Schatten von Gewaltszene
APA/dpa/Maurizio Gambarini
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Befragung

Ohrfeige für manche keine Gewalt

Generell ist die Gewalt an Kindern über Jahrzehnte zurückgegangen: Aber Kinder auf den Po zu schlagen und ihnen eine Ohrfeige zu geben stufen viele Menschen in Österreich noch immer nicht als Gewalt ein. Das ergab eine Umfrage der Kinderschutzorganisation Möwe.

Insgesamt wurden 1.000 Menschen repräsentativ für die österreichische Bevölkerung über 14 Jahren befragt. Es ist die vierte Befragung seit 2009. Dabei zeigt sich, ein gewaltfreier Erziehungsstil wird von einem Großteil, nämlich 78 Prozent als „ideal“ angesehen.

Das scheint aber für manche einen leichten Klaps auf den Po oder eine Ohrfeige nicht unbedingt auszuschließen. Einen leichten Klaps beurteilten nur 37 Prozent als Gewalt, bei der Ohrfeige waren es 49 Prozent. „Gewaltfrei scheint für manche zu heißen, das Kind wird nicht geprügelt oder anders schwer misshandelt. Man muss hier dehalb immer differenzierter nachfragen“, erklärt Hedwig Wölfl, Leiterin der Möwe Kinderschutzzentren.

Der Bericht

So zeigt sich in der Befragung weiter, dass mehr als ein Fünftel sich keine Erziehung ohne zumindest leichte körperliche Bestrafungen vorstellen kann. Fast ebenso viele (18 Prozent) sind der Meinung, dass auch manchmal drastische Erziehungsmaßnahmen notwendig sind. „Das hat uns schon erschrocken“, so Wölfl gegenüber science.orf.at. „Das zeigt, dass die Aufklärungsarbeit in diesem Bereich notwendig ist wie eh und je. Wir sehen tagtäglich bei den betroffenen Kindern, die zu uns in die Kinderschutzzentren kommen, vor allem die psychischen Auswirkungen, die Gewalt auf Kinder haben kann“, äußert sich die Psychologin und Psychotherapeutin in einer Aussendung. Fest steht: Schläge sind nie angemessen, auch keine leichten, betont Wölfl.

Schwelle zu psychischer Gewalt

Bei psychischer Gewalt scheint die Toleranzgrenze in der österreichischen Bevölkerung etwas höher zu sein. Während eine „Tracht Prügel“ 92 Prozent als Gewalt einstufen, wird das lange Anschweigen von Kindern von 66 Prozent als Gewalt eingestuft. Wenn kleine Kinder zwischen Eltern bei einem Scheidungskonflikt hin und hergeschoben werden, beurteilen das 60 Prozent als Gewalt. Etwas mehr als die Hälfte sieht die Grenze überschritten, wenn ein Elternteil den anderen vor dem Kind schlecht redet. Ob eine Handlung als Gewalt zu verstehen ist oder nicht, beurteilt die Psychologin und Psychiaterin so: „Es muss immer das als Gewalt angesehen werden, was Kinder in ihrer Entwicklung schädig oder behindert.“

Bei der Einschätzung von sexueller Gewalt gibt es nach wie vor große Verunsicherung. Während konkrete sexuelle Handlungen Erwachsener mit oder im Beisein von Kindern eindeutig als Missbrauch bzw. sexuelle Gewalt eingestuft werden, gibt es offene Fragen, wann es richtig sei, Kinder aufzuklären, ob es erlaubt ist, gemeinsam mit seinen Vorschulkindern nackt zu baden oder ob Geschlechtsverkehr zwischen unter 16-jährigen als Gewalt einzustufen sei. Hier brauche es mehr Aufklärung einerseits. Zum anderen lassen die Situationen manchmal nur individuell beurteilen. „Was als sexualisierte Gewalt gilt, hängt vor allem vom Alter und vom Entwicklungsstand der Kinder ab. Es spielt aber auch die Beziehung zum Kind eine Rolle und nicht zuletzt kommt es auch auf die Familienkultur an. In manchen ist es normal, dass man sich nebeneinander im Badezimmer nackt die Zähne putzt. Und bei anderen Familien würde das niemals toleriert werden.“

Gewalt wird weniger

Wie die Befragung grundsätzlich zeigt, scheint die tatsächliche Gewalt an Kindern über die Jahrzehnte hinweg abgenommen zu haben. Das lassen die Berichte zu den eigenen Gewalterfahrungen der Befragten vermuten. So berichten 14- bis 29-Jährige deutlich weniger oft von Gewalt in der Kindheit (14 Prozent) als Menschen über 50 (40 Prozent). „Das heißt, von Generation zu Generation vor allem im Bereich der körperlichen Gewalt wird hier den Kindern weniger angetan.“ Auch bei psychischer Gewalt zeigt sich ein ähnlicher Trend.

Positiv sei zudem, dass Eltern ihre Kinder heute weniger aus Überzeugung gewalttätig erziehen, sondern eher in Momenten der Überforderung. Das wisse man aus anderen Studien, erklärt Wölfl. „Das ist insofern ein wichtiges Ergebnis, weil überforderte Eltern auch eher Hilfe suchen und sich beraten lassen und auch wissen, dass Gewalt eigentlich nicht gut ist.“

Abgesehen davon wissen heute mehr Menschen Bescheid, bei welcher Behörde beobachtete Gewalt zu melden ist. Waren es bei der vergangenen Möwe-Befragung im Jahr 2016 noch 39 Prozent, die in so einem Fall die Kinder- und Jugendhilfe verständigt haben, sind es laut der aktuellen Umfrage 51 Prozent. Auch das sei erfreulich, so Wölfl.