssicherung. Gelangen Studienergebnisse ungefiltert in Umlauf, könnte es zunehmend schwerfallen, zwischen solider und schlampig durchgeführter Wissenschaft zu unterscheiden.

Einblicke in die Publikationspraxis von arXiv und Servern aus anderen Fächern liefern nun zwei Untersuchungen im Fachblatt „JAMA“. Ein Team um den Stanford-Wissenschaftler Mario Malički hat 57 der wichtigsten frei zugänglichen Preprintserver unter die Lupe genommen und dort recht unterschiedliche Qualitätsstandards festgestellt. Ein Screening (also eine inhaltliche Vorauswahl) war bei 82 Prozent der untersuchten Seiten üblich, die Art der Studie musste bei 54 Prozent genauer spezifiziert werden. Was weitere Vorgaben betrifft, dünnte sich der Anteil von Richtlinien zu Datenaustausch (39 Prozent), zu Plagiarismus (26) und zu verpflichtenden ethischen Zulassungen (16) weiter aus – hier gebe es Nachbesserungsbedarf, schreiben Malički und Kollegen in ihrer Studie.

Daraus folge jedoch nicht automatisch, dass die Qualität von Preprints zu wünschen übrig lässt, betont der aus Kroatien stammende Mediziner gegenüber science.ORF.at. „Bisherige Studien haben wenige Unterschiede zu den in Journalen publizierten Versionen gefunden.“ Um das beantworten zu können, seien auch die Fachzeitschriften gefordert. Sie müssten nun Änderungen, die während des Peer Review eingefordert wurden, offenlegen – was bisher nicht üblich sei.

Weniger Debatten als erwartet

Eine mit 31 Prozent relativ hohe Ablehnungsrate von eingereichten Manuskripten – grundsätzlich ein Qualitätsmerkmal – hat der Preprintserver medRxiv, wie Forscher um Harlan Krumholz von der Yale School of Medicine in einer zweiten Studie feststellen. Auffällig an der Bilanz ist auch: Von den Beiträgen wurden 14 Prozent in Journalen veröffentlicht, Kommentare aus der Fachgemeinde gab es nur bei zehn Prozent. Ersteres könnte man dadurch erklären, dass medRxiv eben erst seit 2019 online ist – und somit der Transfer in die Fachzeitschriften noch nicht abgebildet wurde.

Bei der niedrigen Zahl der Kommentare ist eine Relativierung schon schwieriger. Krumholz und Kollegen vermuten zwar, dass Diskussionen anderswo, etwa in den sozialen Medien, stattgefunden haben könnten, enttäuschend ist der Wert dennoch: Die Hoffnung, dass Preprints die Debatten unter Fachleuten ankurbeln würden, hat sich in diesem Fall nicht erfüllt.

Work in progress

Ähnlich ambivalent fiel eine Umfrage aus, die im Juni dieses Jahres von der Non-Profit-Organisation ASAPbio durchgeführt wurde. Demnach halten 90 Prozent der befragten Wissenschaftler den Trend zum Preprint für eine gute Sache, weil Veröffentlichungen auf diese Weise beschleunigt und Studienergebnisse außerdem frei zugänglich werden. Gleichzeitig sind 79 Prozent in Sorge, wenn die Medien solche Studien aufgreifen und darüber berichten, noch bevor sie von einem Fachjournal abgesegnet wurden.

Rainer Bromme, Wissenschaftsforscher von der Uni Münster, hat die Situation im Frühjahr wie folgt beschrieben: Mit den Preprints erhalte die Öffentlichkeit nun Einblick in den „Maschinenraum der Wissensproduktion", wo Widersprüche und Uneinigkeit an der Tagesordnung stehen, ja sogar erwünscht sind. Wenn, was früher unter Ausschluss der Öffentlichkeit an Instituten passiert sei, nun einsehbar im Internet stattfinde, sei das grundsätzlich ok. Nur dürfe man nicht erwarten, „dass die Dinge einfach und eindeutig sind.“

Das scheint nicht zuletzt für die Beurteilung des Publikationswesens zuzutreffen. Die Zeitschrift „JAMA“ wirft in ihrem aktuellen Editorial die Frage auf, ob die Preprint-Kultur der medizinischen Forschung mehr Nutzen als Probleme gebracht habe. Die Antwort fällt tendenziell positiv aus, eindeutig ist sie noch nicht.