Skulptur von Victor Tilgner: Wiener Stubenmädchen
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Gastbeitrag

„Gesind Teuffel“: Die gefährliche Dienstmagd

Im 17. Jahrhundert hat Weiblichkeit per se als moralisch verdächtig gegolten, besonders die „gottlosen und liederlichen“ Dienstmägde: Die Nachwirkungen sind heute noch spürbar, schreibt der Kulturwissenschaftler Tim Rütten in einem Gastbeitrag.

Junge, sexbesessene Fremde überrennen die Städte. Ihre religiösen Bräuche, ihr Benehmen und ihre Sitten schockieren. Es müssen Maßnahmen gefunden werden, sie abzuwehren. Zumindest soll ihr Zuzug kontrolliert und reglementiert werden. Sind sie einmal da, erfolgt eine genaue Überwachung und Verfehlungen werden streng geahndet.

Kulturwissenschaftler Tim Rütten
IFK

Zur Person

Tim Rütten ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK).

Dieser Gastbeitrag entstand im Rahmen seines Forschungsprojekts „Von Mägden, Mächten und Moral. Formen und Fiktionen im Dienstmägdediskurs (1500–1810)“. Am 16.11. stellt Rütten seine Ergebnisse in einer IFK-Lecture vor.

Die Rede ist von Dienstmägden in der Frühen Neuzeit. Jungen Frauen, zwischen 14 und 30 Jahren, die auf der Suche nach Arbeit in der Zeit von 1650 und 1750 in Städte gingen. Die damaligen Haushalte waren auf sie angewiesen und dennoch schimpften protestantische und besonders herrschaftliche Autoren in extremen Maße über ihre Angestellten: Sie sahen in ihnen vielfältige Störpotentiale für die städtische Ordnung. Die Bildung eines Mobs sollte verhindert werden und jede Zuwiderhandlung zu Landesverweisung führen.

Intensiviert wurde das Reden über Mägde ab den 1650er Jahren: Der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) war geschlagen und es ging an die Wiederherstellung geordneter Verhältnisse. Vor dem Hintergrund entvölkerter Landschaften und verwüsteter Ökonomien wanderten vermehrt junge Frauen auf die freigewordenen Stellen, die den schon vorhandenen städtischen Frauenüberschuss verstärkten.

(Un-)Ordnungen?

Mit Beginn des 17. Jahrhunderts wurde aufgrund einer Wirtschafts- und Geldentwertungskrise – der sogenannten „Kipper- und Wipperzeit“ (1620-1622) – versucht, das Gesindewesen, also das Leben und Arbeiten mit Mägden und Knechten, durch spezielle Ordnungen zu regeln. Die frühneuzeitlichen Obrigkeiten machten sich ab den 1650er Jahren daran, vermittels sogenannter Dienstboten-, Ehehalten- oder Gesindeordnungen das Dienstverhältnis zu reglementieren.

Buch: Peter Glaser, Gesind Teuffel / Darinn acht stücke gehandelt werden / von des Gesindes untrew / welche im nachfolgenden blat verzeichnet, Frankfurt a. M. 1566.
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Peter Glaser, Gesind Teuffel, Frankfurt a. M. 1566.

Der Zweck dieser Ordnungen lag in der Schlechterstellung von Gesinde gegenüber anderen erwerbstätigen Menschen. Dies sollte sie einerseits leichter handhabbar machen, andererseits für die vielfältigen Aufgaben in Landwirtschaft und städtischen Haushalten genügend Gesinde bereitstellen. Gepaart waren die Gesindeordnungen mit Lohntaxen, die Höchstlöhne festsetzten und helfen sollten, günstige Arbeitskräfte bereitzustellen. Die Obrigkeiten normierten das gesamte, auch sittliche Zusammenleben und stellten die Überwachung der Hausherrschaft anheim; im Idealfall aus einer Hausmutter und einem -vater bestehend.

Verhandlungsraum

Gegen die Mägdeschelte – die behauptete, Mägde seien ‚gefährliche, unkontrollierbare Fremde‘ – trat das Mägdelob an und versuchte, das Gesinde zu verteidigen. Sie reproduzierten zwar in Teilen die Schelten und stellten ebenfalls heraus, dass es viel zu viele liederliche und gottlose Mägde gebe. Dennoch etablierte sie einen Verhandlungsraum: Der Austausch von Argumenten – ein Schelten der Schelten durch Schelten – entstand, der an eine der großen abendländischen Debatten der Frühen Neuzeit anschloss: die Querelle des femmes, das heißt, den Streit um die Bildungsfähigkeit und Positionierungen von Frauen in den Gesellschaften.

Entlang der Stellung der Mägde wurde debattiert, welche Positionen und Räume (ledige) Frauen in Städten einnehmen durften, wie sie sich zu verhalten und was sie zu befolgen hätten. Ebenso wurde verhandelt, ob Dienste in einem Haushalt allgemein eine legitime Art der Aus- oder Weiterbildung seien, damit ehemalige Mägde gut und gewinnorientiert ihren Haushalt führen können, wenn sie dereinst selbst einen eigenen Hausstand und Gesinde haben. Ob und wie mit Fremden, die in die städtischen Ökonomien eindrangen, umzugehen sei und was die besten Mittel wären, Einheimische und die heimische Finanzlagen zu schützen, war ebenfalls Teil des Streits um die Stellung der Dienstmägde.

Von der Frühen Neuzeit ins Jetzt

Die Zuschreibung, was, wann, wieso und warum als fremd und anstößig gilt, sind wandelbar. In der Frühen Neuzeit galt Weiblichkeit per se als unordnungsstiftend. Weibliche Fremde waren daher verdächtiger als männliche. Waren sie bäuerlich und vierhielten sich nicht entsprechend sexuellen Normen wie der Keuschheit für ledige Frauen, verschlechterte sich ihre Positionierung innerhalb gesellschaftlicher Verteilungskämpfe.

Buch: Philemon Menagius (Pseudonym), Die SIeben Teuffel, Franckfurt 1693, Titelkupfer: Öffentlicher Kampf zwischen einer Dienstmagd und einer Frau.
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Kampf auf dem Marktplatz: Philemon Menagius (Pseudonym), Die SIeben Teuffel, 1693

Die Schilderungen, die uns in den Quellen entgegentreten, sind häufig maßlose Übertreibungen. Sie halfen aber, während der Verhandlungen über Gesindeordnungen Öffentlichkeit herzustellen – eine Öffentlichkeit, die Zugunsten herrschaftlicher Interessen beeinflusst wurde. Die in jeglichen ökonomischen, juridischen und sozialen Belangen benachteiligten Mägde (und Knechte) schafften es aus diesem Grund bis zum Ende des Ersten Weltkrieges im deutschsprachigen Raum nicht, genügend Öffentlichkeit für sich herzustellen. Auch als sich katholische, sozialliberale und sozialistische Stimmen seit den 1850ern mehrten, die Verhältnisse für Mägde zu heben, die in den Städten um 1900 fast 100 Prozent der Gesindetreibenden darstellten, bewirkten erst die großen politischen und sozialen Umwälzungen 1918 Verbesserungen.

Auch heutige Care-Kräfte haben eine kleine Lobby. Ebenso befinden sich Geflüchtete inmitten gesellschaftlicher Aushandlungs- und Machtprozesse, in denen ihnen durch stereotypisierte und als kollektiviert, also alle betreffend, wahrgenommene Eigenschaften bestimmte gesellschaftliche Teilbereiche wie der Arbeitsmarkt verwehrt bleiben. Sozio-ökonomische Verbesserungen sind häufig schwierig umzusetzen.

Die Mechanismen, die eine Schlechterstellung bewirken, sind heutzutage oftmals feingliedriger und weniger offensichtlich als in der Frühen Neuzeit. Was jedoch über Jahrhunderte hinweg gleich blieb, ist eine gesellschaftliche Diskriminierung, die allein auf Geschlecht beruht. Situativ können sich an diese Geschlechtlichkeit andere Kategorisierungen wie Fremdheit, Sexualität oder Alter anlegen, die entweder neue Handlungsmöglichkeiten öffnen, häufiger aber zu stärkerer Marginalisierung führen.