Ein Kind beim Gurgeltest
APA/GEORG HOCHMUTH
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Dunkelziffer-Studie

Jüngere Kinder so oft infiziert wie ältere

Das Bildungsministerium erhebt mittels Gurgeltest die Verbreitung des Coronavirus unter Schülern und Lehrern an Volksschulen, Mittelschulen und AHS-Unterstufen. Nun liegen die ersten Ergebnisse der Dunkelziffer-Studie vor. Demnach sind jüngere Kinder nicht seltener infiziert als ältere, insgesamt wurden im Oktober 40 von 10.000 Teilnehmern positiv getestet.

"Das seit Langem verwendete Narrativ, wonach Kinder unter zehn Jahren viel seltener infiziert sind, können wir für Österreich an den Schulen nicht bestätigen“, fasste Michael Wagner, Mikrobiologe von der Uni Wien und Leiter der Studie, die Ergebnisse im Ö1 Mittagsjournal zusammen.

Konkrete Übertragungswege hat die Studie nicht untersucht, Schulen und Bevölkerung sind ihr zufolge infektiologisch aber eng miteinander verbunden. So war die Wahrscheinlichkeit höher, in einer Schule Infizierte zu finden, wenn auch im jeweiligen Schulbezirk die Zahlen höher waren.

„In den Schulen reflektiert sich das Infektionsgeschehen der Bevölkerung. Es werden Infektionen in die Schulen hineingetragen, und es werden natürlich auch Infektionen aus den Schulen herausgetragen in die Familien. Und natürlich stecken auch Kinder Personen in den Familien an“, so Wagner. Die Infektionsdynamik gehe in beide Richtungen, deshalb könne „man Schulen nur dadurch schützen, dass man – neben Maßnahmen, die lokal an den Schulen durchgeführt werden – dafür sorgt, dass das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung nicht zu stark ist.“

Anderweitig positiv Getestete waren nicht Bestandteil

Für die repräsentative Studie an 243 Schulen in Österreich, die von den Universitäten Wien und Linz sowie den Medizinischen Universitäten Graz und Innsbruck durchgeführt wird, wurden Schüler und Schülerinnen, Lehrerinnen und Lehrer der Primar- und Sekundarstufe I zufällig für die – freiwillige – Teilnahme ausgewählt. Im Laufe des Schuljahres werden sie alle drei bis fünf Wochen an zehn verschiedenen Zeitpunkten mittels Gurgeltest untersucht.

Im ersten Untersuchungszeitraum (28.9.-22.10.) wurden insgesamt 10.464 Personen getestet, jeweils rund die Hälfte davon von einer Volksschule (49,7 Prozent) bzw. einer Mittelschule/AHS Unterstufe (50,3 Prozent). 10.156 Proben konnten ausgewertet werden, 40 davon waren positiv. Dies entspricht einer Gesamtprävalenz von 0,39 Prozent, mit einer Schwankungsbreite (95 Prozent Konfidenzintervall) von 0,28 bis 0,55 Prozent.

„Wir haben damit zum ersten Mal Daten über die Dunkelziffer von Infektionen an Schulen“, erklärte Michael Wagner. Bei den positiv Getesteten handelt es sich um Personen, die keine offensichtlichen Symptome hatten. Zu ihrer Zahl würden noch jene Kinder, Lehrerinnen und Lehrer kommen, die bereits anderweitig positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden oder aufgrund von Symptomen einer noch nicht diagnostizierten Infektion an den Testtagen nicht in der Schule waren.

Grafik zu Gurgeltests
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: BMBWF

“Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen“

Die Gesamtprävalenz lässt sich aber nur sehr schwer in einen Kontext setzen, warnte Wagner davor, „Äpfel mit Birnen zu vergleichen“. So könnte man etwa versucht sein, die nun erhobene Prävalenz an den Schulen mit dem Anteil der im gleichen Zeitraum akut Infizierten an der Gesamtbevölkerung zu vergleichen, der sicher niedriger sei. „Aber das ist nicht plausibel, weil diese Zahl ja nicht die Dunkelziffer in der Gesamtbevölkerung beinhaltet und niemand ganz Österreich getestet hat“, so Wagner.

Auch der Vergleich mit der Positivitätsrate unter den durchgeführten Tests hinke, „weil zu den Teststraßen ja primär Leute mit Symptomen gehen oder K1-Personen“. Die Prävalenz von 0,39 Prozent könne auch nicht mit den kürzlich präsentierten Ergebnissen des Gurgeltests an Wiener Schulen verglichen werden, da dabei nur Verdachtsfälle überprüft wurden.

Keine Altersunterschiede, sehr wohl aber soziale

Keine statistisch signifikanten Unterschiede zeigten sich zwischen Volksschulen (Prävalenz: 0,38 Prozent) und Mittelschulen/AHS Unterstufe (0,41 Prozent) sowie zwischen Schülern (0,37 Prozent) und Lehrern (0,57 Prozent). Das oft gehörte Argument, dass jüngere Kinder weniger Infektionen haben als ältere, würden die Testergebnissen nicht stützen, betonte der Mikrobiologe. Oberstufen-Schüler werden in dieser Studie nicht getestet.

Unterschiede in der Prävalenz zeigten sich dagegen zwischen Schulen mit unterschiedlichem Index sozialer Benachteiligung. Dazu zählen etwa Schulen, wo mehrere Kinder nicht deutsch sprechen, Migrationshintergrund haben, oder wo mehr Eltern einen Pflichtschulabschluss gemacht haben. An Schulen mit vielen Kindern aus sozial benachteiligten Familien war das Risiko infiziert zu sein um das 3,6-fache (Odds-Ratio) höher als an Schulen mit wenigen Kinder mit diesem familiären Hintergrund.

Dieser Unterschied bleibe auch bei Berücksichtigung der durchschnittlichen Klassengröße, der Bevölkerungsdichte im Einzugsgebiet der Schule und dem Bundesland bestehen, so Wagner. Er sieht hier Handlungsbedarf: „Ich weiß jetzt durch die Studie, dass sich an diesen Schulen (Anm. mit mehr sozialer Benachteiligung) relativ viel abspielt. Ich glaube, man könnte gezielt in diese Schulen gehen, Aufklärung leisten und schauen, dass man besser durchdringt mit allgemeinen Hygienemaßnahmen, aber auch, dass man diese Schulen speziell schützt.“

Ein Kind beim Gurgeltest
APA/ROLAND SCHLAGER

Abgleichung mit Erwachsenen-Studie

Ob an Schulen Infektions-Cluster zu beobachten seien, könne man aufgrund des Studiendesigns nicht sagen, betonte der Wissenschaftler. Sehr wohl habe aber die lokale Inzidenz einen signifikanten Einfluss auf das Geschehen an der Schule: Wie zu erwarten gab es in Orten mit vielen Infektionen auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für positive Tests an den Schulen – „was dabei was treibt, also das Infektionsgeschehen im Ort jenes an der Schule oder umgekehrt, wissen wir aber nicht“.

Da es einen Konnex mit der lokalen Inzidenz gibt, sei zu erwarten, dass die Zahlen in der zweiten, derzeit laufenden Testrunde auch an den Schulen in die Höhe gehen. Wissenschaftlich interessant ist für Wagner, dass gleichzeitig die – ebenfalls vom Bildungsministerium in Auftrag gegebene – Prävalenz-Studie der Statistik Austria an zufällig ausgewählten Erwachsenen läuft. „Mit den Ergebnissen beider Erhebungen wird es dann faktenbasiert möglich sein zu sagen, ob man an der Schule weniger, gleich viel oder mehr Infektionen hat als in der Gesamtbevölkerung.“

Fakten zur Diskussion um Schulschließung

Mit der Studie würde man der Politik auch Fakten für die Diskussion um Schulschließungen liefern. „Das tun aber auch Psychologen, Soziologen, Wirtschaftsforscher, etc. und es ist dann die nicht beneidenswerte Aufgabe der Politik, das zu integrieren und evidenzbasiert zu entscheiden“, so Wagner.

Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) erhofft sich von den ersten Ergebnissen des Schul-Monitorings einen „wesentlichen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion“. Nur mit entsprechender Datengrundlage könne in den nächsten Monaten ein möglichst sicherer Schulbetrieb funktionieren, betonte der Minister in einem der APA übermittelten Statement.

Infektiosität von Kindern unklar

Die Gurgelstudie zeigt, dass die Zahl der Infektionen an Schulen einerseits nicht zu vernachlässigen ist. Andererseits zeigt sie auch, „dass die Dunkelziffer bei Kindern keineswegs höher als in anderen Altersgruppen ist, wie manche vermutet haben“, sagt Volker Strenger von der MedUni Graz im Gespräch mit science.ORF.at. Nicht beantworten kann die Gurgelstudie indes die Frage: Wie infektiös sind Kinder im Vergleich zu Erwachsenen?

Eine Untersuchung von 125 Familienclustern aus Griechenland liefert hier Antworten: Demnach sind es in der überwiegenden Zahl der Fälle (67 Prozent) die Erwachsenen, die den Rest der Familie anstecken, Übertragungen von Kindern zu Erwachsenen sind hingegen sehr selten. Ein ähnliches Muster hat Strenger bei der Auswertung von AGES-Daten der Kalenderwochen 42 und 43 für österreichische Schulen gefunden: Indexfälle in Schulclustern waren zu 71 Prozent Erwachsene, zu 21 Prozent 15- bis 18-Jährige, zu sieben Prozent 10- bis 14-Jährige. Indexfälle unter zehn Jahren gab es gar keine.

Eine groß angelegte Studie aus Indien, veröffentlicht im Fachblatt „Science“, kommt zu dem Schluss: Kinder stecken häufig Kinder an und sind somit an der Übertragung des Virus maßgeblich beteiligt. Aber sie geben den Erreger selten an Erwachsene weiter – was wiederum in der Debatte über mögliche Schulschließungen zu berücksichtigen wäre.