Liebespaar auf der Bühne: Szene aus Schillers bürgerlichem Trauerspiel „Kabale und Liebe“; Gescher-Theater, Tel Aviv
dpa/Gil Hadani
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Gastbeitrag

Wie die Liebe unfrei wurde

„Gemischte Ehen“ zwischen Partnern unterschiedlicher Abstammung wurden in Europa lange mit Misstrauen betrachtet. Der Historiker Michael Jeismann weist in einem Gastbeitrag nach: Die Ursprünge dieses Vorurteils liegen im Gleichheitsgedanken der griechischen Demokratie.

Das Publikum war entzückt: Die ungarischen Husaren ließen die Liebe gegen die Intrigen siegen. Vilma und Hermann durften heiraten, die eifersüchtigen Frauen und lüsternen Ehemänner waren blamiert. Franz von Suppè hatte mit seiner Operette „Die leichte Kavallerie“, die im Jahr 1866 im Carltheater in Wien uraufgeführt wurde, den Grundton des neunzehnten Jahrhunderts getroffen: Liebe war das Zauberwort, es war der Code, gegen den nicht verstoßen werden durfte.

Historiker Michael Jeismann
IFK

Der Autor

Michael Jeismann ist Historiker und Journalist. Er forscht derzeit am Institut für Kulturwissenschaften in Wien. Thema seines Projekts: Restitutionsgeschichte und das Selbstverständnis der österreichischen Gesellschaft.

Literatur

Michael Jeismann. Die Freiheit der Liebe. Paare zwischen zwei Kulturen. Eine Weltgeschichte bis heute, München 2019.

Veranstaltung

Michael Jeismann hält am 30. November, 18.15h, am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften |Kunstuniversität Linz in Wien die Live-Zoom-Lecture: „Wie ungleiche Paare die Weltgeschichte verändert haben“

Die Liebe vermochte alles, sie war frei und nahm keine gesellschaftlichen Rücksichten – und ihr Recht musste notfalls durch einen mitfühlenden ungarischen Husaren durchgesetzt werden. Zum Teufel mit den Heiratsordnungen, fort mit all den Ehehindernissen, wenn das Herz zum Herzen spricht. Ach, es klang so frei, so schön. Das war die Theorie.

Die Grundrechenarten der Liebe

Der Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann hat in seinem Werk „Liebe als Passion“ nachgewiesen, dass der Liebesdiskurs im neunzehnten Jahrhundert zwar allgegenwärtig war und nahezu religiöse Züge annahm, dass aber in der sozialen Wirklichkeit wie eh und je durch Heirat reich zu reich und arm zu arm kam.

Das war die Regel, die durch Ausnahmen bestätigt wurde. Mit der alles sprengenden Kraft der Liebe war es also doch nicht so weit her: Man war manchmal romantisch, aber nie blind und beherrschte immer die Grundrechenarten. Soziologisch gesprochen liebte man dann doch am liebsten innerhalb der eigenen Schicht. Das war in jedem Fall weniger anstrengend als irgendwelche klassenübergreifenden Abenteuer.

Es regelt sich auch ohne Vorschriften

Ganz prosaisch: Es schien auch in Liebesdingen eine sozial „prästabilierte Harmonie“ (Gottfried Wilhelm Leibniz) gegeben zu haben, die alles schön an ihrem Platz beließ.

Warum bloß waren dann Jahrhunderte gespickt mit Ehevorschriften und Eheverboten, mit ganzen Heiratsordnungen und tragischen Liebesfällen, die nicht selten tödlich verliefen? Warum wurden, wenn doch schon „von Natur aus“ sich alles mehr oder weniger konform verhielt, die sogenannten „gemischten Paare“, bei denen einer der Partner aus einer anderen sozialen Schicht stammte oder einer anderen Religion angehörte oder aus dem Ausland stammte und ein anderes Aussehen hatte, so misstrauisch beäugt? Warum tat man sich so schwer, sie zu integrieren? Waren sie denn wirklich so anders?

Die Demokratie macht sich Fremde

Das Misstrauen gegen die „gemischten Paare“ hat leider viel mit einer sehr schätzenswerten Einrichtung zu tun: der Demokratie. Denn die Demokratie, so wie sie der griechische Politiker und seine Mitbürger in Athen verstanden, wollte Gleichheit. Aber welche Gleichheit? Es war die Gleichheit der gemeinsamen Abstammung aus dem gleichen Land.

Diese Gleichheit sollte nicht die Folge, sondern die Voraussetzung der Demokratie in Athen sein. Perikles erlebte, wie immer mehr vermögende Athener ihre Söhne und Töchter unter wirtschaftlich-strategischen Gesichtspunkten mit Nicht-Athenern verheirateten. Wo blieb da die Gleichheit, insbesondere die Gleichheit der Interessen? Das konnte nicht so weitergehen.

Das erste Staatsbürgerschaftsgesetz

Also schuf Perikles ein Gesetz, das als erstes Staatsbürgergesetz gelten darf: Es wurde bestimmt, dass als Athener Vollbürger nur der- oder diejenige galt, dessen beide Elternteile aus Athen stammten und Athener Bürger waren. So sollte die Gleichheit aller wiederhergestellt werden. Geholfen hat es wenig: Athen zog später in den peloponnesischen Krieg und brauchte jeden Mann. Also gestattete man großzügig Ausnahmen, die auch Perikles dem Jüngeren zugutekamen – allerdings mit bösen Folgen.

Szene aus dem antiken Griechenland: Aspasia verteifigt sich vor en Richtern
Gemeinfrai
Mit Perikles und Aspasia fing alles an – Darstellung von Richard Geiger (1900)

Perikles der Jüngere stammte aus dem Zusammenleben des Perikles mit Aspasia, berühmt und berüchtigt wegen ihrer Schönheit und erotischen Ausstrahlung und Zielscheibe der athenischen Satiriker. Ihr einziger Schönheitsfehler: Sie stammte nicht aus Athen, sondern aus dem kleinasiatischen Milet, wohin ihr Vater, ein athenischer Politiker, verbannt worden war. Das bedeutete, dass der Sohn, den sie mit Perikles hatte, nach dessen eigenem Gesetz kein Vollbürger war.

Recht und Vorurteil

Man machte aber gern eine Ausnahme und erklärte Perikles den Jüngeren zum Vollbürger. Gleich darauf wurde er zum „Strategen“, also zum Heerführer, gemacht. Der Gegner Sparta war am Ende aber stärker und Perikles der Jüngere wurde hingerichtet – eine übliche Strafe beim Militär für strategisches Versagen. Die Ausnahmegenehmigung hatte Perikles dem Jüngeren also nicht gerade Glück gebracht.

Etwa zur gleichen Zeit wurden in Rom mit dem „Zwölftafelgesetz“ Ehen zwischen den „Ständen“ untersagt, es trat also ein soziales Verbot in Kraft. Knapp ein Jahrhundert zuvor war in Jerusalem festgelegt worden, dass nur Juden auch Juden heiraten durften.

Damit war das religiös motivierte Verbot „gemischter Ehen“ in der Welt. Es folgte zweihundert Jahre nach Perikles die Sortierung der Bevölkerung nach Hautfarbe in Indien und die Einführung des Kastenwesens. Damit waren fast alle Elemente des Rechts und Vorurteils in Ehesachen gegeben, die bis ins zwanzigste Jahrhundert bestimmten.

Und heute?

Heute ist in Österreich ein Drittel der Ehen bi-national. Der gleiche Trend herrscht überall, in Europa, in der ganzen Welt. Es gibt zwar immer noch religiöse Verbote und daneben jede Menge bürokratischer Vorschriften. Unsere Paare werden also immer internationaler.

Nur: Breit angelegte soziologische Studien haben ergeben, dass sich die Schichten beim Heiraten immer mehr und überall voneinander abgrenzen. Arzt heiratet Ärztin. Ein „gemischtes Paar“ behält also auch heute noch seine utopische Kraft der Überschreitung.