Ein festlich gedeckter Weihnachtstisch
pixabay/JillWellington
pixabay/JillWellington
Gastbeitrag

Warum Weihnachten so gut schmeckt

Weihnachten ist auch ein Fest des Geruchs und Geschmacks. Wer glücklich mit Vanille, Zimt und Co. aufgewachsen ist, verbindet damit ein Leben lang Wärme und Geborgenheit. Warum Weihnachten so gut schmeckt, beschreiben zwei Lebensmittelforscher in einem Gastbeitrag.

Die Advent- und Weihnachtszeit zeichnet sich durch eine sehr spezifische Geruchswelt aus, die sie klar von anderen Jahreszeiten und Anlässen unterscheidet. Vanillekipferl im Sommer? Lebkuchen zu Ostern? Glühwein im Wonnemonat Mai? Was intuitiv undenkbar und völlig unpassend erscheint, wurde auch wissenschaftlich bestätigt: Zimt schmeckt zumindest in unserer gastronomischen Kultur in der Weihnachtszeit besser.

Porträtfotos von Alexandra Schebesta und Klaus Dürrschmid
Open Science / Boku

Über Autor und Autorin:

Klaus Dürrschmid leitet an der Universität für Bodenkultur am Institut für Lebensmittelwissenschaften die Arbeitsgruppe Sensory and Consumer Science. Aktueller Forschungsschwerpunkt: Beobachtungsmethoden in der Konsumentenforschung. Alexandra Schebesta ist promovierte Genetikerin und war lange Zeit auf dem Gebiet der Stammzellforschung und Immunologie tätig. Sie betreut heute bei Open Science Projekte im Bereich der Wissenschaftskommunikation.

In Schweden mag das anders sein, denn dort werden Zimtschnecken und anderes Zimtgebäck das ganze Jahr über gegessen, und Zimt gilt dort generell als beruhigendes, entspannendes Gewürz. Aber in Mitteleuropa wird Zimt primär mit Weihnachten in Verbindung gebracht. Das entspricht einem allgemeinen Prinzip: Es gibt eine enge Verknüpfung kulinarischer Sensationen mit bestimmten Situationen im Jahresablauf.

Mischung aus Vanille und Nuss

Die Verknüpfung von Sinneserfahrungen mit Bedeutung bezeichnet man als Kontextualisierung. Nur kontextualisierte Gerüche haben für uns Bedeutung. Das Sensorik Netzwerk Österreich hat beispielsweise untersucht, welche assoziative Verknüpfung zwischen einer Reihe von Gerüchen und Altersstufen besteht. Es ergab sich klar, dass Vanille für die Kindheit steht und Nuss-Aroma fürs Alter. Auch süßer Geschmack wurde klar mit Kindheit assoziiert.

Woraus besteht das prototypische Gebäck der Advent- und Weihnachtszeit, das Vanillekipferl? Aus Zucker, Nüssen und Vanille – einer perfekten Symbiose aus Assoziationen mit der sorgenfreien Kindheit und der Weisheit des Alters. Und das gerade zu einem Fest, bei dem es um die Geburt und die Weitergabe und Fortsetzung des Lebens geht. Gerüche wurden außerdem stark bestimmten Jahreszeiten zugeordnet: Der Duft der Rose wurde mit dem Sommer in Verbindung gebracht, während Orange, Gewürznelke und vor allem Zimt mit der Weihnachtszeit assoziiert wurden. Zudem wurden die Gerüche in der mit ihnen verknüpften Jahreszeit auch als vertrauter und angenehmer empfunden als in den anderen Jahreszeiten.

Gerüche verknüpfen sich mit Gefühlen

Gerüche sind nie neutral, sondern immer emotional eingefärbt. Die Ursache dafür liegt darin, dass die Auswertung der Riechinformationen weit verzweigt im limbischen System unseres Gehirns erfolgt. Dieses besteht aus unterschiedlichen Gehirnbereichen, welche vor allem bei der Geruchswahrnehmung für die emotionale Einfärbung sorgen. Gleichzeit erfolgt eine Verknüpfung der Gerüche mit dem Hippocampus, der für das episodische Gedächtnis zuständig ist – unsere Erinnerung.

Hier gibt es also auch eine intensive Verankerung der Gerüche: Wird ein Geruch zum ersten Mal wahrgenommen, dann verbindet ihn das Gehirn mit dem emotionalen Zustand, in dem man sich gerade befindet. Die Verknüpfung von Geruch, Emotion und Situation wird im Hippocampus gespeichert. Das führt dann oft dazu, dass ein Geruch unverhofft Emotionen auslöst oder unwillkürliche Erinnerungen hervorruft.

Vanillekipferl, Zimtsterne und Marzipanerdäpfel – für viele die Voraussetzung für ein gelungenes Weihnachten
ORF.at/Carina Kainz
Vanillekipferl, Zimtsterne und Marzipanerdäpfel – für viele die Voraussetzung für ein gelungenes Weihnachten

Vor allem in der Kindheit ist Weihnachten intensiv mit Gefühlen der Geborgenheit, Vorfreude und Freude verbunden. Es riecht gut nach süßen Keksen und bestem Essen. Die Vorfreude und Spannung bis zur erlösenden Bescherung am Heiligen Abend steigt. Diese besonders positiven Gefühle und Erlebnisse werden umspült von den typischen Weihnachtsgerüchen und daher zeitlebens mit diesen positiven Eindrücken verknüpft. Solche kindlichen Assoziationen bleiben wohl ein Leben lang, und daher sind diese Gefühle und Erinnerungen auch sofort wieder da, sobald der Duft von Weihnachten in der Luft liegt: nach Zimt und Vanillekipferln, Lebkuchen, Orangen, Kerzenrauch und Tannennadeln – denn so riecht Weihnachten.

Wärmende Gewürze: „Nervensache“

Die Gewürze in Lebkuchen, Glühwein und anderen weihnachtlichen Köstlichkeiten galten früher allesamt als wärmend und daher ideal zur Verwendung in winterlichen Speisen. Aus heutiger Sicht ist das natürlich ein illusorischer Effekt, denn tatsächlich erhöht sich die Temperatur durch beispielsweise Zimt im Mund überhaupt nicht. Verantwortlich für diese Wärmeillusionen ist ein Sinnessystem, das weitgehend unbekannt ist: die trigeminale Wahrnehmung. Diese vermittelt neben Schmerzen, Berührungs- und echten Wärme- und Kältewahrnehmungen auch Wärmeillusionen.

Der dafür verantwortliche Nerv, der Nervus trigeminus oder Drillingsnerv, befindet sich in den Schleimhäuten von Mund und Nase. Chemische Substanzen in weihnachtlichen Gewürzen erregen diesen Nerv, der auch für irritierende Substanzen in Chili oder Pfeffer zuständig ist, und führen zur Wahrnehmung einer Temperaturillusion: Wir glauben, es würde warm im Mund, da die Temperaturrezeptoren des Drillingsnervs auch durch die chemischen Substanzen in Chili, Zimt, Piment oder Gewürznelken angeregt werden.

Weihnachten schmecken über die Nase

Die Aromen von Speisen nehmen wir nicht nur über unsere vorderen zwei Nasenlöcher wahr. Wir riechen Lebensmittel, sobald wir diese im Mund haben, auch über eine Verbindung von Mundhöhle und Nasenhöhle – man bezeichnet diesen Vorgang als retronasales Riechen. Die Duftstoffe gelangen von der Mundhöhle über den Rachenraum in die Nasenhöhle und erregen dort die Riechsinneszellen.

Dieses Phänomen ist leicht experimentell zu überprüfen: Hat man Zimt-Zucker bei zugehaltener Nase im Mund, dann schmeckt man nur die Süße des Zuckers. Öffnet man aber die Nase, dann können die Duftstoffe wieder frei von der Mundhöhle über den Rachen zum Riechepithel aufsteigen, und plötzlich „schmeckt“ man auch den Zimt. Im engeren Sinne „schmecken“ wir nur die Grundgeschmacksarten, die Vielzahl an Aromen nehmen wir dagegen über retronasales Riechen wahr. Der Geschmack von Weihnachten entsteht also in Wahrheit auch durch Geruchswahrnehmungen.

Eine gebratene Gans mit Rosmarin und Nüssen liegt auf einem Teller
beats_ – stock.adobe.com
Für manche der Höhepunkt der Festtage: der Weihnachtsbraten

Ein Fest für alle Sinne

Unsere Geschmacks- und Geruchswahrnehmungen sind nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Auch unsere visuellen und akustischen Wahrnehmungen fließen beim Schmecken mit ein.

Wenn das Weihnachtsmenü schmeckt, spielen die Informationen aller unserer Sinne zusammen: Entscheidend für das Geschmackserlebnis sind auch die Musik, die Farben und Lichtverhältnisse, die soziale Situation – wir versammeln uns mit geliebten Menschen – die Temperaturen draußen und drinnen, die Emotionen und religiös-spirituelle Empfindungen. Gerade in einer eher reizarmen Zeit wie dem Winter, wo Farben und Gerüche der Natur herabgedimmt erscheinen, ist ein solches Fest der Sinne besonders willkommen.

Das Auge isst mit …

„Das Auge isst mit“ – dieses Sprichwort konnte bereits vielfach wissenschaftlich belegt werden. Sowohl Farben von Lebensmitteln selbst als auch Farben der unmittelbaren Umgebung – Teller, Servietten, Tischtuch – beeinflussen unser Essverhalten und -erleben. Die Farbe eines Lebensmittels zeigt uns beispielsweise, ob mit dem Lebensmittel alles in Ordnung ist – ob es verdorben, richtig gereift oder zubereitet, lang genug oder zu lange gekocht ist. Der Braten muss eine bestimmte Gold-Braun-Intensität aufweisen, die Bratäpfel müssen rot und die Vanillekipferl müssen blassbraun sein und schneeartig bestäubt mit Zucker.

Wir verknüpfen Farben bei Lebensmitteln in erster Linie mit Geschmäckern, aber auch mit Emotionen. Die bei uns typischen weihnachtlichen Farben sind Rot und Grün. Rot steht für hohe Intensität – ob das jetzt intensive Süße ist wie bei Äpfeln oder Beeren oder intensive Schärfe wie bei Chili-Schoten. Im emotionalen Bereich steht Rot in erster Linie für Liebe. Grün dagegen ist eine beruhigende Farbe. Rot und Grün sind somit passende Farben für das Fest der Liebe.

Eine Hand greift nach Weihnachtskeksen
AFP – TIM SLOAN
Die Farbe spielt eine entscheidende Rolle – auch beim Griff aufs Kekstablett

Open Science

Der gemeinnützige Verein Open Science – Lebenswissenschaften im Dialog ist im Bereich der Wissenschaftskommunikation tätig und versteht sich als Drehscheibe zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Er organisiert u. a. Projekte und Veranstaltungen zu Themengebieten aus den Lebenswissenschaften. Mit dem Lebensmittelsensoriker Klaus Dürrschmid hat Open Science bereits ein gemeinsames Projekt realisiert.

Buch

Klaus Dürrschmid: Zungenbekenntnisse. Warum der Wein im Urlaub besser schmeckt und andere Fakten und Wunder aus der Welt der Sinne, Brandstätter Verlag 2020

Je stärker die visuellen Kontraste auf einem Teller sind, desto mehr wird gegessen. Aber auch die Farbe des Tellers selbst kann eine Rolle spielen: Die Farbe Rot hat auch eine Warnfunktion, was dazu führt, dass man von einem roten Teller deutlich weniger isst als von einem weißen. Für heiße Schokolade konnte gezeigt werden, dass diese am besten aus orangefarbenen Tassen schmeckt. Auch die Farbe des Bestecks ist nicht zu vernachlässigen: So machen schwarze Löffel sowohl weißes als auch rosa eingefärbtes Joghurt signifikant weniger süß als weiße Löffel. Die Farbe Blau wiederum scheint Salzigkeit zu verstärken.

Die Farbe der Raumbeleuchtung ist ebenfalls in der Lage, unsere Geschmackswahrnehmungen zu beeinflussen. In Versuchen wurden Weine bei rotem Licht signifikant besser beurteilt als bei grünem oder weißem Licht. Zudem werden je nach Beleuchtungsart andere sensorische Merkmale wahrgenommen. Das heißt, die wohlig feuerfarbige Beleuchtung der Weihnachtszeit ist genau richtig, um uns unsere Getränke gut schmecken zu lassen.

… und auch das Ohr

Neben dem Auge isst aber auch das Ohr mit. Wir beurteilen die Qualität von Lebensmitteln über die Geräusche, die sie machen – wenn wir sie schneiden, brechen oder kauen. Aber auch die Hintergrundmusik manipuliert unser Ess- und Trinkverhalten. Die Prinzipien sind einfach: Die Musik muss zur Situation passen – Death Metal vor dem Weihnachtsbaum passt nicht und verschlechtert die Bewertung der davor genossenen Speisen und Getränke. Die Musik beeinflusst auch das Essverhalten: Ist die Musik schnell, essen und trinken wir schneller. Je lauter die Musik ist, desto mehr wird getrunken – wobei das nur in bestimmten Situationen wie Bar- oder Rockkonzert-Situationen gilt.

Weihnachten riecht auch nach Geschäft

Es ist schon lange bekannt, dass das Ambiente im Handel und in der Gastronomie das Erleben und Verhalten von Konsumenten und Konsumentinnen stark bestimmt. Das richtige Ambiente erzeugt Wohlbefinden und den Eindruck von Authentizität, wobei Musik und Gerüche hier entscheidende Faktoren sind, vor allem auch im weihnachtlichen Umfeld. Es konnte gezeigt werden, dass Konsumenten beim kombinierten Einsatz von weihnachtlichen Gerüchen und weihnachtlicher Musik ein Geschäft und die angebotenen Waren deutlich besser bewerten als ohne Geruch oder mit anderer Musik. Weihnachtsduft kombiniert mit Nicht-Weihnachtsmusik senkte dagegen die Bewertungen, weil diese Kombination unpassend und unauthentisch wirkte.

Gewünscht wird ein konsistentes sinnliches Bild der Situation ohne Widersprüche und daher auch widerspruchsfreie Weihnachten über alle Sinne. Das gilt in Handel und Gastronomie, aber auch daheim vor dem Adventkranz oder dem Christbaum. Zu Hause manipulieren wir uns selbst, indem wir ein stimmungsvolles Ambiente schaffen. Außer Haus aber werden wir durch unsere klaren Vorstellungen, wie Weihnachten zu schmecken, zu riechen, zu klingen und auszusehen hat, eventuell manipulierbar durch andere. Daher kann es durchaus sein, dass Weihnachten immer auch ein bisschen nach Geschäftemacherei riecht.