Weiße Zahlen durcheinander vor blauem Hintergrund
corund – stock.adobe.com
corund – stock.adobe.com
Coronavirus

Prognosemodelle immer schwieriger

Wie werden sich die Infektionszahlen in den nächsten Tagen und Wochen entwickeln? Eine heikle Frage, auf die Prognosemodelle Antworten geben sollen. Genau diese Modelle sind aber immer schwieriger zu erstellen – wegen „drastisch ungenauer Daten“, wie Forscher kritisieren. Die Infrastruktur müsse endlich in der Gegenwart ankommen.

„Seitdem es am 20. Oktober zu einem plötzlichen starken Anstieg der Zahl der positiven Tests gekommen ist, sehen wir immer häufiger große Nachmeldungen“, sagt der Komplexitätsforscher Stefan Thurner. Mit seinem Complexity Science Hub Vienna (CSH) sind Thurner und sein Team Teil des Covid-Prognosekonsortiums des Gesundheitsministeriums.

“Drastische Ungenauigkeiten“

Wenn Tests in großer Anzahl nachgemeldet werden, bedeutet das, dass beispielsweise von 8.000 neuen Tests die Hälfte einen Tag betrifft und der Rest sich auf mehrere, zurückliegende Tage verteilt. Als „drastisch“ bezeichnet der Modellrechner Stefan Thurner diese Ungenauigkeiten: „Wenn diese Fallzahlen um 30 Prozent falsch sind, wie das in den letzten Wochen zum Teil war, in den Bundesländern teilweise um 100 Prozent falsch, dann ist das ein Zeichen, dass das System nicht mehr funktioniert und man kann dann nicht mehr erwarten, dass die Prognosen zutreffen.“

Auch in einem heute veröffentlichten „Policy Brief“ finden die Forscherinnen und Forscher des CSH Vienna deutliche Worte: „Mit der derzeit unzureichenden Datenlage auf Bundesländerebene riskiert man, das Werkzeug der Modellierung zu verlieren. Das bedeutet, dass wir dem Infektionsgeschehen quasi im Blindflug ausgesetzt sind und selbst die Möglichkeit für Kurzfristprognosen verlieren, die für die Entscheidungsfindungen in verschiedenen Institutionen des Landes verwendet werden“, heißt es da.

Auswirkungen für die Beurteilung der aktuellen Situation sieht auch Nikolaus Popper von der Technischen Universität Wien, ebenfalls Mitglied im Prognoseteam der Regierung: „Wir versuchen, mit statistischen Methoden diese Fehler und diesen Zeitverzug herauszurechnen. Das ist nicht die optimale Strategie, aber das ist das, was wir an diesen wichtigen Tagen versuchen beizutragen.“

Peak noch nicht erreicht

Entsprechend vorsichtig formulieren beide Modellrechner, Stefan Thurner und Nikolas Popper, ihre Bestandsaufnahme der aktuellen Situation: Beide sehen, dass die täglichen Zahlen zwar steigen, der Zuwachs sich aber etwas verlangsamt. Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht, sagt Stefan Thurner: „Wann der Peak erreicht ist, ist aufgrund der derzeitigen Datenlage sehr schwierig vorherzusagen.“

Beide Forscher zeigen Verständnis für die schwierige Lage der Gesundheitsbehörden, Stefan Thurner fordert aber dringend Nachbesserungen bei Datenerfassung und -übermittlung: „Man muss sich schon die Frage stellen, ob wir mit unserer Infrastruktur wirklich im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts angekommen sind.“ Und das betrifft nicht nur die aktuelle Lage, es entscheidet auch die Frage mit, wie zukunftsfähig das gesamte Gesundheitssystem ist.