Schauspieler Vincent Cassel und Model Tina Kunakey bei ihrer Hochzeit in Frankreich
AP/Bob Edme
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Mimik

Die ganze Welt lächelt ähnlich

Gefühle wie Angst, Freude und Ekel spiegeln sich im Gesicht. Dass die entsprechende Mimik universell oder gar angeboren ist, gilt mittlerweile als eher zweifelhaft. Eine automatisierte Videoanalyse liefert den Universalisten nun neue Argumente: In ähnlichen Situationen schauen Menschen weltweit sehr wohl recht ähnlich drein.

Wenn sich Menschen freuen, lächeln sie, egal wo sie geboren wurden – davon ging bereits Charles Darwin aus. Grundlegende Gefühle wie Angst, Trauer oder Freude seien nicht nur angeboren, sie zeigen sich auch unvermittelt in der Mimik, schreibt der berühmte Evolutionsbiologe in „The Expression of the Emotions in Man and Animals“ (1872).

Ausgehend davon entwickelte der US-Psychologe Paul Ekman in den 1950ern sein Modell der universellen Basisemotionen (Wut, Angst, Ekel, Freude, Trauer und Überraschung) und der dazugehörigen Gesichtsausdrücke. Menschen haben demnach auf der ganzen Welt die gleiche emotionale Grundausstattung und Mimik. Ekman entwickelte auf dieser Annahme sogar eine Art Alphabet der Gesichtsbewegungen, mit dem sich das Erkennen von Gefühlen automatisieren lassen soll.

Emotionale Vereinfachung

Seit einigen Jahren häufen sich aber Zweifel an der lange vorherrschenden Theorie. Die Belege seien recht dünn, meinen Kritiker: Oft waren es nur sehr kleine Studien mit überzeichneten Gesichtsausdrücken und manipulativen Fragestellungen. Tatsächlich gibt es mittlerweile schon einige Untersuchungen, die für stärkere kulturelle Einflüsse sprechen, beispielsweise ergab eine Studie, dass Europäer und Asiaten ihre Gefühle mimisch recht unterschiedlich ausdrücken.

Manche Forscherinnen und Forscher formulierten ihre Kritik noch grundsätzlicher, so etwa die populäre US-Psychologin Lisa Feldman Barrett, die den menschlichen Gefühlen ein ganzes Buch widmete („How Emotions are Made“, 2017, ISBN: 978-1-5098-3752-6). Für sie sind weder Gefühle noch Mimik eindeutig, nicht einmal innerhalb ein- und derselben Kultur. Ekmans Ansatz hält sie für grob vereinfachend. Außerdem können Menschen Gefühle auch verbergen und vortäuschen. Womöglich dient die Mimik gar nicht so sehr dem Ausdruck eines inneren Zustands, sondern vielmehr der Kommunikation, wie zwei andere Forscher vor zwei Jahren vorschlugen.

Empirische Schwierigkeiten

Ein zentrales Problem der ganzen Debatte ist die Empirie, denn experimentelle – von Menschen aus bestimmten Kulturen getroffene – Vorannahmen können Ergebnisse beeinflussen. Außerdem sei es schwierig, Gefühle und ihren Ausdruck in natürlichen Settings – also im echten Leben – zu beobachten, schreiben die Forscher um Alan Cowen von der University of California Berkeley in ihrer soeben in der Fachzeitschrift „Nature“ erschienenen Studie.

Bei Hochzeiten dominiert weltweit der zufriedene Gesichtsausdruck, hier ein Paar in der Elfenbeinküste
AFP/SIA KAMBOU
Bei Hochzeiten dominiert weltweit der zufriedene Gesichtsausdruck, hier ein Paar in der Elfenbeinküste

Gewisse Vorannahmen musste auch Cowens Team treffen. Verwendet wurde ein im Vergleich zu Ekman feinteiligeres System von 16 Gesichtsausdrücken. Neben den Basisemotionen wie Wut, Freude und Trauer zählten dazu etwa Zufriedenheit, Staunen, Begehren, Zweifel und Triumph. Zuerst trainierte das Team ein neuronales Netz mittels Deep Learning darauf, die entsprechenden Gesichtsausdrücke auf Bildern und Filmen zu erkennen. Das so vorbereitete System sollte dann die Mimik der handelnden Personen in insgesamt sechs Millionen YouTube-Videos aus 144 Ländern systematisch analysieren. So wollte man herausfinden, in welchen sozialen Situationen bestimmte Gesichtsausdrücke typischerweise auftauchen.

Ausdrücke weltweit ähnlich

Tatsächlich fanden die Forscher für viele Gefühle quer durch alle Regionen eine ähnliche systematische Korrelation: So zeigten beispielsweise die Menschen im Angesicht eines Feuerwerks überall einen ähnlichen Ausdruck des Staunens, einen der Zufriedenheit bei Hochzeiten und einen des Triumphs beim Sport. Manche Zusammenhänge waren aber weniger intuitiv, was unterstreiche, dass Gesichtsausdrücke mitunter mehrere Bedeutungen haben können, schreiben die Autoren. Beim Hören von Musik zeige etwa das Gesicht vieler Zuhörer den Ausdruck von Enttäuschung. Die Mutmaßung der Forscher: In der Mimik spiegeln sich womöglich eher die Gefühle des Interpreten.

Dennoch sprechen die Daten insgesamt für eine gewisse Universalität des mimischen Ausdrucks. Laut den Forscherinnen und Forschern überschneiden sich die Korrelationen von Mimik und Situation in 70 Prozent der Fälle, egal ob die Aufzeichnungen aus Afrika, Asien, Europa oder Amerika stammten. Natürlich seien die Videos durch die Globalisierung und den westlichen Blick geprägt, heißt es in der Studie. Aber eine der vielen Zusatzanalysen ergab, dass die Mimik zwischen benachbarten Regionen ähnlicher ist als bei weit voneinander entfernten Regionen. Eine weitere Einschränkung sei, dass Online-Videos oft nicht ganz das echte Leben zeigen, zumindest sind es in der Regel ausgewählte Momente.

Lob für die Studie bzw. der neuartigen Methode der Datenerhebung kommt jedenfalls von überraschender Seite. In einem ebenfalls in „Nature“ erschienenen Kommentar schreibt Lisa Feldman Barrett, der Zusammenhang zwischen emotionalen Gesichtsausdrücken und sozialen Anlässen sei in einem natürlicheren Kontext nachgewiesen worden als in den allermeisten vorhergehenden Studien, gleichzeitig so umfassend wie nie zuvor. Für Barrett gibt es zwar auch einige Kritikpunkte, etwa dass ein rein englischsprachiges Team das neuronale Netz trainiert hat. Aber generell sei die Arbeit ein wichtiger methodischer Schritt, um Gefühle und ihren Ausdruck im echten Leben zu untersuchen und zu verstehen.